Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Textarchiv > 2010 > Regierungserklärung
Die Europäische Union hat nach Einschätzung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) die Euro-Krise bislang gut gemeistert. "Die EU ist auf das Stärkste gefordert worden, musste sich bewähren und hat sich bewährt", sagte Merkel am Mittwoch, 15. Dezember 2010, in ihrer Regier- ungserklärung zum bevorstehenden Europäischen Rat. Bei dem Treffen der 27 Staats- und Regierungschefs in Brüssel am 16. und 17. Dezember wollen diese sich auf langfristige Konsequenzen aus der Finanzkrise einigen und diese mittels einer Änderung des Lissabon-Vertrags auf den Weg bringen.
"Niemand in Europa wird alleingelassen, niemand in Europa wird fallengelassen, Europa gelingt nur gemeinsam", sagte Merkel, die sich für einen dauerhaften Rettungsfonds für die Euro-Länder aussprach. Ein solcher Rettungsfonds solle eingerichtet werden, um die "Finanzstabilität der Euro-Zone als Ganzes zu wahren".
Nothilfen für angeschlagene Euro-Länder dürften trotzdem immer nur als letztes Mittel möglich sein und müssten an strenge Bedingungen geknüpft werden. Dafür wolle sich Deutschland gemeinsam mit Frankreich stark machen, und dieser Grundsatz müsse auch für den künftigen Euro-Krisenmechanismus gelten.
Merkel erwarte deshalb vom EU-Gipfel einen "präzisen und eng gefassten" Beschluss für einen neuen Krisenmechanismus, der von 2013 an bei der Überschuldung von Euro-Staaten greifen soll.
Die dafür notwendige Änderung des Lissabon-Vertrags solle schon beim Europäischen Rat im März auf den Weg gebracht werden. Dann seien die nationalen Parlamente am Zuge. Ziel sei es, dass alle 27 EU-Staaten bis Ende 2012 über die Vertragsänderung entscheiden. Sie hoffe dabei auf eine breite Mehrheit im Bundestag.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Dr. Frank-Walter Steinmeier mahnte, dass eine "kleine Vertragsänderung, die niemandem weh tut", nicht dauerhaft helfe. "Wir brauchen ein kräftiges Signal, um die zweifelnden Märkte zu überzeugen", so Steinmeier. Er warf der Bundesregierung vor, auch die jüngsten Signale aus der Europäischen Zentralbank (EZB) ignorieren.
Die bei der EZB nötige Kapitalerhöhung als Folge des massiven Aufkaufs von Staatsanleihen aus Euro-Ländern sei ein letztes Alarmsignal, aber "dieses Alarmsignal wollen Sie nicht hören", sagte Steinmeier. "Wenn die Regierungen in Europa jetzt nicht Entscheidendes bewegen, dann wird die EZB zur Bad Bank in Europa." Es könne niemand wollen, dass an die EZB schlechte Anleihen ausgelagert würden.
Die Antwort auf die Euro-Krise könnten allerdings auch nicht allein die vom Chef der Euro-Gruppe, dem luxemburgischen Ministerpräsidenten Jean-Claude Juncker, geforderten Euro-Bonds sein, mit denen angeschlagenen Ländern die Kreditaufnahme an den Märkten erleichtert werden soll, sagte Steinmeier. Aber "über limitierte Euro-Bonds müsse man nachdenken".
Dem hatte Merkel zuvor eine Absage erteilt: Eine Vergemeinschaftung der Risiken mittels gemeinsamer Anleihen sei keine Lösung für die Probleme.
Auch der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Jürgen Trittin, sagte, der Euro-Bonds-Vorschlag hätte es verdient, "dass die Regierung ihn prüft und nicht auf Zuruf der Bildzeitung vom Tisch wischt". Solche gemeinsamen Anleihen, wie seine Fraktion sie in einem Entschließungsantrag (17/4185) als Instrument für die Euro-Krise forderte, seien nichts Neues. Bereits in der Vergangenheit hätte die Europäische Union Ungarn und dem Baltikum auf diesem Wege aus der Staatsfinanzkrise geholfen.
Trittin forderte einen Abbau der wirtschaftspolitischen Ungleichgewichte und eine Vertiefung der Wirtschaftsunion. "Aus der Krise kommen Sie nur raus durch mehr Europa und nicht durch weniger Europa", sagte er an die Adresse der Kanzlerin.
Birgit Homburger (FDP) verteidigte die schwarz-gelbe Politik in der Krise: "Die Regierung hat von Anfang an Verantwortung übernommen, nicht nur für Griechenland." Die Oppositionsfraktionen dagegen hätten ihre Verantwortung nicht wahrgenommen und seien deshalb die letzten, die der Regierung Vorwürfe machen könnten.
An Steinmeier gewandt sagte Homburger: "Dass Sie die EZB mit einer Bad Bank vergleichen, ist unverantwortlich. Sie reden diese Situation erst herbei."
Auch Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, warf Steinmeier vor, die Glaubwürdigkeit der Europäischen Zentralbank mit seinen Äußerungen in Zweifel zu ziehen. "Das gefährdet die Entwicklungen in Europa."
Die Ablehnung der Euro-Bonds durch die Mehrheit der Koalitionsfraktionen verteidigte Homburger. Europa sei keine Transferunion. "Wer für gemeinsame Anleihen eintritt, schafft einen Länderfinanzausgleich auf europäischer Ebene." Das könne und wolle Deutschland nicht zulassen.
Als mögliche Übergangslösung bezeichnete Gesine Lötzsch, Fraktionsvorsitzende der Linken, die Euro-Bonds. "Eine grundsätzliche Revision des Lissabon-Vertrags ersetzen sie aber nicht", so Lötzsch. Ein Entschließungsantrag ihrer Fraktion (17/4184), der dies gefordert hatte, wurde wie der Entschließungsantrag der Grünen und ein weiterer der SPD (17/4183) abgelehnt.
Lötzsch kritisierte außerdem, dass es seit mehr als zwei Jahren nicht gelinge, die Finanzmärkte wirksam zu regulieren. Ihre Fraktion fordere nach wie vor eine bessere Kontrolle und eine Finanzmarkttransaktionssteuer. (nt)