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SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke haben im Bundestag einen Baustopp für und eine Volksabstimmung über das Milliardenprojekt Stuttgart 21 gefordert. In der Aktuellen Stunde am Mittwoch, 6. Oktober 2010, stellten sich Vertreter von Union und FDP dagegen demonstrativ hinter den geplanten Umbau des Stuttgarter Bahnhofs. Das Planfeststellungsverfahren sei längst abgeschlossen, alternative Pläne geprüft und als weniger sinnvoll abgelehnt worden.
Die Aktuelle Stunde war anlässlich der Eskalation bei der Demonstration gegen den Abriss der Bäume um den Bahnhof herum auf die Tagesordnung gehoben worden. Die Polizei war am 30. September mit Pfefferspray, Tränengas und Wasserwerfern gegen die Protestierenden vorgegangen, darunter auch viele Schüler.
Die Beamten begründeten ihr Vorgehen damit, dass die Projektgegner sich massiv gegen die Anordnungen der Polizei zur Wehr gesetzt, teilweise auch mit Plastikflaschen und Feuerwerkskörpern geworfen hätten.
Der SPD-Abgeordnete Peter Friedrich bezeichnete den Streit um Stuttgart 21 als "Herausforderung für unsere Demokratie“. Daher sei ein "vernünftiger Umgang“ mit diesem Thema im Parlament notwendig. Er forderte Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Stefan Mappus (CDU) auf, deutlicher die Verantwortung für die Vorgänge zu übernehmen.
Den angekündigten vorläufigen Abrissstopp des Bahnhofs-Südflügels nannte Friedrich eine "hohle Geste“. Wichtig sei jetzt ein vollständiger Bau- und Vergabestopp sowie eine Volksabstimmung über den Umbau, der zwischen sieben und zehn Milliarden Euro kosten soll, je nachdem, ob man die Berechnungen der Befürworter oder der Kritiker zugrunde legt.
Dr. Gregor Gysi warf Union und FDP vor, die Zeichen in Stuttgart falsch zu interpretieren. "Ich glaube, Sie haben überhaupt nicht begriffen, dass Sie es mit einem neuen Zeitgeist zu tun haben“ rief der Fraktionsvorsitzende der Linken. Die wachsende Zahl der Demonstranten interpretierte Gysi als Ausdruck einer "neuen Ferne zwischen Regierenden und Regierten“.
Den Vorschlag von Ministerpräsident Mappus, den CDU-Politiker Heiner Geißler als Vermittler einzusetzen, bezeichnete er als "keine schlechte Idee“. Allerdings mache eine Mediation nur bei einem Baustopp Sinn, da es sonst nichts zu verhandeln gebe.
"Wenn die Kosten nach oben gehen und man im Haushalt die Bildung nicht mehr finanzieren kann, dann ist es Zeit, innezuhalten“, sagte die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Grünen, Renate Künast. Auch sie lobte die Benennung von Geißler, der unter anderem auch Mitglied der globalisierungskritischen Organisation Attac ist.
Aber auch sie forderte einen kompletten Vergabe- und Baustopp, um eine Grundlage für Verhandlungen zwischen den Befürwortern und den Gegnern von Stuttgart 21 zu schaffen. "Alle Zahlen und Fakten müssen auf den Tisch“, rief Künast. "Die Bürger werden sich nicht damit zufriedengeben, wenn sie nur noch die Farbe an den Wänden des neuen Bahnhofs auswählen dürfen.“
"Tief bestürzt“ habe er die Bilder über die Eskalation der Demonstration angesehen, sagte Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU). Für die stetig steigenden Zahlen der Gegner des Projektes machte er vor allen Dingen eine schlechte Kommunikation der Befürworter verantwortlich. "Der Kardinalfehler war, nicht allen Menschen rechtzeitig die Vorteile deutlich gemacht zu haben.“
Er rief die Gegner auf, das Angebot des Ministerpräsident zum Gespräch anzunehmen. Der Gegenentwurf von Grünen und Linken, genannt K 21, sei keine Alternative zum derzeitigen Plan. Die Erhaltung des Kopfbahnhofes und die Sanierung der Gleise bleibe "ein Phantom“.
Auch Patrick Döring (FDP) stellte sich hinter das Projekt. Volksentscheide zu Bauprojekten könne er sich zwar grundsätzlich vorstellen, "aber nicht, wenn das Planfeststellungsverfahren schon abgeschlossen ist“. Immerhin seien 60 Alternativen für den Stuttgarter Bahnhof geprüft worden, allein im Landtag habe das Projekt 150 Mal auf der Tagesordnung gestanden.
Die von den Gegnern favorisierte Alternative K 21 sei 2006 vom Oberverwaltungsgericht als nicht planfeststellungsverfahrenswürdig eingestuft worden.
Die ersten Pläne für einen Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofes kamen schon vor 15 Jahren auf den Tisch. Im Juli 2007 einigten sich Bahn, Bund, Stadt und Land über die Finanzierung.
Daraufhin sammelten Gegner fast 70.000 Unterschriften in einem Bürgerbegehren, das der Gemeinderat anschließend ablehnte. Am stärksten sind die Proteste seit August 2010, als mit dem Abriss des Nordflügels des Bahnhofs begonnen wurde. (ske)