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„Nach dem Fall der Mauer 1989 habe ich viel Besuch von Verwandten aus der DDR bekommen. Jahrzehntelang war das ja nicht möglich gewesen. Einmal haben wir zusammen einen Ausflug nach Frankreich gemacht. Für diese Menschen, die bis dahin nie frei reisen konnten, war das eine ganz wichtige Erfahrung. Ich erinnere mich noch genau, wie sie mich während der Autofahrt fragten, wann denn die Grenzkontrolle komme. Und es gar nicht glauben konnten, als ich sagte: Wir sind schon mitten in Frankreich!
Dieses Erlebnis hat mir eindrücklich vor Augen geführt, was es bedeutet, sein Leben in geschlossenen Grenzen zubringen zu müssen. Und umgekehrt: Welch Riesenglück ein Europa ohne Grenzkontrollen ist. Für mich als Liberale ist das auch eine Form von Freiheitsdenken: Das Zeitalter Europas ist das Zeitalter, ohne Grenzen denken zu müssen und denken zu dürfen. Im europäischen Grundgedanken, dass ein unkompliziertes Miteinander, ein wechselseitiges Lernen, ein offener Austausch zwischen den verschiedenen Nationen möglich ist, liegt unsere große Chance — in persönlicher wie in wirtschaftlicher Hinsicht.
Deshalb setze ich mich als Abgeordnete des Wahlkreises Offenburg, der ja direkt an Frankreich grenzt, sehr für die Schaffung des Eurodistrikts Straß burg-Kehl ein. Er soll Europa auf kommunaler Ebene umsetzen und den Menschen beiderseits der Grenze ganz konkrete Vorteile bringen. So sollen Telefongespräche innerhalb des Eurodistrikts zum Ortstarif angeboten werden. Mein Kollege auf französischer Seite hat zudem angeregt, im Gesundheitswesen enger zu kooperieren.
Ganz begeistert bin ich von der Idee eines Vereins in meinem Wahlkreis, eine Eurodistrikt-Schule in freier Trägerschaft zu gründen. Sie soll zu gleichen Teilen deutsche und französische Schüler aufnehmen, die gemeinsam auf Französisch und Deutsch unterrichtet werden. Ziel ist natürlich, die Zweisprachigkeit zu fördern. Und die Jugendlichen sollen lernen, dass es verschiedene Sichtweisen zu ein und demselben Thema geben kann — je nach nationaler Prägung.
Diese Schule halte ich für sehr wichtig. Denn das Zusammenwachsen Europas funktioniert nur, wenn wir ein Verständnis für die unterschiedlichen kulturellen Eigenarten entwickeln. Leider ist die Finanzierung der Eurodistrikt-Schule noch keineswegs gesichert. Zudem stehen die staatlichen Schulverwaltungen in bei den Ländern dem Vorhaben eher skeptisch gegenüber. Da zeigt sich auch im Kleinen mal wieder: Wer sich für Europa engagiert, braucht einen langen Atem.”
Sibylle Laurischk (FDP), Jahrgang 1954, ist seit 2002 Mitglied des Bundestages. Sie ist ordentliches
Mitglied des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie des Unterausschusses Bürgerschaftliches
Engagement. Als Abgeordnete des an Frankreich grenzenden Wahlkreises Offenburg engagiert sie sich für die Schaffung
eines Eurodistrikts Straßburg-Kehl.
sibylle.laurischk@bundestag.de
www.laurischk.de
Eurodistrikt Straßburg-Kehl
In der Gemeinsamen Erklärung des französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac und des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder zum 40. Jahrestag des Elysée-Vertrages heißt es: „Wir unterstützen die Schaffung eines Eurodistrikts Straßburg-Kehl mit guter Verkehrsanbindung, um neue Formen der Kooperation
zu erforschen und europäische Institutionen aufzunehmen, und rufen zur Schaffung weiterer Eurodistrikte auf.”
Nun ist der Ball bei Politikern und Bürgern. In naher Zukunft sollen im Eurodistrikt gemeinsame Maßnahmen verwirklicht werden, etwa beim öffentlichen Nahverkehr, der Müll beseitigung oder bei kulturellen Veranstaltungen. Große Infrastrukturmaßnahmen sollen grenzüberschreitend geplant und abgestimmt werden.
www.eurodistrikt.de