Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Textarchiv > 2011 > strube
Menschenwürde und Menschenrechte sind international vielfach bedroht und müssen verteidigt werden. Geschützt werden müssen auch ihre Verteidiger: Fast drei Jahre war der syrische Oppositionspolitiker Riad Seif inhaftiert. Im März 2011 kam das ehemalige Parlamentsmitglied Syriens wieder frei. Dazu beigetragen hat sicher auch das Programm "Parlamentarier schützen Parlamentarier" (PsP) des Menschenrechtsausschusses des Deutschen Bundestages.
Für Riad Saif setzt sich seit 2009 die Bundestagsabgeordnete Angelika Graf (SPD) ein und macht auf sein Schicksal aufmerksam. Zur Unterstützung Saifs schrieb der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe den syrischen Botschafter in der Bundesrepublik an und forderte dessen Freilassung.
"Dieser Erfolg kann natürlich nur die Summe der Bemühungen vieler sein, die sich einsetzen", sagt Jana Strube, die im Ausschuss das Programm koordiniert. Doch mit dem PsP beschreitet der Bundestag ein praktisch wirksames Programm, das, "so weit wir wissen, europaweit kein anderes Parlament hat", so Strube.
Rund 700 Namen von Parlamentariern, Menschenrechtlern, Journalisten und Dissidenten führt sie in ihren Akten, die weltweit verfolgt, unterdrückt und eingesperrt werden.
Mit dem gemeinsamen Antrag "Schutz von bedrohten Menschenrechtsverteidigern" von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP (15/2078) hat sich der Bundestag im Jahr 2003 fraktionsübergreifen verpflichtet, die Initiative zu unterstützen und bedrohten Parlamentariern und Menschenrechtlern beizustehen.
Auslöser war der Prozess gegen die türkische Abgeordnete Leyla Zana, die wegen ihres Einsatzes für die Rechte der Kurden 1994 zu einer 17-jährigen Haftstrafe verurteilt worden war.
Der Europäische Gerichtshof hatte den Prozess gegen sie und drei weitere Abgeordnete als unfair kritisiert. In einer gemeinsamen Petition hatten die Bundestagsabgeordneten die Freilassung der Parlamentarier gefordert.
Praktische Hilfe hat auch der ehemalige ukrainische Minister für Umweltschutz, Heorhiy Filiptschuk, erfahren. Die Umstände seiner Inhaftierung ließen an rechtstaatlichen Prinzipien zu wünschen übrig. "Eine Praktikantin aus einem Abgeordnetenbüro hatte uns darauf aufmerksam gemacht", erzählt Strube. Abgeordnete und der Ausschuss setzten sich für den Politiker ein.
Im März 2011 wurde Filiptschuk wieder freigelassen. "Was nicht heißt, dass er nicht vor Gericht muss." Aber nach dessen Freilassung bedankte sich seine Ehefrau für die Bemühungen um ihren Mann - ein befriedigender Lohn für den Einsatz. Pate von Filiptschuk ist die Abgeordnete Viola von Cramon-Taubadel (Bündnis 90/Die Grünen).
Derzeit koordiniert Strube 13 Patenschaften von Asien bis nach Südamerika. Sie sammelt und prüft die Informationen. Abgeordnete, die ein bestimmtes Land besuchen wollen, können sich bei ihr erkundigen, ob dort Politikerinnen oder Politiker verfolgt oder bedroht werden. Vor Ort können sie dann persönlich für ihre Kollegen eintreten. "Das ist wirkungsvoller als allgemein verfasste Schreiben aus der Verwaltung", sagt Strube, "denn das Wort eines Abgeordneten hat Gewicht."
"Im Laufe der Zeit haben wir gemerkt, dass durch direkte Patenschaften die Hilfe konkreter wird", erklärt Strube. Ursprünglich wurden nur die Namen von Menschenrechtsverteidigern gesammelt, und es wurde den bedrohten Frauen und Männern hauptsächlich über den Ausschuss geholfen. "Aber es ist besser, jeder Person einen Abgeordneten zur Seite zu stellen."
Denn Abgeordnete könnten auf informeller Ebene freier sprechen und würden gehört, wenn sie zum Beispiel Gefangene besuchen. Dadurch werde Menschenrechtsverletzern klar gemacht, dass genau hingeschaut und das Schicksal betroffener Personen verfolgt wird - und dadurch nichts im Verborgenen bleibt.
Despotischen Regimen sei es unangenehm, auf solche Fälle angesprochen zu werden. Im Ausschuss mache man immer wieder die Erfahrung, dass auf Initiativen hin einiges im Hintergrund geschieht, um größere öffentliche Aufmerksamkeit zu verhindern. "Doch wir werden auch hingehalten", sagt sie. Dennoch: Durch regelmäßiges Ansprechen entstehe Zugzwang, und es passiere etwas.
Die Namen der Betroffenen und deren aktuelle Situation klärt der Ausschuss durch das Auswärtige Amt ab. "Wir erfahren über Abgeordnete, Amnesty International, Bürger und verschiedene Nichtregierungsorganisationen von Fällen von überall aus der Welt." Es werden entsprechende Organisationen vor Ort befragt und die Namen dann in die Datenbank aufgenommen.
Für den einzelnen Abgeordneten sei der Aufwand vergleichsweise gering: "Er beschäftigt sich damit, wo die Person herkommt, was sie für eine Arbeit macht und welchen Repressalien sie bislang ausgesetzt war." Wichtig sei nur, dass sich die Abgeordnetenbüros in regelmäßigen Abständen immer wieder um diese Person bemühen und in den jeweiligen Ländern anfragen, damit die Namen nicht in Vergessenheit geraten. "Es sitzen viele sehr lange in Haft", sagt die PsP-Koordinatorin.
"Für denjenigen, der erfährt, dass sich jemand für ihn einsetzt, ist das ermutigend und eine starke moralische Unterstützung", so Jana Strube. Doch der jeweilige Menschenrechtsverteidiger müsse nicht immer zwingend wissen, dass sich ein Abgeordneter für ihn stark macht. "Für die Ansprache offizieller Stellen ist das nicht erforderlich", erklärt sie.
Genauso unabhängig davon sei, dass die Abgeordneten nicht menschenrechtspolitisch versiert sein müssen. Schließlich sei auch der Einsatz für Menschenrechte universell. (eis)