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Er kam in einem Alter nach Deutschland, in dem der Verlust des sozialen Umfelds wahrscheinlich am schwersten wiegt. Doch Josip Juratovic hatte Glück. Kaum zwei Wochen, nachdem der 15-Jährige seine alte Heimat Kroatien verlassen hatte, fragte ihn das Rote Kreuz, ob er mit zu einem Jugendzeltlager fahren wolle.
Das war die beste Ankunft, die er sich vorstellen konnte: "Das war mein Einstieg in die Integration: Ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, bin ich mitgefahren. Da habe ich ein positives Bild meiner neuen Heimat bekommen durch die Jugendlichen, die sich sehr um mich bemüht haben wie auch durch den Leiter des Camps.“
Die Freundschaften, die er dort schloss und die zum Teil noch bis heute andauern, festigten sein Bild von Deutschland, das dem widersprach, was er in Kroatien erfahren hatte: "Dort hatte man ein Bild aus den Geschichtsbüchern, das psychologisch immer schwarz, also negativ, gefärbt war - zum Beispiel durch den Zweiten Weltkrieg.“
Die positiven Erfahrungen milderten sein Heimweh, denn als Teenager vermisste er die Freunde, die er in seinem Heimatort zurücklassen musste. So war seine Anfangszeit geprägt von einer sozialen Zerrissenheit zwischen seinen zwei Welten: "Ich war in dieser Zeit ständig in einem Spagat zwischen Deutschland und Kroatien, wo ich auch noch Freunde hatte, die ich vermisste. Pro Jahr bin ich ein- bis zweimal dorthin gefahren.“
Insofern kann er sich auch heute noch gut in die Situation von Migranten hineinversetzen: "Ich kann Einwanderer gut verstehen, die in einem ähnlichen Alter wie ich aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen werden und hierherkommen. Das muss man auch psychologisch verarbeiten. Ich hatte das Glück, dass ich nicht auf Ablehnung gestoßen bin.“
Seine Mutter war bereits nach Deutschland gegangen, als er acht Jahre alt war. Da sein Vater bereits vor seiner Geburt gestorben war, wuchs er bei der Großmutter auf und ging nach Beendigung der Gesamtschule in die Bundesrepublik - in Form einer klassischen Familienzusammenführung.
Dort machte er zusätzlich noch einen deutschen Hauptschulabschluss und begann eine Lehre als Kfz-Mechaniker. Zu dieser Zeit unternahm er die ersten Schritte seiner politischen Laufbahn. Aus Kroatien kannte er Jugendhäuser und wollte so etwas mit seinen Freunden auch in der Kleinstadt Gundelsheim bei Heilbronn (Baden-Württemberg) mit ihren 7.500 Einwohnern einrichten.
Das verlief ziemlich schleppend, weil der Bürgermeister es zunächst ablehnte. Doch die Gemeinderäte der SPD hatten ein offenes Ohr für Juratovic: "Diese erste Berührung mit der kommunalen Politik zeigte mir, dass man Kompromisse schließen muss, dass man Geduld braucht, all die Dinge, die jungen Menschen schwerfallen.“
Dazu kam, dass er seinen Stiefvater, der als Lkw-Fahrer arbeitete, immer zum Stammtisch begleitete: „Dort bin ich häufig konfrontiert worden mit dem Thema: Wo ist es besser? Wir haben Demokratie, ihr Kommunismus.“
Außerdem prägten ihn in seiner politischen Auseinandersetzung noch die Studentenproteste und deren Ikonen wie Che Guevara. Das änderte sich, als er nach fünf Jahren in Deutschland 13 Monate lang seinen Militärdienst in Jugoslawien absolvierte.
Er stand vor der Wahl, in Deutschland zu bleiben und die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen, dann aber nicht mehr nach Jugoslawien einreisen zu können ohne zwangläufig zum Militär eingezogen zu werden, oder freiwillig zu gehen: "In dieser Zeit habe ich mich zum Pazifisten entwickelt.“
Ein Schlüsselmoment in der politischen Auseinandersetzung war für Juratovic, als Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) 1982 durch ein konstruktives Misstrauensvotum stürzte: "Ich fand das nicht in Ordnung, wie mit ihm umgegangen wurde.“
Als er in der Mannheimer Fußgängerzone einen SPD-Infostand sah, fragte er dort: „Nehmt ihr auch Ausländer auf?“ Weil die Dame am Stand damit überfragt war, ging sie zu dem Vorsitzenden, der zusagte. "Das war völlig ungewöhnlich in dieser Zeit, dass ein Ausländer in der Politik aktiv wird, ich war ja erst sieben Jahre hier.“
Josip Juratovic sieht sich in zweierlei Hinsicht als Exot im Bundestag: einmal als Migrant, aber auch - und das ist ihm noch wichtiger - als Praktiker. Juratovic hat fast 20 Jahre als Kfz-Mechaniker gearbeitet, am Fließband und in einer Lackiererei der Audi-Werke in Neckarsulm.
"Es gibt so viele Juristen und Beamte, was gut ist, weil Gesetze gestaltet werden müssen. Dennoch denke ich, dass es zu wenig Abgeordnete gibt mit diesen alltäglichen Erfahrungen von der Basis. Ich denke, wenn wir mehr Praktiker hier hätten, brauchten wir nur die Hälfte der Gesetze.“