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Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble (CDU) hat in der Generalaussprache zur Finanz- und Haushaltspolitik am Donnerstag, 12. November 2009, das von Union und FDP geplante Wachstumsbeschleunigungsgesetz (17/15) gegen die Kritik der Opposition verteidigt. Das Maßnahmenbündel sei notwendig für einen künftigen "selbsttragenden" wirtschaftlichen Aufschwung. SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen geißelten das Gesetzespaket und forderten die Bundesregierung auf, ihren "Steuersenkungskurs auf Pump" zu beenden.
Schäuble bezeichnete die ersten Anzeichen der wirtschaftlichen Erholung zwar als erfreulich, doch gebe es berechtigte Zweifel, ob der Aufschwung tatsächlich nachhaltig sei. Bislang beruhe er vor allem auf der Wirkung staatlicher Konjunkturprogramme. Die steigende Arbeitslosigkeit, die drohende Kreditklemme und die immer noch schwache Exportnachfrage zeigten, dass die Krise nicht vorbei und die Politik weiter gefordert sei.
"Wir müssen das Wachstum stärken, um schneller durch die Krise zu kommen", sagte der Bundesfinanzminister. Der vorliegende Entwurf eines Wachstumsbeschleunigungsgesetzes sei Ausdruck einer wachstumsorientierten Steuerpolitik, wie sie die Große Koalition begonnen habe.
Mit der Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrags sowie gezielten Korrekturen von "Fehlern" bei der Erbschaftsteuerreform wolle die schwarz-gelbe Koalition dazu beitragen, dass sich der Aufschwung künftig selbst tragen könne. Zudem seien die Reformen ein Beitrag zu mehr Flexibilität im Steuerrecht und zum Abbau von Bürokratie, so Schäuble.
Trotz der Steuersenkungspolitik stehe die Koalition aber fest zum Europäischen Stabilitätspakt. Ab 2011 werde sie, wie mit der Schuldenbremse im Grundgesetz verankert, mit der Konsolidierung beginnen und 2013 die Defizitkriterien von Maastricht wieder unterschreiten, versprach der CDU-Politiker.
Das zweifelte Joachim Poß an: "Diese Bekenntnisse stehen doch Ihrer konkreten Politik entgegen", sagte der SPD-Politiker. Zu unkonkret bleibe die Regierung in der Frage, wie sie die Ziele der Haushaltskonsolidierung und Steuersenkung miteinander vereinbaren wolle.
Einen "Etikettenschwindel" warf Poß der Koalition im Hinblick auf den vorliegenden Gesetzentwurf vor: "Sie versprechen Entlastungen von über 20 Milliarden Euro, verschweigen aber, dass 14 Milliarden aus der Zeit der Großen Koalition stammen." Der Rest seien nur "Zückerli" für die Klientel.
Besonders kritisierte der Sozialdemokrat die Steuergeschenke für das Hotelgewerbe. Sie seien untauglich, um Wachstum zu generieren, sorgten aber für Steuerausfälle auf der Ebene der Länder und Kommunen in Höhe von schätzungsweise drei bis vier Milliarden Euro.
Es sei zudem absurd, dass sich Städte und Kommunen einerseits aus dem Investitionsfonds des Konjunkturpakets II bedienen dürften, anderseits ihnen aber Steuereinnahmen entzogen würden. Das Gesetz sei in Wahrheit ein Wachstumsverhinderungsgesetz, sagte Poß und forderte die Regierung auf: "Drehen Sie um, bevor es zu spät ist!"
Carl-Ludwig Thiele (FDP) wies den Vorwurf der Klientelpolitik strikt zurück: Wenn schon, dann sei die Familie die Klientel von Union und FDP: "Dazu bekennen wir uns eindeutig!" Die Familie sei die Wurzel der Gesellschaft, mit höherem Kindergeld und Kinderfreibetrag stärke man letztlich das ganze Land, argumentierte der Liberale.
Es sei zudem gut, dass nun die Fehler im Steuerrecht korrigiert würden, die sich als "krisenverschärfend" erwiesen hätten. "Unfug" sei es etwa gewesen, Geschwister und Geschwisterkinder im Erbschaftsteuerrecht – mit dem Hinweis, diese gehörten nicht zur Kernfamilie – schlechterzustellen: "Welches Gesellschaftsbild verbirgt sich denn dahinter", empörte sich Thiele.
Ebenfalls verwarte er sich gegen den Vorwurf der "Steuersenkungspolitik auf Pump": Als hätte die Große Koalition nur dann Steuersenkungen beschlossen, wenn der Staat Überschüsse erzielt hat. Die größte Neuverschuldung der deutschen Geschichte gehe auf das Konto des früheren SPD-Finanzministers Peer Steinbrück, so Thiele.
Dr. Gesine Lötzsch (Die Linke) kritisierte die Bundeskanzlerin scharf: In dieser schweren Krise hätten die Bürger direkt nach der Wahl neue Maßnahmen erwartet, sagte die Linke-Politikerin und nannte als Stichworte unter anderem eine Bankenumsatzsteuer oder die Erhöhung der Hartz-IV-Sätze für Kinder.
Stattdessen sage die Kanzlerin nicht deutlich, wer die Kosten der Krise tragen solle. "Die Menschen ertragen auch harte Wahrheiten, aber sie ertragen nicht, wenn sie angelogen werden", monierte Lötzsch. "Sagen Sie doch, dass Sie zum Beispiel vorhaben, die Beiträge zur Krankenversicherung zu erhöhen."
Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz titulierte die Abgeordnete als "Umverteilungsbeschleunigungsgesetz", da es erneut die Besserverdienenden begünstige. "Sie haben nicht das Wohl der Menschen im Sinn, sondern das von Leuten wie Herrn Ackermann", empörte sich Lötzsch. "Wir werden aber ihren Haushalt ausleuchten und über die Schattenspiele berichten, verlassen Sie sich darauf!"
Alexander Bonde (Bündnis 90/ Die Grünen) kritisierte wie seine Vorredner von der Opposition ebenfalls mit harschen Worten den Ansatz der Bundesregierung, mit Steuervergünstigungen Wachstum zu generieren. Unisono werde dies in den Medien, aber sogar von schwarz-gelben Landesministern gescholten, hielt Bonde Bundesminister Schäuble vor.
"Solidität hat nichts mit dem Verschieben von Lasten zu den Ländern zu tun", sagte der Grünen-Politiker. Das sei besonders problematisch, weil dort die wirkliche Investitionstätigkeit der öffentlichen Hand stattfinde. Die Argumentation der Koalition, man müsse zunächst Schulden in Kauf nehmen, um dann ein Wachstum der Wirtschaft zu erzeugen, versuchte der Abgeordnete zugleich als unrealistisch zu entlarven.
"Sie müssten absurd hohe Wachstumsraten erzeugen", argumentierte Bonde. Um die Maastricht-Kriterien einzuhalten , wäre jedes Jahr mindestens ein Wachstum von 4,2 Prozent erforderlich, so der Grünen-Abgeordnete. Das sei doppelt oder dreimal so viel wie überhaupt zu erwarten sei. "Wo leben Sie denn? Am besten Sie stampfen das Gesetz gleich wieder ein", riet Bonde.
Dr. Michael Meister (CDU/CSU) mahnte, Hauptaufgabe der Koalition müsse es sein, das Vertrauen in den Finanzsektor wieder zu stärken, damit dieser seine Funktion erfülle könne. Da die internationalen Finanzmärkte noch längst nicht stabil seien, müsse man weiter daran arbeiten. Dennoch regte der Abgeordnete an, sich schon jetzt über eine geeignete "Exit-Strategie" für die Zeit nach der Wirtschaftskrise zu verständigen.
Dann müsse sich die soziale Markwirtschaft wieder frei entfalten können. Die Ankündigung Schäubles, trotz der Krise bald wieder die Maastricht-Kriterien einhalten zu wollen, lobte Meister ausdrücklich. "Geldwertstabilität ist das Fundament der Sozialpolitik. Inflation ist unsozial."
Die Diskussion um "mehr oder weniger Schulden" nannte der CDU-Politiker "unsinnig". Es sei klar, dass in der Krise Schulden gemacht werden müssten. Danach folge die Konsolidierung. Dabei gehe es aber nicht einfach nur ums Sparen, sagte Meister: "Das greift zu kurz." Man brauche alles: Sparen, Wachstum, Arbeitsplätze: "Das ist ein Gesamtkonzept, kein Widerspruch."
Der Bundestag überwies das Wachstumsbeschleunigungsgesetz zusammen mit einem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen (17/16) zur federführenden Beratung an den Finanzausschuss. Die Grünen fordern in ihrem Antrag, die Regelsätze für 1,8 Millionen Kinder aus Bedarfsgemeinschaften von Arbeitslosengeld-II-Beziehern um 20 Euro anzuheben.