Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Textarchiv > 2012 > Stinner zu Pakistan
Kluge Diplomatie, kontinuierlicher Dialog, mühselige Kleinarbeit: Nur dieser Weg bietet aus Sicht Dr. Rainer Stinners die Chance, Pakistan für eine konstruktive Rolle bei der Suche nach einer Lösung im Afghanistan-Konflikt zu gewinnen. Es helfe nicht, „gegenüber Islamabad demonstrativ fordernd aufzutreten“, so der FDP-Obmann im Auswärtigen Ausschuss im Interview. Über die deutsche Pakistan-Politik debattiert der Bundestag am Donnerstag, 9. Februar 2012, auf der Basis eines Antrags von Bündnis 90/Die Grünen (17/8492) eine halbe Stunde lang. Die Grünen fordern, die diplomatischen Aktivitäten gegenüber Islamabad zu intensivieren, um Fortschritte bei der Befriedung des Afghanistan-Konflikts wie des Dauerstreits zwischen Pakistan und Indien zu erreichen. Das Interview im Wortlaut:
Herr Dr. Stinner, vernachlässigt die deutsche Außenpolitik Pakistan? Liegen die Grünen mit dieser Kritik richtig?
Nein, das stimmt nicht. Nicht zu unterschätzen ist etwa die deutsche Entwicklungshilfe für Islamabad. Allein 2009 und 2010 sind insgesamt 150 Millionen Euro in dieses Land geflossen. Mit diesem Geld haben wir sinnvolle Projekte gefördert. Erwähnen will ich vor allem Investitionen in den Ausbau der Energieversorgung und dabei besonders in erneuerbare Energien wie Wasserkraftwerke. Was kaum bekannt ist: In Afghanistan sind 48 Staaten engagiert, und der Diplomat Michael Steiner koordiniert als Sonderbeauftragter der Bundesregierung für Afghanistan und Pakistan die Arbeit seiner Kollegen aus diesen Ländern. Auch dies ist ein Beleg für das aktive Engagement Deutschlands in dieser Region.
Eine politische Lösung für Afghanistan ist nur unter Einbeziehung Pakistans erreichbar. Wie aber soll Islamabad angesichts seiner zwiespältigen Rolle einen konstruktiven Beitrag leisten können? Einerseits unterstützt die Regierung die USA und die Nato bei der Bekämpfung der Taliban in Afghanistan, andererseits wird letzteren offenbar von Teilen des pakistanischen Geheimdienstes geholfen.
Das ist in der Tat ein großes Problem. Wir treffen in Pakistan auf eine komplexe, widersprüchliche Situation, wie wir dies in Europa nicht gewohnt sind. Damit umzugehen, ist für uns nicht einfach. Der einzig sinnvolle Weg ist ein kontinuierlicher Dialog mit dem Ziel, Islamabad zu bewegen, im Falle von Afghanistan nicht als Störer, sondern als Stabilitätsfaktor zu agieren. Keinesfalls führt es weiter, von deutscher Seite aus Druck ausüben zu wollen, die Pakistani werden sich keine Vorschriften machen lassen. Im Übrigen sucht Islamabad aus seiner Sicht einfach geschickt vorzugehen: Man will Kontakte zu den Taliban wahren, da diese im künftigen Afghanistan ja durchaus eine gewisse Rolle spielen könnten.
Muss man für die Haltung Islamabads im Afghanistan-Konflikt nicht Verständnis aufbringen? Die USA haben beim Angriff auf einen pakistanischen Grenzposten über 20 Soldaten getötet, Washington startet Drohnenattacken in dem Land und tötet gezielt einzelne Personen wie Osama Bin Laden. Das ist doch eine Verletzung pakistanischer Souveränität.
Das ist zweifelsohne richtig, aber das sollte man gleichwohl differenziert betrachten. Die Pakistani wissen mit solchen Geschehnissen besser und pragmatischer umzugehen als wir uns dies gemeinhin vorstellen. Durch die US-Aktionen fühlt man sich im Nationalstolz verletzt. Allerdings benötigt Islamabad die Hilfe der USA und der Nato bei der Bekämpfung der Taliban im eigenen Land, etwa mittels geheimdienstlicher Informationen. Und dies will man sich nicht verscherzen.
Hat Berlin überhaupt den erforderlichen Einfluss in Pakistan, um dessen Regierung dafür zu gewinnen, sich um eine Lösung des Afghanistan-Konflikts zu bemühen? Die Bonner Afghanistan-Konferenz im Dezember wurde von Islamabad kurzerhand boykottiert.
Man sollte nüchtern sehen, dass wir in Pakistan politisch nur begrenzten Einfluss haben. Wir Deutsche sind zwar in vielen Ländern als ehrliche Makler gefragt, doch sollten wir uns nicht überheben. Unsere Chance ist es, mit Hilfe kluger Diplomatie und mühseliger Kleinarbeit Einfluss zu nehmen. Gegenüber Islamabad demonstrativ fordernd aufzutreten, führt nicht weiter.
Eine Gefahr stellen die pakistanischen Nuklearwaffen dar, auch im Blick auf den Konflikt mit Indien und auf die Weiterverbreitung von Atomwaffen. Was kann die Bundesrepublik tun, um Islamabad wie auch Neu Delhi zu bewegen, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten?
In der Tat schaffen die Nuklearwaffen eine hochbrisante Lage in dieser Weltregion. Die Unterzeichnung des Sperrvertrags wäre natürlich ein enormer Fortschritt. Aber markige Appelle fruchten nicht viel. Ich bin eher pessimistisch, was den Einfluss Deutschlands und auch anderer Staaten in dieser heiklen Frage angeht. Uns bleibt nur, in einem geduldigen Dialog Sorgen und Befürchtungen im Blick auf die Präsenz von Atomwaffen zu verdeutlichen.
Die Grünen fordern in ihrem Antrag eine Aufstockung der deutschen Entwicklungshilfe. Lässt sich dies rechtfertigen? Offenbar verfügt Islamabad doch über genügend Geld, mit dem nicht zuletzt ein üppiger Militäretat und Kernwaffen finanziert werden.
Diese Zusammenhänge lassen sich nicht übergehen. Im Übrigen kann sich das deutsche Engagement in Pakistan durchaus sehen lassen. 2011 stellte die Bundesrepublik 50 Millionen Euro bereit, dieses Jahr werden es zwischen 45 und 50 Millionen sein, zudem haben wir für die Bewältigung der Flutkatastrophe zusätzlich 35 Millionen locker gemacht. Gründe für eine Aufstockung kann ich nicht erkennen.
(kos)