Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Textarchiv > 2011 > IPS-Stipendiat David Payne
Dass eine promovierte Volkswirtin ein Praktikum absolviert, kommt sicherlich nicht so oft vor. Bei Maria Schamajewa ist es derzeit der Fall. Die 29-Jährige aus Nowosibirsk durchläuft als Teilnehmerin des Internationalen Parlamentsstipendiums des Bundestages (IPS) ein fünfmonatiges Praktikum im Deutschen Bundestag. "Ich sehe das auch eher als eine Hospitation“, sagt die Russin. Schließlich ginge es ihr ja nicht - wie bei einem Praktikum eigentlich üblich - darum, den Einstieg in einen Beruf zu finden. Den hat sie nämlich schon: Schamajewa arbeitet als Dozentin an der Verwaltungshochschule in Nowosibirsk. Dort, "im tiefsten Sibirien“, wie sie selbst sagt, unterrichtet sie öffentliche und kommunale Verwaltung. "Wir diskutieren darüber, wie eine Kommune funktioniert, wie das Parlament funktioniert und was Föderalismus bedeutet“, umreißt sie einige Themenschwerpunkte.
Dabei soll ihr auch die Zeit im Deutschen Bundestag helfen. "Mir geht es darum mitzuerleben, wie das deutsche Parlament arbeitet“, sagt sie. Wie das russische Parlament funktioniere, wisse sie schon und auch, dass da vieles im Argen liege. "Ich will Argumente haben, um in Russland für Parlamentarismus, Pluralismus und Demokratie zu werben“, macht die 29-jährige deutlich.
Und das, so Schamajewa, "ist nicht so einfach“. Viele Russen, "auch einige meiner Studenten“, würden mit Blick auf ihr Parlament urteilen: Das funktioniert kaum, wird also eigentlich gar nicht gebraucht. "Und dann bekomme ich noch zu hören: 'Erzählen Sie uns nicht, dass das in Deutschland anders ist'." Eine Antwort darauf hat sie schon in den ersten Wochen ihres Praktikums gefunden. "Wenn ich wieder in Russland bin, kann ich guten Gewissens sagen: Ja - der Deutsche Bundestag ist ein funktionierendes Parlament, und viele Elemente sind übertragbar.“
Besonders spannend sei es für sie zu schauen, in welchem Verhältnis Parteipolitik und Sachpolitik stehen. Ihre Einschätzung lautet: "Es geht viel mehr um die Sache als ich vorher erwartet habe.“ Klar seien auch die Fraktionen und Parteien daran interessiert, ihr Profil zu schärfen. Schließlich müssten sie sich ja auch voneinander unterscheiden, um für ihre Wähler authentisch zu sein.
Als Zeichen einer gut funktionierenden Demokratie sieht es Schamajewa an, dass in Deutschland die Regierungsverantwortung immer mal wechseln kann. "So ist auch die Arbeit der Opposition nicht sinnlos, auch wenn deren Vorlagen zumeist abgelehnt werden.“ Man arbeite damit für die Zukunft. Und diese kann möglicherweise schon nach den nächsten Wahlen beginnen, "und nicht erst, wenn in 50 Jahren eine Diktatur zusammenbricht“.
Mit den Aufgaben und der Arbeit der Oppositionsfraktionen kennt sich die 29-Jährige inzwischen gut aus. Schließlich arbeitet sie im Büro der SPD-Abgeordneten Doris Barnett. Als Volkswirtin sei sie sehr zufrieden, bei einer Wirtschaftsexpertin gelandet zu sein, sagt sie. Fühlt sie sich ihrer Qualifikation angemessen beschäftigt? Ja, sagt Schamajewa, sie habe durchaus das Gefühl, dass sie Aufgaben erledige, die "auf dem Tisch liegen und nicht extra für mich entwickelt werden“.
Andererseits sei aber auch klar: "Ich kann nicht als Fremde in ein Büro kommen und erwarten, von Anfang an den ganzen Tag mit komplizierten Aufgaben betraut zu werden.“
Das "Mitlaufen“ mit Frau Barnett sei zudem auch sehr wichtig, um sich ein Bild von der Arbeit eines deutschen Abgeordneten zu machen. Während der sitzungsfreien Woche Anfang Mai war sie in Barnetts Wahlkreis Ludwigshafen/Frankenthal. "Da waren wir jeden Tag im Einsatz, auch am Sonntag“, sagt sie.
Berlin kennt Maria Schamajewa im Übrigen nicht erst seit diesem Praktikum. "Das ist einer meiner Lebensmittelpunkte“, sagt sie. Das hat mit ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit für den Kulturverein MitOst zu tun. "Wir engagieren uns für den Kulturaustausch und eine lebendige Bürgergesellschaft in Mittel-, Ost- und Südosteuropa“, sagt sie. Über diese Vereinstätigkeit ist sie auch mit dem IPS-Programm in Verbindung gekommen. "Wenn man in solchen Netzwerken drin ist, erreichen einen natürlich diese Ausschreibungen.“
Ihr Arbeitgeber, die Hochschule, stand ihrem Ansinnen, fünf Monate nach Deutschland zu gehen, positiv gegenüber. "Als Dozentin bin ich ja nahezu verpflichtet, mich weiterzubilden“, sagt sie. Das soll in einer Behörde stattfinden, eigentlich einer russischen. "Mein Rektor hat mich aber unterstützt. Ich bin jetzt sozusagen auf einer längeren Dienstreise“, erzählt sie schmunzelnd.
Kann das Ergebnis dieser Dienstreise auch sein, dass sie aufgrund der gemachten Erfahrungen künftig selbst den Wunsch verspürt, in die Politik zu gehen? Eher nicht, sagt sie. "Es ist nicht meine Stärke, politische Reden zu halten und die Leute auf meine Seite zu ziehen.“ Und dennoch: "Mir ist es nicht egal, was in Russland und in der Welt geschieht.“
Die Hochschullehrerin Schamajewa sieht sich als Multiplikatorin, die über ihre Studenten viele Menschen erreichen kann. "Es geht mir um Aufklärung und Bildung“, sagt sie und findet: "In dieser Rolle bin ich jetzt schon sehr politisch.“ (hau)