Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Textarchiv > 2010 > Aktuelle Stunde: Castortransport
Sehr emotional ging es während der Aktuellen Stunde im Bundestag am Mittwoch, 10. November 2010, zu, die auf Verlangen aller Fraktionen mit Ausnahme der SPD zum jüngsten Castor-Transport nach Gorleben angesetzt worden war. Während der Aussprache ging es nicht nur um die geschätzten Kosten des Polizeieinsatzes von etwa 25 Millionen Euro, sondern auch um das aus Sicht der Regierung falsche Verhalten der Opposition bei den Protesten. Diese warf der Regierung hingegen eine "Arroganz der Macht" vor, die den Zorn einer großen bürgerlichen Gruppe auf sich gezogen habe.
Für Aufsehen hatte bereits im Vorfeld der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, mit seinen Äußerungen gesorgt, als er den Castor-Transport als „Fanal fataler politischer Irrfahrten“ kritisiert und die Aufkündigung des Atomkonsenses durch die Regierung als politischen Fehler bezeichnet hatte.
Den Zorn über die "intransparente, widersprüchliche und einseitig gönnerhaft erscheinende Politik der Regierung" würden die Demonstranten in der Folge bei den Polizisten abladen.
Auf die Kritik Freibergs reagierte Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière (CDU) gleich zu Beginn seiner Rede. Er dankte ausdrücklich den am Castor-Einsatz beteiligten Polizistinnen und Polizisten. "Sie haben Ihren Auftrag besonnen und konsequent erfüllt“, sagte der Minister.
Gleichzeitig kritisierte er die Gewalt gegen die Ordnungshüter, von denen 78 im Zuge der Proteste verletzt wurden, sowie jene Vertreter der Opposition, die sich mit illegalen Aktionen gemein gemacht hätten. Insbesondere prangerte er dabei die Aufforderung der Linken via Internet an, sich an rechtlich zweifelhaften Protestaktionen zu beteiligen. "Da hört es auf“, empörte sich der Minister.
Den Grünen warf de Maizière Heuchelei vor. "Castor-Transporte sind aus Ihrer Sicht nur zu kritisieren, wenn Sie nicht an der Regierung sind!“Rückblickend auf die Protestaktionen fügte er an: „Die Straße hat keine höhere demokratische Legitimation als das Gesetz.“
Schützenhilfe erhielt de Maizière von Alexander Dobrindt (CDU/CSU), der insbesondere die Grünen scharf attackierte. "Sie machen sich zum politischen Arm von Aufrührern und Brandstiftern“, sagte er und warf den Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen „Politik ohne Verantwortung und Protest ohne Grenzen“ vor. Die von Renate Künast mit Blick auf die Castor-Proteste zuvor geäußerte "Sternstunde der Demokratie“ sei in Wirklichkeit eine "Perversion der Demokratie“, so Dobrindt.
Während die Bundesregierung deutlich gemacht habe, wie die Energiepolitik der Zukunft auszusehen habe, "treten die Grünen die Demokratie mit Füßen“.
Christian Lindner (FDP) betonte, wer Gesetze überschreite oder dazu auffordere, delegitimiere sich als Abgeordneter des Bundestages. Demokratie bedeute, Rechtsprechung anzuerkennen. Dieses nicht zu tun und außerdem von "Sternstunden der Demokratie“ zu sprechen, lasse am Verständnis der Grünen von Rechtsstaat zweifeln.
Allen Oppositionsparteien warf Lindner vor, keine Alternativen zur Energiepolitik der Bundesregierung anzubieten. "Wir jedenfalls stellen uns der Frage, wie wir ins Zeitalter der erneuerbaren Energien kommen.“
Claudia Roth (Bündnis 90/ Die Grünen) verwahrte sich gegen die harsche Kritik aus der Koalition. Dies seien "kreischende Versuche, demokratischen Widerstand zu kriminalisieren“, rief Roth, die sich sichtlich um Fassung bemühte.
Die Menschen seien wütend, weil die Regierung die vier großen Stromanbieter hofiere, gleichzeitig aber ihre Wünsche und Sorgen nicht ernst nehme. "Sie haben den Kontakt zu den Menschen verloren“, sagte Roth an die Koalition gewandt.
Diese Meinung teilte auch Dr. Gregor Gysi (Die Linke). "Der Großteil der Bevölkerung will Ihre Atompolitik nicht“, sagte er. Außerdem kritisierte Gysi, dass rückblickend auf die Demonstrationen stets einseitig die Zahl der verletzten Polizisten genannt werde, aber niemand von den 950 verletzten Demonstranten spreche. Dies sei eine "Verletzung des Grundrechts auf Demonstrations- und Versammlungsfreiheit.“
Der Bundekanzlerin prophezeite er gravierende Folgen ihrer Atompolitik. "Frau Merkel, Sie haben mit Ihrer Entscheidung das Ende Ihrer Amtszeit eingeleitet“, rief Gysi.
Auch Kirsten Lühmann (SPD) kritisierte die Koalitionsfraktionen für ihren "Versuch, die Proteste zu kriminalisieren“. Selbst die Einsatzleitung der Polizei habe geäußert, dass die Demonstrationen gegen einen Castor-Transport friedlich wie selten gewesen seien.
Die Demonstrationsfreiheit legitimiere, gegen Gorleben als “ungeeignetes Zwischenlager“ sowie gegen die Atompolitik der Bundesregierung insgesamt zu protestieren. Auch wenn es keine gewaltsamen und kriminellen Aktionen geben dürfe, sei auch die einseitige negative Darstellung der Demonstranten "mit Hilfe der Bildzeitung“ nicht zulässig, so Lühmann. (jmb)