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"Passport“ ist das erste Wort, das Bijan Djir-Sarai hört, als er 1987 als Elfjähriger am Flughafen in Frankfurt am Main ankommt. "Ich konnte noch kein Wort Deutsch. Und wenn man die Sprache nicht spricht, hört sich die deutsche Sprache sehr merkwürdig an, sehr hart.“
Sarai hat alleine sein früheres Heimatland verlassen: "Meine Familie war der Meinung, dass die Lage im Iran mir keine Perspektive für die Zukunft bieten konnte. Ich glaube im Nachhinein sagen zu können, dass diese Entscheidung die richtige war.“ Er wächst bei seinem Onkel in der Kleinstadt Grevenbroich im Rheinland auf.
Das Problem war, dass er kaum Deutschkenntnisse hatte, aber direkt in die fünfte Klasse des Gymnasiums eingeteilt wurde. Dementsprechend hatte er Schwierigkeiten, in der Schule mitzukommen. "Der einzige Grund warum man mir erlaubt hat, auf dem Gymnasium zu bleiben war, dass ich außergewöhnlich gut in Mathe war. Das war ein Zeichen, dass der Junge doch etwas kann und dass es nur die Sprachdefizite waren.“
Hinzu kommt, dass ihn sein Umfeld, die Mitschüler und Lehrer sehr gut aufnahmen: "Vielleicht lag es auch daran, dass es eine Kleinstadt war. Das war so positiv, dass mich das auch geprägt hat. Wenn der Anfang anders gewesen wäre, wäre meine Entwicklung vielleicht auch anders verlaufen. Ich war ja irgendwie ein Exot auf der Schule.“
Das ist auch der Grund, warum sich Sarai früh mit politischen Fragestellungen auseinandersetzt: "Vor dem Hintergrund ist man natürlich immer ein politisch denkender Mensch. Das lässt sich ja nicht vermeiden.“ 1995 wurde er Mitglied der Jungen Liberalen und 1996 Mitglied der FDP. Seine Parteizugehörigkeit ist kaum zu übersehen: Er trägt eine gelbe Krawatte zu einem schwarzer Anzug und Hemd.
Voraussetzung für die Arbeit als Abgeordneter im Deutschen Bundestag ist, dass man die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Dies war für Sarai aber nicht der einzige Grund, um sich um einen deutschen Pass zu kümmern: "Ich wollte auf jeden Fall Deutscher werden. Ich habe mich sehr früh entschieden, in diesem Land zu leben und meine Zukunft zu verbringen. Da ist es eine Selbstverständlichkeit, dass man auch die Staatsbürgerschaft erlangt.“
1995 wurde er schließlich eingebürgert: "Das ist absolut wichtig, nicht nur, weil man mit Bürgerrechten ausgestattet wird, sondern auch mit einer inländischen Identität.“
Der Wille, sich zu integrieren, bestimmt nicht nur Sarais eigene Biografie, sondern auch seine politische Einstellung: "Menschen, die hierhin kommen, haben auch eine gewisse Eigenverantwortung, sich an die Werte hier anzupassen.“
Obwohl er das Thema Migrationspolitik interessiert verfolgt, sieht er seine Arbeitsschwerpunkte woanders: „Es lässt sich nicht vermeiden, dass ich zum Thema Integration etwas sage, das tue ich auch sehr gerne. Doch interessiere ich mich eher für Außen- und Sicherheits- oder Finanzpolitik.“
Er findet es falsch, wenn sich ein Abgeordneter mit Migrationhintergrund nur mit diesem Thema beschäftigt oder sich nur darüber identifiziert: "Im Grunde genommen spielt es für mich persönlich keine Rolle, ob es mehr Abgeordnete mit Migrationhintergrund gibt. Wenn ein Kandidat sich aufstellt, darf keine Rolle spielen, ob er Migrationshintergrund hat oder nicht, sondern die Qualität ist in erster Linie entscheidend.“
Dennoch verschafft ihm seine Biografie als Migrant einen kritischen Blick auf demokratische Freiheiten: "Viele Dinge, die vielleicht Leute in meinem Alter als selbstverständlich in diesem Land sehen, sind für mich nicht selbstverständlich. Zum Beispiel sich zu engagieren für unsere demokratische Staatsform. Das finde ich ganz wichtig, weil ich es auch anders kenne.“
Besonders ärgert ihn Politikverdrossenheit bei jungen Menschen: "Obwohl ich weiß, dass die Politik vielleicht eine Teilschuld daran hat, finde ich das sehr vereinfachend. Wir müssen erkennen, wie gut wir es eigentlich haben. Es hilft gelegentlich, wenn man reist und sich die Länder anschaut, wo das nicht der Fall ist.“
Er selbst kann sich an die Unruhen der Revolution und des Krieges im Iran noch erinnern: "Unglaublich, in was für einem Ausnahmezustand die Stadt war, als Ajatollah Chamenei nach Teheran kam. Oder auch als 1980 der Iran/Irak-Krieg anfing mit den Luftangriffen. Wenn plötzlich das Licht abgeschaltet wurde und die Sirenen heulten.“
Wenn er jetzt noch alle zwei Jahre den Iran besucht, merkt er, dass sich etwas verändert hat: "Meine Heimat ist das Rheinland, also Deutschland, der Iran ist definitiv nicht mehr meine Heimat. Das merke ich auch, wenn ich dort bin.“