Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Textarchiv > 2011 > Interview Strässer
Trotz gewisser Fortschritte haben die Abgeordneten der Parlamentarischen Versammlung des Europarats "noch viel zu tun, um Sicherheit und Freiheit beim Antiterrorkampf auszubalancieren", sagt Christoph Strässer im Interview. Der SPD-Abgeordnete aus Münster ist stellvertretender Leiter der Bundestagsdelegation zur Sitzung der Parlamentarischen Versammlung des Europarats vom 3. bis 7. Oktober 2011 in Straßburg. Das Interview im Wortlaut:
Zu den Themen der Sitzung gehört die Unterstützung arabischer Reformländer. Nun reden auch Uno, Nato, EU oder OSZE viel von Hilfe für diese Demokratiebewegungen, aber konkret passiert wenig. Sind eigentlich der Europarat und dessen Parlament aktiv?
Zwischen verbalen Ankündigungen und dem, was praktisch geschieht, klafft in der Tat eine Lücke. Das hat mit einer gewissen Unsicherheit zu tun: Es ist nicht so recht erkennbar, wer sich hinter den Reformbewegungen eigentlich verbirgt. Für den Europarat ist es wichtig, dass er als angesehene Institution in den arabischen Ländern politisch-symbolische Signale im Sinne der Reformkräfte aussendet. Im Übrigen hat unser Parlament über eine Partnerschaft mit der marokkanischen Volksvertretung eine erste konkrete Initiative gestartet. Aber ohne Zweifel könnte Straßburg mehr tun.
Auch mit dem Palästinensischen Nationalrat soll jetzt eine Partnerschaft beschlossen werden. Aber kann dieses Gremium überhaupt als echtes Parlament gelten? Fördert oder belastet eine solche Hilfe den Friedensprozess in Nahost?
Die formelle Berechtigung des Nationalrats, als Parlament der Palästinenser aufzutreten, kann man jedenfalls nicht bezweifeln. Der Europarat hat im Übrigen den seinerzeitigen Wahlprozess gefördert.  Mit der Installierung der Partnerschaft verknüpfen wir die Botschaft, dass es im Konflikt mit Israel eine Kompromisslösung geben muss. Die Kooperation mit dem Palästinensischen Nationalrat dürfte den Verhandlungsprozess eher nach vorne bringen als behindern.
Wie schon öfters beschäftigt sich die Volksvertretung des Europarats auch dieses Mal mit den Gefahren, die von der Terrorbekämpfung für die Grundrechte ausgehen. Hat der Staatenbund auf diesem Gebiet Erfolge erzielt?
Im Grunde ist der Europarat die einzige internationale Organisation, die sich nachhaltig für die Beachtung freiheitlicher Rechtsstaatlichkeit beim Vorgehen gegen den Terrorismus engagiert. Natürlich können wir in den Mitgliedsländern nichts konkret anordnen. Unser Parlament hat aber mit mehreren kritischen Berichten etwa über die Geheimflüge der CIA mit Terrorverdächtigen und die Anlage von Geheimgefängnissen die Aufklärung auf nationaler Ebene angestoßen und vorangebracht. Das gilt auch auf die Bundesrepublik.
Wo liegen heutzutage die größten Probleme beim Antiterrorkampf?
In einigen Nationen wird die Meinungs- und Pressefreiheit immer noch eingeschränkt, was mit Erfordernissen des Vorgehens gegen Terroristen gerechtfertigt wird. Die Haftdauer für Verurteilte ist oft überproportional lang. In Deutschland wurden die nach den Attentaten vom 11. September geschaffenen speziellen Gesetze erst jüngst verlängert. Die Europarat-Abgeordneten haben noch viel zu tun, um Sicherheit und Freiheit beim Antiterrorkampf auszubalancieren.
Ein zur Debatte stehender Bericht kritisiert die Versuche von Regierungen, mit dem Verweis auf Staatsgeheimnisse die parlamentarische Aufklärung von Grundrechten bei der Terrorbekämpfung zu behindern. Trifft dies auch auf die Bundesrepublik zu? Hat der Europarat die Macht, für mehr Transparenz zu sorgen?
Auch hier gilt, dass der Europarat kritische Diskussionen in Gang gebracht hat. Hierzulande sollte etwa im Kundus-Untersuchungsausschuss möglichst viel geheim bleiben, und erst das Verfassungsgericht hat erreicht, dass mehr Informationen an die Öffentlichkeit gelangt sind.  Andere Länder setzen das Instrument des Staatsgeheimnisses inzwischen ebenfalls zurückhaltender ein. So konnte das rumänische Parlament letztlich doch kritisch über die in diesem Staat betriebenen CIA-Geheimknäste diskutieren.
Dieses Mal tritt zum letzten Mal der Schweizer Abgeordnete Dick Marty auf, der mit kritischen Berichten über den Antiterrorkampf über Jahre für viel Furore gesorgt und dem Europarat-Parlament viel Aufmerksamkeit verschafft hat. Warum finden sich nicht mehr profilierte Politiker, die dem Straßburger Abgeordnetenhaus ein Gesicht zu geben wissen?
Marty gehört zu den herausragenden Politikern im Europarat-Parlament, er hat den Finger in politische Wunden gelegt. Es ist schade, dass er ausscheidet. Ein Problem ist, dass das Profil des Staatenbunds, nämlich als Sachwalter der Rechtsstaatlichkeit zu agieren, zusehends verschwimmt, unter anderem deshalb, weil einzelne Staaten wie etwa Russland und Georgien oder Armenien und Aserbaidschan auf der Straßburger Bühne ihre jeweiligen bilateralen Konflikte in den Vordergrund spielen. Ein anderes Dilemma: In den nationalen Volksvertretungen, und das gilt auch für den Bundestag, wird der Europarat leider nicht sonderlich ernst genommen. Die Folge ist, dass sich zu wenige profilierte Leute in Straßburg engagieren wollen. Diese bedenkliche Entwicklung müssen wir kritisch diskutieren.Â
(kos)