Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Textarchiv > 2011 > Wahlrecht
Fast drei Monate nach Ablauf der vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Frist zur Neuregelung des Wahlrechts befasst sich der Bundestag am Donnerstag, 29. September 2011, ab etwa 14.20 Uhr abschließend mit entsprechenden Gesetzentwürfen der schwarz-gelben Koalition (17/6290) sowie der Oppositionsfraktionen von SPD (17/5895), Die Linke (17/5896) und Bündnis 90/Die Grünen (17/4694). Zu der auf 75 Minuten veranschlagten Debatte ab etwa 14.20 Uhr liegt den Parlamentariern eine Beschlussempfehlung des Innenausschusses (17/7069) vor, den von CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurf in modifizierter Fassung anzunehmen und die drei Oppositionsvorlagen abzulehnen. Über den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen soll namentlich abgestimmt werden.
Mit den Gesetzentwürfen reagieren die Abgeordneten auf ein Urteil des Verfassungsgerichts vom 3. Juli 2008, in dem der Gesetzgeber verpflichtet wurde, das Wahlrecht "spätestens bis zum 30. Juni 2011" zu reformieren. Wie die Richter in ihrer Entscheidung (Az: 2 BvC 1/ 07, 2 BvC 7/ 07) urteilten, verstößt das Bundeswahlgesetz punktuell gegen die Verfassung, weil "ein Zuwachs an Zweitstimmen zu einem Verlust an Sitzen der Landeslisten oder ein Verlust an Zweitstimmen zu einem Zuwachs an Sitzen der Landeslisten führen kann".
Dieser paradoxe Effekt des sogenannten negativen Stimmgewichts tritt im Zusammenhang mit Ãœberhangmandaten auf, die Parteien erhalten, wenn sie in einem Land mehr Direktmandate erringen, als ihnen laut Zweitstimmenergebnis zusteht.
Nach dem Gesetzentwurf der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion soll die bisher mögliche Verbindung von Landeslisten einer Partei abgeschafft werden. Damit könnten die in einem Bundesland errungenen Zweitstimmen einer Partei nicht mehr mit den in einem anderen Land erzielten Zweitstimmen verrechnet werden. Durch den Verzicht auf Listenverbindungen werde die Häufigkeit des Auftretens des negativen Stimmgewichts "erheblich reduziert". Ergänzt werden soll die Neuregelung laut Koalitionsvorlage "um eine Sitzverteilung auf der Grundlage von Sitzkontingenten der Länder, die sich nach der Anzahl der Wähler in den Ländern bestimmen".
Ist die Zahl der Zweitstimmen einer Partei, die in den 16 Ländern nicht zu einem Sitz geführt haben, größer als die im Bundesdurchschnitt für ein Mandat erforderliche Stimmenzahl, sollen dem Entwurf zufolge zum Ausgleich weitere Mandate vergeben werden. Nach einem mit den Stimmen der Unions- und der FDP-Fraktion im Ausschuss angenommenen Änderungsantrag der Koalition sollen dabei diese weiteren Sitze zunächst den Landeslisten einer Partei zugeteilt werden, auf die Überhangmandate entfallen sind.
Die SPD-Fraktion sieht in ihrer Vorlage vor, die Zahl der Abgeordneten gegebenenfalls "so weit anzupassen, dass Überhangmandate im Verhältnis der Parteien zueinander vollständig ausgeglichen werden". Mit einer solchen Gesetzesänderung entfalle das negative Stimmgewicht "bis auf seltene und unvermeidliche Ausnahmefälle", schreibt die Fraktion.
Nach den Gesetzentwürfen der Linksfraktion und der Grünen sollen Direktmandate künftig bereits auf der Bundesebene und nicht mehr auf Länderebene auf das Zweitstimmenergebnis angerechnet werden. Sofern dann in Fällen wie bei der nur in Bayern vertretenen CSU, bei der die Anrechnung auf Bundesebene nicht möglich ist, dennoch Überhangmandate entstehen, sollen diese nach dem Willen der Linksfraktion mit Ausgleichsmandaten kompensiert werden.
Die Grünen-Fraktion sieht dagegen vor, dass in solchen Fällen entstandene Überhangmandate nicht mehr zuerkannt werden. Unbesetzt bleiben sollen dabei "diejenigen überschüssigen Sitze, die den geringsten prozentualen Stimmanteil aufweisen". (sto)