Menu | Plenum | Parlaments-TV |
Wenn Dorothee Bär in diesem Sommer ihr drittes Kind bekommt, ist man im Bundestag gewappnet. Dass die familienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion Mutterschutz nehmen wird, darauf ist die Verwaltung eingestellt. Ein Mutter-Kind-Büro steht für die Tage zur Verfügung, an denen der Nachwuchs der Bayerin krank sein sollte; es gibt Wickel- und Stillräume. Und wäre es nötig, dass Frau Bär mit Kind an einer namentlichen Abstimmung teilnimmt, wissen die Saaldiener, dass ein Kind im Plenarsaal sie nicht aus der Ruhe bringen muss.
All das ist inzwischen selbstverständlich. Doch nicht immer war der Bundestag so kinderfreundlich. Als die stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Ekin Deligöz, vor zehn Jahren ihren Sohn zur Welt gebracht hatte, "da wusste im Bundestag eigentlich niemand, was mit mir anzufangen sei". Das Mutterschutzgesetz habe damals für Abgeordnete noch nicht gegolten, "aber ich wollte mich auch nicht offiziell krank melden — das war ich ja schließlich nicht".
Für jedes Fehlen aber hätte die junge Mutter einen Teil ihrer Kostenpauschale zurückzahlen müssen. Auch die Türen der Bundestags-Kita sollten Deligöz und ihrem Nachwuchs zunächst verschlossen bleiben — gedacht war die Betreuung für die Kinder der Fraktions- und Verwaltungsmitarbeiter. Inzwischen werden auch Abgeordneten-Kinder aufgenommen, wenn es genügend freie Plätze gibt.
Ekin Deligöz ist darauf nicht mehr angewiesen. Ihr Sohn geht in die Schule und wird nachmittags betreut, die vierjährige Tochter besucht eine Kita, in der sie sich wohl fühlt. Deligöz ist überzeugt davon, dass gute Krippen und Kindergärten Kindern gut tun können. Dennoch sagt sie: "Ich bin das schlechte Gewissen auf zwei Beinen." Ein Arbeitspensum von 60 oder 70 Stunden sei in Sitzungswochen normal, "da bekommt man einfach nicht viel vom Alltag der beiden mit". Zwei Tage ohne die Kinder seien okay, bei drei Tagen wird es unangenehm und bei fünf Tagen bekomme ich regelrecht Schmerzen".
Die hohe Arbeitsbelastung aber kann ihr auch eine noch so gut ausgestattete und willige Bundestagsverwaltung nicht abnehmen: "Das ist einfach eine riesige planerische Herausforderung." Sie versuche, viel im Block zu arbeiten und sich dann wieder mehrere Tage für die Kinder freizuhalten, sagt die 41-Jährige, und im Urlaub keine Termine zu machen, auch wenn das nicht immer auf Begeisterung stoße. Umso wichtiger ist es ihr, dass sich aktiv Erziehende mit ihren Blickwinkeln in die politischen Debatten einbringen.
Nicht zu viel auf die Meinung anderer zu geben, versucht auch Dorothee Bär. Sie hält es für "Quatsch, wenn man sagt, dass Abgeordnetenmandat und Familie nicht zusammengehen". Sie sei enttäuscht gewesen, als Kolleginnen ihr Mandat aufgaben, sobald sie Nachwuchs bekamen: "Wenn es keine jungen Mütter gäbe, die Bundestagsabgeordnete sind, wäre ein Teil unserer Gesellschaft im Bundestag nicht vertreten. Damit würde viel persönlicher Erfahrungsschatz fehlen, der junge Familien betrifft." Wer es aus eigener Erfahrung kenne, morgens in den Kindergarten zu hetzen "und sich dann kurz vor dem Termin noch die Flecken vom Blazer" wischen zu müssen, könne deren Belange vertreten.
Ihre fünfjährige Tochter geht daheim in Bayern in einen Kindergarten, die 15 Monate alte Zweitgeborene wird von Bärs Großmutter betreut. Im ersten Jahr habe sie beide Töchter meist mit nach Berlin genommen, sagt die 34-Jährige, danach habe sie beide guten Gewissens bei ihrer Familie gelassen. In eine Krippe habe sie die Mädchen nicht geben wollen, "da gab es einfach keine Notwendigkeit". Dass sie häufig gefragt werde, wie sie das denn hinbekomme mit Mandat und Kindern, ärgert sie: "Meinen Mann fragt das auch niemand."
Die gleiche Erfahrung hat auch die FDP-Abgeordnete Judith Skudelny gemacht. "Bei meinen männlichen Kollegen thematisiert das kein Mensch." Die haben allerdings auch nicht die Erfahrung der 36-Jährigen gemacht, die im Jahr 2009 ihre damals viermonatige Tochter mit zur konstituierenden Sitzung des Bundestags nahm — und prompt von den Saaldienern nicht hineingelassen wurde, "weil die Kleine kein gewähltes Mitglied des Hauses war". Heute erscheint ihr dies absurd, damals "war ich frustriert darüber, dass das offenbar für alle eine so unbekannte Situation war".
Der große Vorteil des Abgeordnetenjobs sei das immense Maß an Selbstständigkeit — der Nachteil die Erwartungshaltung, für jeden Termin zur Verfügung zu stehen. Inzwischen hat Skudelnys Mann mit "einiger Vehemenz" verhandelt, dass seine Frau nur noch an drei, maximal vier Tagen Abendtermine wahrnimmt. Das schlechte Gewissen ihrer Grünen-Kollegin kann die FDP-Abgeordnete dennoch nur zu gut nachvollziehen: "Wenn ich nicht da bin, wenn mein Kind nachts weint, fällt mir das schwer. Man muss sich schon darüber im Klaren sein, dass mit dem Mandat sowohl persönliche Opfer als auch welche für die Familie verbunden sind."
Die Herausforderung deshalb aber gar nicht erst anzunehmen, sei keine Option: "Wir dürfen die Politik nicht denen überlassen, die übrig bleiben, wenn Eltern nicht zur Verfügung stehen." (suk)