Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Archive > 2010 > Griechenland
Deutschland wird sich mit Krediten in Höhe von 22,4 Milliarden Euro an einem gemeinsamen Rettungspaket des Internationalen Währungsfonds und der Länder der Euro-Zone für Griechenland beteiligen, das beschloss der Bundestag am Freitag, 7. Mai 2010, nach einer mehr als zweistündigen Debatte. Die Abgeordneten verabschiedeten das Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz (17/1544) in namentlicher Abstimmung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen das Votum der Linksfraktion Die SPD enthielt sich der Stimme.
Von 601 abgegebenen Stimmen befürworteten 390 das Gesetz in der zuvor vom Haushaltsausschuss geänderten Fassung (17/1561, 17/1562), 139 Abgeordnete enthielten sich, 72 stimmten dagegen. Insgesamt gab es neun namentliche Abstimmungen.
Die staatliche KfW-Bankengruppe wird den deutschen Kredit ausreichen, für den der Bund die Garantie übernimmt. Im Gesetz hatten die Abgeordneten klargestellt, dass die Kredite der Euro-Staaten und die Kredite des Internationalen Währungsfonds "im Rahmen eines gemeinsamen Vorgehens und auf Grundlage der unter Mitwirkung der Europäischen Zentralbank vereinbaren Maßnahmen“ ausgereicht werden sollen.
Mit 328 von 599 abgegebenen Stimmen nahm der Bundestag einen Änderungsantrag von CDU/CSU und FDP zu ihrem eigenen Entschließungsantrag (17/1641) zu diesem Gesetz an. 271 Abgeordnete stimmten mit Nein.
Abgelehnt wurden dagegen zwei Änderungsanträge von Bündnis 90/Die Grünen zum Entschließungsantrag der Koalition. Während der eine (17/1647) 206 Ja-Stimmen bei 328 Nein-Stimmen und 67 Enthaltungen enthielt, entfielen auf den zweiten (17/1648) 205-Ja-Stimmen bei 325 Nein-Stimmen und 67 Enthaltungen.
Den Entschließungsantrag der Koalition selbst (17/1641) nahm das Plenum mit 331 von 605 abgegebenen Stimmen bei 273 Nein-Stimmen und einer Enthaltung an. Er enthält einen Auftrag an die Regierung, sich unter anderem auf EU-Ebene für eine effektivere Überwachung der Haushalts- und Finanzpolitiken der Mitgliedstaaten einzusetzen. Das Europäische Statistikamt Eurostat müsse ein Zugriffs-, Durchgriffs- und Kontrollrecht gegenüber den nationalen Statistikämtern erhalten. Im Fall drohender Überschuldung soll eine Frühwarnmechanismus eine Warnung auslösen.
Mit 394 Nein-Stimmen bei 204 Ja-Stimmen lehnte der Bundestag einen Entschließungsantrag der SPD (17/1639) ab, in dem unter anderem die Einführung einer Finanztransaktionssteuer verlangt wird. Sie könne gewährleisteen, heißt es, dass dioe Akteure auf den Finanzmärkten an den Folgekosten der Krisen beteiligt wrden. Zudem solle die Regulierung von Ratingagenturen fweiter verbessert werden.
Mit 472 Nein-Stimmen bei 67 Ja-Stimmen und 66 Enthaltungen lehnte der Bundestag ferner einen Entschließungsantrag der Linken (17/1637) ab, in dem gefordert wird, private Finanzinstitute, die von Staatshilfen profitiert haben, zehn Jahre lang zu einer "Finanzkrisen-Verantwortungsgebühr" in Höhe von 0,15 Prozent ihrer Verbindlichkeiten zu verpflichten.
Ein weiterer Entschließungsantrag der Linken (17/1638) wurde mit 536 NeinStimmen bei 67 Ja-Stimmen und zwei Enthaltungen abgelehnt. Darin wird unter anderem verlangt, Credit Default Swaps (CDS) und Leerverkäufe in Deutschland sofort zu verbieten.
Schließlich fand ein Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen (17/1640) mit 393 Nein-Stimmen bei 204 Ja-Stimmen keine Mehrheit. Danach sollte die Bundesregierung unter anderem sicherstellen, dass die Kredite der EU-Staaten für Griechenland Vorrang vor den Forderungen privater Gläubiger erhalten.
In der über weite Strecke hitzig geführten Kontroverse, in der Dr. Gesine Lötzsch (Die Linke) von Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert für ihren Vergleich von Finanzmarktakteuren mit den radikal-islamischen Taliban gerügt wurde, verteidigten die Koalitionsfraktionen den Griechenland-Kredit. "Zu dem jetzigen Hilfepaket gibt es keine bessere Alternative“, sagte der haushaltspolitische Sprecher der Union, Norbert Barthle.
Es gehe um eine grundlegende Richtungsentscheidung für Griechenland, aber auch die Zukunft Europas und die deutschen Bürger. "Wir werfen Griechenland einen Rettungsring zu“, so Barthle. Schwimmen müssten die Griechen aber selbst. Der SPD warf der CDU-Abgeordnete vor, sich durch ihre angekündigte Stimmenthaltung zu dem Gesetz vor der Verantwortung zu drücken. "Es ist blamabel, wie Sie sich vom Acker machen!“
SPD-Fraktionsvize Joachim Poß wies diesen Angriff als „erbärmlich“ zurück. Die Entscheidung für Finanzhilfen an Griechenland sei auch in seiner Fraktion unumstritten. Trotzdem würden die Sozialdemokraten dem Gesetz zur Gewährung einer Staatsgarantie für den deutschen Hilfeanteil von 22,4 Milliarden Euro nicht zustimmen, weil nicht zugleich entscheidende Regulierungsschritte für die Finanzwirtschaft unternommen würden. „Die reine Kreditermächtigung ist zu kurz gesprungen“, sagte Poß. Allein eine Finanztransaktionssteuer biete die Gewähr, dass die Banken spürbar zu den Einnahmen des Staates und zur Finanzierung von Krisenkosten beitragen müssen.
Otto Fricke (FDP) befürwortete ebenfalls die Hilfen für Hellas. "Deutschland und Griechenland sind Freunde in Europa“, betonte er. Man müsse aber auch verantwortungsvoll mit deutschen Steuergeldern umgehen.
Der Forderung der SPD nach einer Transaktionsaktionssteuer erteilte er dennoch eine Absage: Das Instrument sei nicht zielgenau, so Fricke. "Da würden nicht nur die Spekulanten, sondern auch jeder Riesterrentner zusätzlich besteuert. Das wollen wir nicht!“
Dr. Gesine Lötzsch, haushaltspolitische Sprecherin der Linksfraktion, ging die schwarz-gelbe Koalition hart an: Das von ihr geplante Hilfsprogramm löse nicht Griechenlands Schwierigkeiten. Im Gegenteil, es verschärfe die sozialen und ökonomischen Probleme des Landes noch zusätzlich. Die "verordnete Rosskur“ solle offenbar nur dazu dienen, das Vertrauen der Märkte zurückzugewinnen, das Vertrauen der Menschen aber sei die Bundesregierung dafür bereit zu verlieren, kritisierte Lötzsch, deren Fraktion als einzige nicht dem Gesetz zustimmte.
"Wir lehnen es ab, weil die Bundesregierung nichts aus der Krise 2008 gelernt hat und weiterhin nicht die Märkte regulieren will“, so die Abgeordnete zur Begründung. Den Grünen hielt die designierte Vorsitzende der Partei Die Linke zudem vor, mit der Zustimmung zum Gesetzentwurf der Koalition ihre eigenen Ideale zu verraten.
Renate Künast, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, sah das jedoch anders. Die Zustimmung ihrer Fraktion zu dem Gesetz begründete die Politikerin damit, dass Europa gegen "Abzockerei und Spekulation“ verteidigt werden müsse.
Künast warf Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) vor, den Europagedanken bei der Hilfsaktion für Griechenland zu wenig betont zu haben: "Ihre Rede am Mittwoch war technokratisch, blutleer und uneuropäisch.“ Die Kanzlerin müsse deutlicher sagen, warum man das Hilfspaket schnüre. Deutschland profitiere schließlich vom Euro und vom europäischen Binnenmarkt.
"Wir können unsere Ziele nur mit Europa erreichen“, sagte Künast und verwies als Beispiel auf den Klimaschutz oder die "Zähmung“ der Finanzmärkte. "Darum sagen wir Ja zu dem Gesetz. Wir lassen uns Europa nicht kaputtmachen.“
Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU) warb eindringlich für das Vorgehen der Regierungskoalition. Das von ihr vorgelegte Gesetz zur Gewährung der Notkredite für Griechenland bezeichnete er erneut als alternativlos: "Wir haben keine bessere Alternative", sagte Schäuble.
Eine Zahlungsunfähigkeit Griechenlands oder eine Umschuldung wäre teurer und risikoreicher. Deutschland leiste mit dem Rettungspaket einen Beitrag für die Stabilität des Euro. Der Minister plädierte zugleich aber gegen die Finanztransaktionssteuer, wie sie die SPD fordert.
"Es gibt keine Chance, das global zu vereinbaren - und es wäre auch nicht zielführend“, sagte Schäuble und berief sich auf ein Gutachten des IWF. Dennoch kündigte er an, die EU werde Konsequenzen aus dieser Finanzkrise ziehen und auch den Stabilitätspakt erneuern.
Sigmar Gabriel, Parteivorsitzender der SPD, kritisierte das vorliegende Gesetz erneut als "reine Kreditermächtigung“. Damit würden die Folgen der Krise einseitig nur auf die "abgewälzt“, die sie am wenigsten verursacht hätten, nämlich die Bürger. "Die Bevölkerung soll in Haft genommen werden für das unverantwortliche Verhalten auf den Finanzmärkten“, monierte Gabriel und forderte wirksame Maßnahmen gegen die Spekulanten, die sich "Europa zur Beute machen wollten“.
Europa stehe jetzt am Scheideweg, sagte Gabriel und griff damit eine Formulierung auf, die zuvor Bundeskanzlerin Merkel in ihrer Regierungserklärung am Mittwoch gebraucht hatte. "Doch nicht wegen der Krise, sondern weil die Menschen nicht mehr glauben, dass die Politik sie gegen die ungebremsten Marktkräfte schützt.“
Gerade durch wechselnde Äußerungen zur Griechenland-Hilfe habe die Bundesregierung das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der deutschen Europapolitik zerstört, so der SPD-Chef. Das "Taktieren“ vor der Nordrhein-Westfalen-Wahl habe zudem die Situation in Griechenland verschärft.
Bundesaußenminister Dr. Guido Westerwelle (FDP) wies diese Vorwürfe zurück. Bei dem Nothilfepaket gehe es "nicht um einen Wahlsonntag, sonder darum, Schaden von unserem Volk abzuwenden“. Die Hilfen für Athen sollten dafür sorgen, dass sich "kein Flächenbrand“ in Europa ausbreitet.
Westerwelle räumte aber ein, dass es nicht nur um eine rasche Hilfe gegen die akute Krise gehen könne. Europa müsse Maßnahmen gegen eine Wiederholung solcher Katastrophen ergreifen. Falsche Zahlen müssten der Vergangenheit angehören, auch die Frage der Ratingagenturen müsse beraten werden.
Wenn ein Land dauerhaft gegen den Stabilitätspakt verstoße, müsse es zudem die Möglichkeit zu schnellen Reaktionen geben - wie etwa die Sperrung von Finanzhilfen, verlangte der FDP-Chef.
Auch der Bundesrat hat dem Gesetz am 7. Mai zugestimmt. Bundespräsident Professor Horst Köhler unterschrieb das Gesetz am gleichen Tag, sodass es in Kraft treten konnte.
Weil mehrere Professoren Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz eingericht haben, beschloss der Bundestag am 7. Mai auf Empfehlung des Rechtsausschusses mit den Stimmen der Koalition sowie der Grünen (17/1646), im Falle eines Streitverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht den Bielefelder Professor Dr. Franz Mayer als Prozessbevollmächtigten zu bestellen.