Navigationspfad: Startseite > Besuchen Sie uns > Ausstellungen > Ständige Ausstellung > Katalog > III. Das kaiserliche Deutschland, Parlamentsarchitektur in Deutschland
Parlamentsarchitektur in Deutschland
Die relativ späte Ausbildung politisch relevanter parlamentarischer Strukturen in Deutschland findet auch in der eher zögerlichen Entwicklung einer eigenständigen Parlamentsarchitektur ihren Niederschlag. Vielfach treten die Kammern zunächst in sogenannten "hôtels particuliers" zusammen, für die gemäß ihrer Nutzung die an vorabsolutistische Traditionen politischer Teilhabe erinnernde Bezeichnung "Ständehäuser" Gebrauch findet. Auch die Wahl der Tagungsstätte für die Frankfurter Nationalversammlung, die am 18. Mai 1848 zusammentritt, wird vorrangig durch reine Zweckmäßigkeitserwägungen bestimmt: Die 1833 geweihte Paulskirche ist der größte Versammlungsraum der Stadt.
Als Berlin zur Hauptstadt des Norddeutschen Bundes und schließlich des Deutschen Reiches wird, ist für die anreisenden Parlamentarier die Zeit der Notunterkünfte noch längst nicht abgelaufen. Sowohl das Zollparlament als auch kurzzeitig der erste gesamtdeutsche Reichstag werden im preußischen Abgeordnetenhaus untergebracht: dem vormaligen Palais Hardenberg in der Leipziger Straße, das 1849 durch Georg Heinrich Bürde als Tagungsort für die Zweite Kammer des Preußischen Landtags hergerichtet worden ist. Das nächste Provisorium im Gebäude der Königlichen Porzellan-Manufaktur, in das der Reichstag im Oktober 1871 einzieht, verfügt immerhin über eine größere Besuchertribüne, ein Podium für die Vertreter des Bundesrats und eine Sitzanordnung, die die übersichtliche Platzierung der einzelnen Fraktionen ermöglicht.
An Paul Wallots monumentalem Neorenaissancebau am Königsplatz, der nach zahllosen Diskussionen und zehnjähriger Bauzeit am 5. Dezember 1894 endlich eingeweiht werden kann, scheiden sich zunächst die Geister. Für das Jurymitglied Friedrich von Thiersch handelt es sich um den "bedeutendsten Bau der neueren Deutschen Architekturgeschichte", der Kunsthistoriker Karl von Lützow hingegen spricht abschätzig von der Plumpheit und Monstrosität dieser "völlig verunglückten Schöpfung". Trotz aller Anfeindungen gewinnt das erste originäre deutsche Reichstagsgebäude rasch an Popularität. Am 12. Dezember 1916 wird die schon von Wallot vorgesehene Zueignung "Dem Deutschen Volke" endlich über dem Hauptportal angebracht, dreieinhalb Jahre nach Ausrufung der Republik, im Juni 1922, ein Ausschuss mit der Aufgabe betraut, "die am Gebäude sehr zahlreich vorhandenen monarchistischen und kriegerischen Symbole zu reduzieren".
Nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 hält Hitler zwar am Wiederaufbau des Gebäudes fest, doch soll es in der hybriden Überwältigungsarchitektur der unter Leitung Albert Speers konzipierten Reichshauptstadt "Germania" nur eine untergeordnete Rolle spielen. Der Zweite Weltkrieg verhindert die Umsetzung derartiger Baupläne. Am 30. April 1945 hissen die Sieger der Schlacht um Berlin auf dem Dach des zerstörten Reichstagsgebäudes die rote Fahne.
In den folgenden Jahrzehnten entwickelt sich in Bonn eine andere, nachgerade singuläre Parlamentsarchitektur. Die sachliche Gliederung der nach Plänen Hans Schwipperts zum Bundeshaus umgebauten Pädagogischen Akademie, ihre betont unspektakuläre Ausstattung und die Nüchternheit des auf zwei Seiten verglasten Plenarsaals symbolisieren den antiimperialen Gestus und die politische Bescheidenheit, mit der die deutsche Demokratie auf die politische Bühne Europas zurückkehrte. In den 1960er Jahren wird jedoch bekannt, dass der Plenarsaal dem geltenden Bauordnungsrecht nicht mehr entspricht. In dem 1972/73 durchgeführten Bauwettbewerb für einen neuen Plenarbereich setzt sich der Entwurf von Günter Behnisch durch. Behnischs Absicht, das Spielerische als "Metapher der Freiheit" kenntlich zu machen, führt am Ende zu einem Parlamentsneubau, der sich harmonisch in die Rheinauenlandschaft einfügt und aus dem Wechselspiel transparenter und massiver Bauelemente eine besondere Aura gewinnt. Als der Bundestag am 30. Oktober 1992 das neue Domizil bezieht, ist sein Umzug nach Berlin jedoch bereits beschlossene Sache.
Von 1949 bis zur Wiedervereinigung firmiert der Ostteil Berlins als Hauptstadt der DDR und Sitz ihres Parlaments. Doch erst im 25. Jahr ihres Bestehens wird beschlossen, der Volkskammer in dem in Bau befindlichen Palast der Republik einen modernen Plenarsaal mit 700 Plätzen anzuweisen. Gleichwohl bleibt der nach Plänen Heinz Graffunders auf dem Gelände des gesprengten Stadtschlosses errichtete Repräsentativbau mit seinem weiträumigen Foyer, seinen Galerien und Restaurants vielen früheren Bürgern der DDR eher als Volkskulturhaus denn als Tagunsort ihres Parlaments in Erinnerung.
Als der Ältestenrat des Bundestages am 30. Oktober 1991 beschließt, dass der historische Wallot-Bau als Sitz eines gesamtdeutschen Parlaments wiederhergestellt werden soll, rückt das Berliner Reichstagsgebäude wieder ins Zentrum des öffentlichen Interesses. Sir Norman Foster, der Sieger des Realisierungswettbewerbs, verzichtet nach längeren Diskussionen auf die geplante Überdachung; errichtet werden soll stattdessen eine innen begehbare Kuppel aus Glas, aber nicht in der ursprünglichen Gestalt, sondern in der Architektur des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts. Auch ansonsten entspricht Fosters überarbeiteter Entwurf ganz dem städtebaulichen Konzept der kritischen Rekonstruktion.
Im November 1994 setzen im Innern des Reichstagsgebäudes massive Umbauarbeiten ein. Ohne historische Spuren dabei gänzlich zu tilgen, wird das Bauwerk systematisch entkernt und für den Einbau des neuen Plenarsaals mit seiner ellipsenförmigen Sitzanordnung vorbereitet. Am 19. April 1999 ist es soweit: Das Gebäude, das dem Deutschen Bundestag vom folgenden Herbst an als Tagungsstätte dienen soll, wird feierlich seiner Bestimmung übergeben.