Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Textarchiv > 2011 > Regierungserklärung
Vor der Tagung des Europäischen Rates in Brüssel am 9. Dezember hat Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) noch einmal ihr Ziel einer Änderung der europäischen Verträge bekräftigt. Mit diesem Vorsatz fahre sie nach Brüssel, betonte sie in ihrer Regierungserklärung am Freitag, 2. Dezember 2011, im Bundestag. Ziel müsse es sein, eine Fiskalunion zu schaffen, die wirksame Sanktionsmechanismen besitzt, um gegen Verstöße der Haushaltsdisziplin in den Mitgliedsländern vorzugehen. Die Bewältigung der Staatsschuldenkrise sei jedoch ein Prozess, der Jahre dauern wird, sagte die Kanzlerin. Den einen Befreiungsschlag gebe es hier nicht, dennoch sei schon viel erreicht worden, denn „wir reden nicht nur über eine Fiskalunion, sondern wir fangen an, sie zu schaffen.“
Nun müsse es darum gehen, die „Konstruktionsfehler bei der Gründung der Wirtschafts- und Währungsunion“ zu beheben, nämlich Verletzungen der Euro-Stabilitätskriterien nicht folgenlos weiter geschehen zu lassen, wie es bisher geschah. „Dass wir uns entschieden haben, damit aufzuhören, ist die ermutigende Zwischenbilanz, die wir heute ziehen können“, betonte Merkel.
Die Kanzlerin sprach auch davon, dass es sich bei der gegenwärtigen Krise Europas nicht nur um eine Staatsschuldenkrise, sondern auch um eine Vertrauenskrise handele. In dieser hätten sich zwei Institutionen durch ihre hohe Glaubwürdigkeit ausgezeichnet: die Gerichte und die Notenbanken.
Deren Unabhängigkeit weiter zu schützen, bezeichnete sie als „höchstes Gut unserer Demokratie“. Demgegenüber müsse man „schonungslos“ sagen, dass die Politik diese Glaubwürdigkeit nicht mehr besitze, da sie dem Schuldenmachen jahrelang tatenlos zugesehen habe.
Erneut wandte sich Merkel gegen Eurobonds. Solange die nationale Souveränität der EU-Staaten über ihre Haushalte bestehen bleibe, so lange sei eine gemeinsame Haftung für die Schulden anderer nicht machbar. Wer dennoch Eurobonds fordere, habe das Wesen der Krise nicht verstanden, so Merkel.
SPD-Fraktionschef Dr. Frank-Walter Steinmeier warf der Koalition vor, in der Krise nicht entschlossen genug zu handeln. Ihre Wankelmütigkeit und Entscheidungslosigkeit verschärfe die Krise Europas zusätzlich. In Bezug auf die Äußerungen Merkels zu einer Fiskalunion bemerkte Steinmeier: „Sie gaukeln den Menschen tragfähige Konzepte vor. Doch noch nie hat das gestimmt.“
Auch in zwei anderen Punkten sage die Kanzlerin den Menschen nicht die Wahrheit, empörte sich Steinmeier. Zum einen müsse man klarmachen, dass Deutschland nicht die Griechen und Italiener rettet, sondern vor allem sich selbst, nämlich die deutsche Exportwirtschaft und damit deutsche Arbeitsplätze. Zum anderen tue die Kanzlerin bei ihrer Ablehnung von Eurobonds so, als wolle sie verhindern, dass die deutschen Steuerzahler für die Versäumnisse anderer haften müssen. Dies sei aber schon jetzt der Fall, entgegnete Steinmeier. „Eine Gemeinschaftshaftung findet doch durch die Anleihenkäufe der Europäischen Zentralbank bereits jetzt statt.“
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle stellte bei der Opposition eine „Lust am Untergang“ fest und warf der SPD vor, die Eurokrise für parteitaktische Ziele zu missbrauchen. Dies sei „fahrlässig“. Dagegen „kämpft diese Kanzlerin engagiert für Europas Zukunft, und wir stehen hinter ihr“, rief Brüderle ins Plenum.
Wie Merkel lehnte auch er Eurobonds ab. Es könne nicht sein, dass die haften, die alles richtig gemacht haben, sagte er mit Verweis auf die Haushaltsdisziplin Deutschlands.
Dr. Gregor Gysi, Fraktionschef der Linken, attestierte der Bundesregierung, die Ursachen der Krise falsch einzuschätzen. Denn die Diktatur der Finanzmärkte sei nicht abgebaut worden, nein, sie habe sich verschärft. Somit sei auch nicht die von Merkel erwähnte Staatsschuldenkrise die Ursache, sondern die Macht der Finanzmärkte.
„Wenn man das nicht erkennt, kann man die Ursachen auch nicht bekämpfen. Ihr Weg ist vollkommen gescheitert“, stellte Gysi fest. Er forderte, die bedrohten Staaten aus ihrer Abhängigkeit von privaten Banken und Fonds zu befreien, indem eine europäische Bank diesen zinsgünstige Kredite gebe. „Dann können die Ratingagenturen machen, was sie wollen“, so Gysi.
Unionsfraktionschef Volker Kauder warf der SPD Heuchelei vor. Deren Vorwurf, Deutschland würde sich gegenüber seinen europäischen Nachbarn arrogant verhalten, konterte er mit einem Hinweis auf die Regierungszeit von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Dieser habe 2003 die Achse Paris-Berlin-Moskau ausgerufen und der Einheit Europas damit einen groben Schlag versetzt, sagte Kauder.
Außerdem falle die Aufweichung der Euro-Stabilitätsgrenzen in die Regierungszeit von Rot-Grün. Kauder betonte noch einmal das Grundprinzip für das Handeln der Koalition: „Wir sind solidarisch. Aber Hilfe gibt es nur, wenn auch eine Gegenleistung erbracht wird. Das ist der richtige Weg“, sagte er.
Auch Jürgen Trittin, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, warf der Regierung Zögerlichkeit vor. „Ihr Marathonlauf hat noch gar nicht begonnen“, wandte er sich an die Kanzlerin. Zu sagen, bevor etwas passiere, müssten erst die Verträge geändert werden oder müsse erst Italien sein Sparprogramm durchziehen, sei in der aktuellen Situation fahrlässig.
Trittin warf der Bundesregierung ebenfalls Augenwischerei vor. „Hören Sie auf, das deutsche Volk zu belügen, dass es nicht für andere haftet. Das ist schon jetzt längst der Fall.“ (che)