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Welchen Platz soll Deutschland in einer sich rasant verändernden Welt einnehmen? Wie lassen sich neue Partnerschaften schmieden, ohne bewährte Partner vor den Kopf zu stoßen? Die Fraktionen im Deutschen Bundestag nahmen am Freitag, 10. Februar 2012, das vom Bundeskabinett verabschiedete Konzept „Globalisierung gestalten - Partnerschaften ausbauen - Verantwortung teilen" (17/8600) zum Anlass für eine außenpolitische Grundsatzdebatte. Mit ihrem Konzept will die Regierung in einer multipolaren Welt engere Beziehungen zu neuen aufstrebenden „Gestaltungsmächten“ aus der Reihe der Schwellenländer knüpfen.
Bundesaußenminister Dr. Guido Westerwelle (FDP) plädierte zu Beginn der Aussprache dafür, mitten in der Diskussion um Europas Schuldenkrise den Blick auf die Welt außerhalb des Kontinents nicht aus dem Blick zu verlieren. Man dürfe nicht ignorieren, dass „neue Kraftzentren wachsen und auf die politische Bühne drängen“, sagte Westerwelle. „Wir glauben, dass wir den Taktstock in der Hand haben, und bemerken nicht, dass immer mehr Länder danach greifen.“ Mit einer rasanten wirtschaftlichen Entwicklung im Rücken drängten eine ganze Reihe von Staaten in „die erste Liga“ der Weltpolitik. Es sei wichtig „Partnerschaften mit diesen neuen Gestaltungsmächten rechtzeitig“ aufzubauen. Das bedeute nicht, sich von alten Partnern abzuwenden.
„Die EU, Europa und die transatlantischen Beziehungen bleiben das Fundament deutscher Außenpolitik“, betonte der Minister. „Herzstück“ der deutschen Außenpolitik blieben zudem die Vereinten Nationen. Allerdings müsse die Organisation die Kräfteverhältnisse der Gegenwart und der Zukunft wiederspiegeln. Eine Reform der UN müsse darauf abzielen, Weltregionen wie Südamerika, Afrika und Asien stärker als bisher in den Gremien zu beteiligen, sagte Westerwelle.
Gernot Erler bezeichnete als außenpolitischer Experte der SPD-Fraktion das Globalisierungskonzept als „vage“ , „unverbindlich“ und voller Sätze, die vom „unangreifbaren guten Willen“ künden würden. „Hier wird buchstäblich alles besprochen“, sagte Erler, der unter anderem die Eingrenzung vermisste, welche Staaten der Außenminister im Blick habe.
Überdies sei Westerwelles Begriff der „neuen Kraftzentren“ eines der Hauptargumente in der Kontroverse nach der Entscheidung des UN-Sicherheitsrats im vergangenen März 2011 zum Lufteinsatz in Libyen gewesen, bei der sich Deutschland mit Russland und China enthalten und sich damit gegen Verbündete wie die USA, Frankreich und Großbritannien gestellt habe. Der Begriff der neuen Kraftzentren sei Westerwelles „großes Aber zu historisch gewachsenen Partnerschaften“, kritisierte Erler.
Philipp Mißfelder lenkte den Blick auf die gewachsene Verantwortung Deutschlands in Europa und der Welt, die sich etwa in der „hohen Taktfrequenz“ ausländischer Staatsbesuche und der gefragten Rolle der Bundesregierung auf internationalen Konferenzen zeige. Das Konzept der Bundesregierung nannte der außenpolitische Experte der Unionsfraktion „ambitioniert und richtig“, weil es sich den Herausforderung der Globalisierung konkret stelle.
Im Spannungsfeld zwischen werte- und interessengeleiteter Außenpolitik helfe nicht der „erhobene Zeigefinger“. „Die Welt wartet doch nicht darauf, das wir sagen, was wir für den richtigen Weg halten“, sagte Mißfelder. Vielmehr müsse Deutschland mit der „Strahlkraft“ und der Glaubwürdigkeit des eigenen Modells für Werte eintreten.
Wolfgang Gehrcke von der Linksfraktion begrüßte die Grundsatzdebatte, das „Wesen“ des Globalisierungskonzepts hielt er jedoch für falsch: Es sei kein „Gestaltungskonzept, sondern ein Zerstörungskonzept“. Wer alte Partner wie im Augenblick Griechenland mit Sparkommissar-Vorschlägen und Diktaten zu Löhnen, Renten und Steuern traktiere, der werde keine neue Partner finden. Das Konzept der Bundesregierung basiere auf der „Idee des freien Welthandels“ und erhebe die Kraft des Geldes zur „wichtigsten Gestaltungskraft“ der Globalisierung, kritisierte Gehrcke.
Nötig seien in einer multipolaren Welt aber der Ausgleich von Interessen und „Gerechtigkeit statt Konkurrenz“. Zudem sei das Papier im Kern geprägt von einem „alten Denken“, weil es keine Antworten auf die „Überlebensfragen der Menschheit“ liefere: auf die Bekämpfung des Hungers, den „Stopp der Rüstungsspirale“ und die Verhinderung von Kriegen.
Dr. Frithjof Schmidt (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen) hielt es bezeichnend für einen FDP-Minister, dass sein Konzept in keinem Satz das Wort „Gerechtigkeit“ enthalte. Globalisierung zu gestalten heiße aber einen „gerechten Ausgleich“ zu schaffen, vor allem aber eingegangene Verpflichtungen einzuhalten.
Deutschland halte seine eigenen Zusagen jedoch nicht ein – etwa bei der Bekämpfung des Klimawandels oder der weltweiten Armut im Rahmen der Millenniumsziele, sagte Schmidt. Vor diesem Hintergrund enthalte das Konzept „viele leere Versprechen und wenig Substanz“. Zudem dränge sich der Eindruck auf, Außenpolitik zur „Vorhut deutscher Wirtschaftsinteressen“ zu machen.
Diesen Vorwurf wollte Dr. Rainer Stinner von der FDP-Fraktion nicht unwidersprochen lassen: Einfluss und außenpolitische Handlungsfähigkeit eines Landes würden „in einem ganz hohen Maße“ von seiner wirtschaftlichen Kraft abhängen. Überdies sei der Vorwurf falsch: so sei der Etat für die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik 2012 so hoch wie nie zuvor.
Stinner unterstrich, dass sich Deutschland in einem Lernprozess befinde. Eine multipolare Welt entwickle sich nicht nur nach europäischen Modellen und Werten: "Wir müssen auch lernen mit Staaten umzugehen, die anders ticken als wir.“
Ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke (17/8624) fand im Anschluss an die Debatte keine Mehrheit.
Die Fraktion hatte darin die Bundesregierung aufgefordert, „unverzüglich mit der palästinensischen Autonomiebehörde Verhandlungen über die gegenseitige Aufwertung des Status der Generaldelegation Palästinas in Deutschland und der deutschen Generaldelegation in Ramallah aufzunehmen“. (ahe)