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SPD und Linke wollen die Berufsperspektiven junger Wissenschaftler verbessern. © pa/Bildagentur online
Die große Anzahl der befristeten Anstellungen des wissenschaftlichen Nachwuchses an den deutschen Hochschulen führt zu prekären Lebensverhältnissen und mangelhaften beruflichen Perspektiven. Das machten  die Redner der Oppositionsfraktionen in der Debatte um die „Zukunft des wissenschaftlichen Nachwuchses" am Donnerstag, 22. September 2011, deutlich. Gegenstand der Debatte waren je ein Antrag der SPD-Fraktion (17/6336) und der Fraktion Die Linke (17/6488).
„Die Leute sind hoch motiviert, aber sie leiden unter großer beruflicher Unsicherheit", kritisierte Swen Schulz (SPD). Es gebe zu wenig Aufstiegschancen an den deutschen Hochschulen. Weniger als zehn Prozent der Wissenschaftler hätten überhaupt noch eine unbefristete Stelle. Viele würden aufgrund der Perspektivlosigkeit ins Ausland gehen. „Das ist ein Problem für die gesamten Gesellschaft, weil uns die Leute verloren gehen", beschrieb der Sozialdemokrat die Situation.
Die SPD fordert in ihrem Antrag eine Personaloffensive für die Hochschulen. Es sollen 2.500 Professorenstellen und 1.000 Juniorprofessorenstellen als Alternative zur Habilitation geschaffen werden. Der Tenure Track, also die Chance nach einer befristeten Bewährungszeit eine Lebenszeitprofessur zu erhalten, soll gestärkt werden. Genauso wichtig sei es aber die Kinderbetreuung auszubauen, damit die Vereinbarkeit von Familie und Wissenschaft verbessert werde. Schulz warf in der Debatte der Bundesregierung vor, die „Dinge einfach so laufen zu lassen".
Für die CDU/CSU wies Albert Rupprecht die Vorwürfe gegen die Bundesregierung zurück. In wenigen Wochen werde zu dem Thema im Deutschen Bundestag ein Antrag eingereicht werden. Inhaltlich teilte Rupprecht die Kritik teilweise. Er wies aber darauf hin, dass die Anzahl der Wissenschaftler in Deutschland erheblich gestiegen sei. Insgesamt habe die Anzahl der Wissenschaftler von 2005 bis 2009 um 25 Prozent zugenommen, bei den Professoren habe es eine Steigerung um sechs Prozent, bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern um 31 Prozent gegeben.
Zuwächse gebe es auch in den außeruniversitären Forschungseinrichtungen. „Es gab noch nie so viele Stellen für den wissenschaftlichen Nachwuchs an den Hochschulen wie derzeit", sagte Rupprecht. An diesem Zuwachs habe der Bund einen wesentlichen Anteil. Dennoch müsste man die Frage stellen: Wieso geben die Hochschulen dem wissenschaftlichen Nachwuchs diese Sicherheit in den Arbeitsverträgen nicht weiter? „Das ist in der Tat der kritische Punkt", so Rupprecht. Es gebe zu viele Verträge, die über die Maßen befristet seien. „Wir fordern Nachhaltigkeit und Verlässlichkeit genauso wie Orientierung an Leistung und Qualität", machte er die Grundsätze deutlich.
Die Linksfraktion wendet sich insgesamt gegen die Befristung von Arbeitsverträgen in der Wissenschaft. „Wenn über akademischen Nachwuchs gesprochen wird, dann haben wir es nicht mit der Vorschulgruppe des Wissenschaftssystem zu tun", sagte Dr. Petra Sitte (Die Linke). Es gehe in dieser Debatte um 85 Prozent der Wissenschaftler dieses Landes und nicht um eine Randgruppe.
Das deutsche Universitätssystem weise im Kern immer noch die Personalstruktur des 19. Jahrhundert auf, der alten Ordinarienstruktur. Sie verglich in Anlehnung an den Schweizer Historiker Caspar Hirschi die Situation von manchen Wissenschaftlern mit Günstlingen an Fürstenhöfen. Mittlerweile sei in Massen ein akademisches Proletariat entstanden.
Gegen den Ausbau unbefristeter Stellen wandte sich Dr. Martin Neumann (FDP). Das deutsche Hochschulsystem sei international vernetzt. Da gebe es keinen Platz für nationale Besonderheiten. Zudem sei die Lage in der Wissenschaft nicht so schlecht wie dargestellt.
Immerhin würden 11,7 Prozent eines Hochschuljahrganges promovieren. In der EU liege der Durchschnitt lediglich bei 2,3 Prozent. Grundsätzlich forderte Neumann mehr „Autonomie für die Hochschulen". Das würde auch gleichzeitig die Situation der Wissenschaftler verbessern.
Krista Sager (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte ebenfalls die prekären Beschäftigungsverhältnisse von Wissenschaftlern. Dies sei ein Problem für das gesamte deutsche Wissenschaftssystem: „Wenn Wissenschaft als Beruf im Wettbewerb mit privaten Arbeitgebern immer unattraktiver wird, dann gefährdet das das deutsche Wissenschaftssystem insgesamt."
Sager forderte das Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu überarbeiten, da immer mehr Wissenschaftler mit Vertragslaufzeiten von unter einem Jahr leben müssten. „Die Tarifsperre im Wissenschaftszeitvertrag muss aufgehoben werden." (rol)
Der Bundestag diskutiert über die Zukunft des wissenschaftlichen Nachwuchses. Gegenstand der Debatte am Donnerstag, 22. September 2011, sind je ein Antrag der SPD-Fraktion (17/6336) und der Fraktion Die Linke (17/6488), die im Anschluss an die zuständigen Ausschüsse überwiesen werden. Während sich die SPD-Fraktion in ihrer Vorlage für eine Personaloffensive für den wissenschaftlichen Nachwuchs ausspricht, möchte die Linksfraktion gegen die Befristung von Arbeitsverträgen in der Wissenschaft vorgehen. Für die Aussprache sind 75 Minuten vorgesehen, sie beginnt um 10.25 Uhr.
Nach dem Willen der SPD-Fraktion soll die Personaloffensive an den Hochschulen unter anderem 2.500 zusätzliche Professuren bis 2020 und 1.000 zusätzliche Juniorprofessuren bis 2015 beinhalten. Außerdem soll der Frauenanteil in den Führungsgremien der Hochschulen auf mindestens 30 Prozent bis 2015 und 40 Prozent bis 2020 gesteigert werden.
Zusätzlich sollen die Kinderbetreuungsangebote „zur besseren Vereinbarkeit von Familie und wissenschaftlicher Karriere" ausgebaut werden. Zur Finanzierung der Personaloffensive möchte die Fraktion die Bundesförderung an der zu erwartenden erhöhten Studiennachfrage anpassen.
Zudem möchten die Abgeordneten die Hochschulen verpflichten, den Anteil des unbefristet beschäftigten wissenschaftlichen Personals zu erhöhen. „Der Trend zu befristeten Beschäftigungen in der Wissenschaft trägt bei den jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besonders stark zur negativen Wahrnehmung ihrer Karrierechancen bei", heißt es zur Begründung.
Auch die Fraktion Die Linke möchte befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft eindämmen. Durch die zunehmende Befristung und Verkürzung der Verträge an Hochschulen und wissenschaftlichen Instituten verliere dieses Berufsfeld an Attraktivität, begründen die Abgeordneten ihre Initiative. 2009 waren nach Angaben der Fraktion 83 Prozent der hauptberuflich angestellten Wissenschaftler befristet beschäftigt, mehr als die Hälfte dieser Verträge lief weniger als ein Jahr.
Die Abgeordneten fordern daher, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu überarbeiten. Dort soll unter anderem eine Mindestvertragslaufzeit für wissenschaftliche Mitarbeiter von einem Jahr festgelegt werden. Darüber hinaus verlangt die Fraktion, die Vertragslaufzeiten an die Dauer der Qualifizierungsphase beziehungsweise an die Förderdauer der Projekte zu binden.
Um die familienpolitische Komponente des Gesetzes zu stärken, strebt die Fraktion an, den Anspruch auf Verlängerung der Befristungshöchstdauer über zwölf Monate hinaus bei Betreuung von Kindern rechtsverbindlich festzulegen. (tyh)