Navigationspfad: Startseite > Der Bundestag > Präsidium > Reden des Präsidenten > 2011 > Begrüßung des Papstes Benedikt XVI. im Bundestag
Heiliger Vater! Herr Bundespräsident! Eminenzen! Exzellenzen! Sehr geehrte Mitglieder des Deutschen Bundestages, der Bundesregierung, des Bundesrates! Verehrte Gäste! Herzlich begrüße ich Sie alle im Deutschen Bundestag, in den wir heute nicht zum ersten Mal einen hohen Gast geladen haben. Aber noch nie in der Geschichte hat ein Papst vor einem gewählten deutschen Parlament gesprochen. Und selten hat in diesem Haus eine Rede, noch bevor sie gehalten wurde, so viel Aufmerksamkeit und Interesse gefunden – nicht nur in Deutschland, sondern weit darüber hinaus.
Seien Sie, Heiliger Vater, in Deutschland, Ihrem Heimatland, herzlich willkommen und ganz besonders hier im Deutschen Bundestag!
Meine Damen und Herren, in der kurzen Amtszeit des letzten aus deutschen Landen stammenden Papstes vor fast 500 Jahren gab es Deutschland als Nationalstaat noch gar nicht, vielmehr das sogenannte "Heilige Römische Reich Deutscher Nation", ein durch wechselnde Dynastien geprägtes Reich, das ebenso viel und ebenso wenig römisch war wie deutsch, sicher keine Nation und schon gar nicht heilig. Deutschland ist ein Land, das durch Religion und Religionskriege über Jahrhunderte hinweg geprägt war, bis hin zum sogenannten "Kulturkampf" zur Zeit der Gründung des deutschen Reiches; ein Land, dessen christliche Glaubenstraditionen auch unsere heutige Verfassung beeinflusst und die Arbeit der Verfassungsväter und –mütter wesentlich bestimmt haben: "Im Bewusstsein unserer Verantwortung vor Gott und den Menschen", wie es in der Präambel unseres Grundgesetzes heißt.
Unser heutiges Verständnis der Grundrechte, der Unantastbarkeit der Würde des Menschen und seiner Freiheitsrechte ist aber auch geprägt von historischen Erfahrungen und Errungenschaften, insbesondere der Aufklärung, der wir nicht nur die Herausforderung des Glaubens durch die Vernunft verdanken, sondern auch die Trennung von Kirche und Staat, die zu den unaufgebbaren Fortschritten unserer Zivilisation gehört.
Ich erinnere gerne an den denkwürdigen Dialog zwischen Joseph Kardinal Ratzinger, dem damaligen Präfekten der römischen Glaubenskongregation, und Jürgen Habermas, die gemeinsam Glaube und Vernunft als "die beiden großen Kulturen des Westens" beschrieben und gewürdigt haben.
Glaube und Vernunft: In Zeiten der Globalisierung, einer von Kriegen und Krisen erschütterten Welt suchen viele Menschen nach Halt und Orientierung. Die Bewahrung ethischer Prinzipien jenseits von Märkten und Mächten und die Pflege gemeinsamer Werte und Überzeugungen ist eine große Herausforderung auch und gerade moderner Gesellschaften, wenn sie ihren inneren Zusammenhalt nicht gefährden wollen.
Deutschland, meine Damen und Herren, ist das Land der Reformation, die vor fast 500 Jahren hier ihren Anfang hatte – mit vielfältigen Folgen für die Kirche, aber auch für Staat und Gesellschaft. Viele Menschen in Deutschland, nicht nur engagierte Katholiken und Protestanten, empfinden die Fortdauer der Kirchenspaltung als Ärgernis, auch deshalb, weil sie ehrlich begründete Zweifel haben, ob die Unterschiede zwischen den Konfessionen, die es zweifellos gibt, die Aufrechterhaltung der Trennung zwischen den Kirchen rechtfertigen können. Und sie wünschen sich dringlich, dass im Pontifikat eines deutschen Papstes, des ersten nach der Reformation, nicht nur ein weiteres Bekenntnis zur Ökumene, sondern ein unübersehbarer Schritt zur Überwindung der Kirchenspaltung stattfinde.
Ihre Gespräche mit Vertretern anderer Religionen, Heiliger Vater, sind ein wesentlicher Bestandteil Ihres Deutschlandbesuches. Dass Ihre Begegnung mit Repräsentanten der evangelischen Kirche in Erfurt stattfindet, nicht irgendwo, sondern im Augustiner-Kloster, wird nicht nur von vielen Christen als demonstrative Geste verstanden und gewürdigt – und begründet die Hoffnung, dass der 500. Jahrestag der Reformation 2017 ein gemeinsames Zeugnis des Glaubens werden könnte. Neben Ihrem Treffen mit Vertretern islamischer Gemeinden werden Sie auch mit Repräsentanten der jüdischen Gemeinschaft zusammentreffen.
Das Reichstagsgebäude, meine Damen und Herren, in dem wir heute zusammen sind, ist ein historischer Ort deutscher Geschichte. Es steht für Aufstieg und Fall einer parlamentarischen Demokratie. Eine wesentliche Ursache des Scheiterns war der Mangel an Toleranz, deren Opfer vor allem jüdische Mitbürger wurden. Und es waren Christen, die weggesehen und mitgemacht, diffamiert, verfolgt, gedemütigt und getötet haben.
Deshalb ist es auch ein besonderes Zeichen, dass Ihre Begegnung, Heiliger Vater, mit den Repräsentanten der wachsenden jüdischen Gemeinde in Deutschland heute im Anschluss an Ihre Rede hier in diesem Gebäude, dem Sitz eines freigewählten Parlamentes im wiedervereinten Deutschland, stattfindet, das sich als Teil eines gemeinsamen Werten und Überzeugungen verpflichteten Europas versteht.
Wir sind dankbar, dass wir Gastgeber sein dürfen, und wir sind entschlossen, unserer Verantwortung für Menschenwürde, Freiheit des religiösen wie des politischen Bekenntnisses und Toleranz gegenüber unterschiedlichen Überzeugungen und Orientierungen gerecht zu werden, "von dem Willen beseelt" – wie es in der Präambel des Grundgesetzes heißt –, "als gleichberechtigtes Glied in einem freien Europa dem Frieden der Welt zu dienen" – "im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen."
In diesem Bewusstsein, heiliger Vater, freuen wir uns über Ihren Besuch und auf Ihre Ansprache.