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Es mutet abstrakt an, was sich die Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" vorgenommen hat: Die 17 Parlamentarier und 17 Wissenschaftler sollen das ökonomisch und quantitativ ausgerichtete Bruttosozialprodukt (BIP) als traditionelle Messgröße für gesellschaftliches Wohlergehen weiterentwickeln und um ökologische, soziale und kulturelle Kriterien ergänzen. Das klingt nach Seminaren für Statistiker, Wirtschaftsforscher und Kultursoziologen. Doch man hantiert mit politischem Sprengstoff: Wenn das Wohlergehen nicht mehr allein über die Wirtschaftsleistung, sondern auch über Aspekte wie ökologische Nachhaltigkeit, Verteilungsgerechtigkeit, Wohnqualität, gute Gesundheitsversorgung, Chancengleichheit im Bildungswesen oder Zugang zu guter Arbeit definiert wird, dann wird derart auch ein politischer Auftrag formuliert — nämlich der Gesellschaft den Weg in diese Richtung zu weisen und beispielsweise für mehr Umweltschutz oder für eine andere Verteilung des Reichtums zu sorgen. Da schlummert Zündstoff.
Nach dem Willen der Fraktionsobleute im Ausschuss wird das Plenum am Donnerstag, 10. Mai 2012, ab 18.50 Uhr 45 Minuten lang über die bislang vorliegenden Ergebnisse der Enquete-Kommission debattieren und eine kritische Zwischenbilanz ziehen. Stützen können sich die Redner dabei auf vorläufige Berichte von drei Projektgruppen, zwei weitere Arbeitskreise sind jüngst gestartet. Zudem haben die Vorsitzende Daniela Kolbe (SPD) und ihr Stellvertreter Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) im Vorfeld der Plenardiskussion ein Thesenpapier mit einer Bestandsaufnahme der bisherigen Arbeit publiziert.
Frisch in den Meinungsaustauch eingespeist werden dürften die Resultate einer für den 7. Mai anberaumten Ausschusssitzung, bei der die Resultate eines von Dr. Hermann Ott (Bündnis 90/Die Grünen) geleiteten Teams erörtert werden sollten: Diese Gruppe untersucht, wie der Rohstoffverbrauch drastisch reduziert und die Ressourceneffizienz verbessert werden kann.
Ãœber dieses Anliegen herrscht in der Kommission prinzipiell Einigkeit. Offen ist jedoch, wie dieses Ziel erreicht werden kann: Hoffnungen ruhen auf dem technischen Fortschritt etwa beim Recycling oder bei der Energieeffizienz. Strittig aber ist, inwieweit man auf marktwirtschaftliche Prinzipien oder auf staatlichen Dirigismus setzen soll, etwa durch die Festlegung von Verbrauchsobergrenzen.
Zudem forscht man nach Möglichkeiten, Hindernisse zu überwinden: Zu nennen ist etwa das "Rebound"-Dilemma, wenn Einsparungen beim Verbrauch durch eine Ausweitung des Ressourcenkonsums konterkariert werden – vermindert sich der Benzinbedarf bei Autos, führt dies zu mehr Fahrkilometern.
Eine Projektgruppe unter Stefanie Vogelsang (CDU/CSU) will einen "ganzheitlichen Wohlstands- und Fortschrittsindikator" entwickeln, womit dieser Arbeitskreis die Ergebnisse der anderen Teams zusammenführen soll. Ein Zwischenbericht schlägt eine begrenzte Zahl von Kriterien für einen erweiterten Wohlstandsbegriff über das BIP hinaus vor, wobei diese Messgröße weiterhin eine zentrale Rolle spielen soll. Als zusätzliche Indikatoren werden etwa genannt die Bereitstellung medizinischer Leistungen als Kriterium für die Qualität gesundheitlicher Versorgung, der Zugang zu Arbeit und Bildung als Maß für Verteilungsgerechtigkeit, Freiheit und Demokratie als Zeichen für gesellschaftlichen Zusammenhalt oder ökologische wie finanzielle Nachhaltigkeit.
Eine von Claudia Bögel (FDP) geleitete Projektgruppe widmet sich der Frage, welchen Stellenwert das Wachstum in Zukunft für die gesellschaftliche Entwicklung haben soll – ein zwischen Koalition und Opposition sehr umstrittenes Thema.
Das Thesenpapier Kolbes und Zimmers sendet aus Sicht der Vorsitzenden die "Kernbotschaft" aus, dass ein "breiter Konsens" möglich sei, wonach es nicht bei einer Politik bleiben könne, die sich an einer Fortschreibung der bisherigen Form des Wachstums ausrichtet. Dazu heißt es, die Zerstörung natürlicher Lebensgrundlagen, soziale Ungleichheiten, die Verknappung der Ressourcen oder auch Wirtschafts- und Finanzkrisen hätten das Bewusstsein geschärft, dass Wachstum zu einem Problem werden könne.
Indes weisen die Autoren darauf hin, dass man sich "in den Ansätzen zur Problemlösung" nicht einig sei. Erwähnt werden unterschiedliche Vorstellungen "über die Rolle des Staates und der Märkte" oder über das "Verhältnis von Einzelnem und Gesellschaft". Solche Konfliktlinien dürften auch im Plenum für Kontroversen sorgen.
Zur Bedeutung des Wachstums für die gesellschaftliche Entwicklung meinen FDP-Abgeordnete wie Judith Skudelny, eine hohe wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sei für ökologische Fortschritte unabdingbar. Zum Beispiel sei der Ausbau erneuerbarer Energien ohne Wachstum nicht zu finanzieren.
Sachverständige aus dem Oppositionsspektrum wie Michael Müller oder Dietmar Hexel kontern, man müsse stärker über negative Aspekte eines quantitativen Wachstums wie die Umweltbelastung diskutieren und sich um die Frage kümmern, wie etwa ökologische Nachhaltigkeit oder soziale Gerechtigkeit auch mit geringen oder stagnierenden Wachstumsraten erreicht werden können.
Bei einem Hearing forderte der Wissenschaftler Prof. Dr. Ernst-Ulrich von Weizsäcker, zur Überwindung des "Rebound"-Effekts solle die Politik den Energie- und Rohstoffverbrauch parallel zur Steigerung der Ressourceneffizienz verteuern. Damit wird jedoch die marktwirtschaftliche Preisgestaltung staatlicherseits außer Kraft gesetzt, was in der Kommission nicht ohne Widerspruch bleibt.
Gegenwind bekommt auch Weizsäckers Verlangen, die Politik müsse aus ökologischen Gründen den Flächenverbrauch bei der Errichtung von Wohngebäuden eindämmen. Für Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué, einen von der FDP benannten Sachverständigen, ist ein solcher Dirigismus wegen des Eingriffs in persönliche Freiheitsrechte nicht akzeptabel: Es sei nicht Sache des Staates, den Leuten vorzuschreiben, wie sie zu wohnen haben, nämlich auf einer begrenzten Wohnfläche etwa in Hochhäusern, weil für diese nicht so viel Fläche benötigt werden. (kos)