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Das Problem erkannt, doch uneins in der Behandlung. Das war die Quintessenz der Debatte am Donnerstag, 15. Dezember 2011, um die Geschlechtergerechtigkeit im Wissenschaftssystem im Bundestag. Auf der Tagesordnung stand eine gemeinsame Große Anfrage der drei Oppositionsfraktionen (17/5541). Wie die Bundesregierung in ihrer Antwort (17/7756) auf diese Anfrage mitteilt, hat sich die Chancengleichheit für Männer und Frauen an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen in den vergangenen zehn Jahren zwar verbessert, die bestehende Unterrepräsentanz sei jedoch noch immer ein Problem.
In ihrer Antwort verweist die Regierung auf Angaben des Statistischen Bundesamtes. Demnach ist der Anteil der weiblichen Studierenden von 46,1 Prozent im Jahr 2000 auf 47,8 Prozent im Jahr 2009 gestiegen. Im gleichen Zeitraum ist der Anteil der Frauen, die einen universitären Abschluss erlangten, von 44,8 Prozent auf 52,3 Prozent gestiegen. Auch der Frauenanteil bei Promotionen hat von 34,3 Prozent (2000) auf 44,1 (2009) Prozent zugelegt.
Der Anteil der Frauen am wissenschaftlichen Personal sei in außeruniversitären Forschungseinrichtungen und in Leitungsfunktionen ebenfalls gewachsen. Jedoch sind Frauen dort noch immer stark unterrepräsentiert. Zudem arbeiten sie – so lässt sich der Vorlage entnehmen – an Hochschulen öfter in befristen Beschäftigungsverhältnissen als Männer. Demnach waren 2009 hier rund 50,9 Prozent der Frauen auf Zeit angestellt, bei den Männern betrug der Anteil 41,5 Prozent.
Die Antwort auf die Große Anfrage sage vor allem eines über die Bundesregierung aus, fand Ulla Burchardt (SPD), Vorsitzende des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung: "Nicht wissen, nicht wollen, nicht können." Die Regierung habe keine Ahnung, was getan werden müsse, um die Situation zu verbessern, fand auch Burchardts Fraktionskollegin Marianne Schieder.
Es sei jedoch höchste Zeit zu handeln: Überproportional viele Frauen stiegen nach der Promotion aus dem Wissenschaftsbetrieb aus. "Wir erlauben uns eine massive Verschwendung von intellektuellem Potenzial", betonte Schieder. So gehe eine aktuelle Studie davon aus, dass der volkswirtschaftliche Schaden durch unzureichende Ausschöpfung des Arbeitsmarktpotenzials von Frauen allgemein kumuliert bis 2030 bei rund zwei Billionen Euro liegen werde.
"Warum verzichten Sie auf das kreative Potenzial von Frauen?", wollte Dr. Petra Sitte, forschungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, wissen. Wenn die Bundesregierung in diesem Tempo weitermache, gebe es Geschlechtergerechtigkeit im Wissenschaftssystem erst gegen Ende des Jahrhunderts.
Die Einigung von Bund und Ländern auf ein Kaskadenmodell – also Quoten entsprechend dem Frauenanteil der jeweils vorausgehenden Stufe in der Karriere des Wissenschaftssystems – sei ein erster Schritt in die richtige Richtung, sagte Sitte. Jedoch könne dieses Modell nur konsequent umgesetzt werden, wenn Anreize geschaffen und Sanktionen integriert werden. Darüber hinaus sprach sich Sitte für transparentere Personalentscheidungen, familienfreundlichere Arbeitsverhältnisse im Wissenschaftssystem und eine Mindestlaufzeit bei Verträgen aus.
"Wir sind auf gutem Weg und kommen unserer Verantwortung nach", betonte Prof. Dr. Martin Neumann, forschungspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. Dennoch belegten die Zahlen, dass die Geschlechtergerechtigkeit im Wissenschaftsbereich eine Daueraufgabe sei. Zurückhaltung bei der Einbeziehung von Frauen könne man sich "schlichtweg nicht leisten".
Deswegen habe sich die FDP-Fraktion stets für ein Kaskadenmodell ausgesprochen. In einem Wissenschaftsfreiheitsgesetz solle nun die "gleichberechtigte Einbeziehung von Frauen in Wissenschaft und Forschung als Grundsatz" verankert werden.
"Wir haben ein offenkundiges Innovations- und Qualitätsproblem", konstatierte Krista Sager, Sprecherin für Wissenschafts- und Forschungspolitik der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Spitzenpositionen im Wissenschaftsbereich würden noch immer vorrangig aus einer Geschlechtergruppe rekrutiert werden. Das sei keine "Bestenauslese".
Die Fortschritte in Sachen Parität seien zu langsam, betonte sie. Während die Gleichstellungsstandards der Deutschen Forschungsgemeinschaft im universitären Bereich durchaus Wirkung zeigten, verharrten ganze Teile des Wissenschaftsbereichs und der Hochschulen "in gleichstellungspolitischer Rhetorik", kritisierte Sager. Sie sprach sich für mehr Verbindlichkeiten, Zielquoten, Anreize, Sanktionsmechanismen und gezielte Rekrutierungsmaßnahmen aus.
In den vergangenen zehn Jahren habe sich die Chancengerechtigkeit im Wissenschaftssystem verbessert, sagte Anette Hübinger (CDU/CSU). Ein Grund dafür sei, dass die Bundesregierung die Verbesserung der Repräsentanz von Frauen als strategisches Erfordernis ansehe. Fördermaßnahmen wie Exzellenzinitiative, Professorinnenprogramm, Pakt für Forschung und Innovation und der Hochschulpakt hätten dazu beigetragen.
Als weitere Maßnahmen schlug Hübinger unter anderem den Ausbau von Krippenplätzen, spezifische Frauenförderung und die Rekrutierung von Frauen in den Fachgruppen vor, in denen sie eher schwach vertreten sind. Sollte in den kommenden Jahren die Selbstverpflichtung des Wissenschaftssystems keine Fortschritte erzielen, würde auch sie es befürworten, das "Kaskadenmodell als eine gesetzliche Forderung" einzuführen. (tyh)