Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Archive > 2010 > Interview mit Eduard Oswald (CSU)
Nach dem Beschluss der Kredithilfen für Griechenland hat der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages, der CSU-Abgeordnete Eduard Oswald, weitergehende Maßnahmen zur langfristigen Sicherung der Stabilität des Euro verlangt. "Die Griechenland-Krise hat gezeigt, dass die finanz- und wirtschaftspolitische Überwachung in der Eurozone nicht ausreichend funktioniert. Es hat Fehlentwicklungen gegeben",sagt Oswald in einem am 10. Mai 2010 erschienenen Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament". Das Interview im Wortlaut:
Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung gesagt, Europa stehe am Scheideweg. Ist mit dem Stabilisierungsgesetz der richtige Weg eingeschlagen worden?
Wie die Bundeskanzlerin betonte, geht es in der aktuellen Krise um Bestand und Zukunft der Europäischen Union und die Stabilität des Euro. Griechenland hat faktisch keinen Zugang mehr zu den Finanzmärkten. Die Nothilfe ist die Ultima Ratio, denn die sonst eintretende Zahlungsunfähigkeit des Landes hätte unübersehbare Folgen für die Stabilität unserer Währung. Das kann nicht im Interesse Deutschlands sein. Die Hilfen von Internationalem Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Union verfolgen das richtige Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands schnell wiederherzustellen. Nur dann hat das Land eine Chance, seine Zahlungsfähigkeit auf Dauer wiederherzustellen. Die beschlossenen Hilfen sind deshalb alternativlos und im ureigensten Interesse Deutschlands.
Hat Deutschland mit der Hilfe zu lange gewartet?
Ich gebe der Bundeskanzlerin Recht, wenn sie sagt, dass ein guter Europäer nicht unbedingt der ist, der schnell hilft. Ein guter Europäer ist der, der die europäischen Verträge und das jeweilige nationale Recht achtet und so hilft, dass die Stabilität der Eurozone keinen Schaden nimmt. Eine zu frühe Ankündigung im Sinne des viel zitierten "moral hazard"-Problems hätte dazu geführt, dass Griechenland seine notwendigen und sehr ambitionierten Konsolidierungsanstrengungen nicht mehr mit dem nötigen Nachdruck akzeptiert hätte. Aus dieser Logik heraus war von Anfang an klar, dass Hilfen für Griechenland immer nur im Sinne eines "Ultima Ratio-Ansatzes" gewährt werden, das heißt, nur und erst dann, wenn alle anderen Anstrengungen zur Abwendung der Zahlungsunfähigkeit ersichtlich versagt haben und diese Zahlungsunfähigkeit unmittelbar bevorsteht.
Beteiligen sich Banken und Versicherungen ausreichend an der Hilfe?
Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung keinen Zweifel daran gelassen, dass sich die Banken und Gläubiger nicht ihrer Verantwortung entziehen dürfen. Bei dem Treffen des Bundesfinanzministers mit den Spitzen der deutschen Finanzwirtschaft am 4. Mai 2010 haben diese zugesichert, dass sie gemeinsam mit ihren europäischen Kollegen einen spürbaren positiven Beitrag leisten werden. Wichtig ist insbesondere, dass die Banken bestehende Kreditlinien für Griechenland und griechische Banken sowie ihr Anleihenengagement in Griechenland für die Laufzeit des Programms aufrecht erhalten und - soweit es geht - erweitern. Eine Beteiligung der Gläubigerbanken in Gestalt einer nichtfreiwilligen Umschuldung beziehungsweisse Restrukturierung der Forderungen wäre nicht sinnvoll gewesen, weil dies gleichbedeutend mit einer Insolvenz des griechischen Staates wäre. Dies aber würde dem Ziel des IWF-Programms, verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen, diametral entgegenwirken.
Erwarten Sie, dass Griechenland das Sparprogramm realisieren kann und dass die für Griechenland zugesagten 110 Milliarden Euro ausreichen?
Das zweifellos sehr anspruchsvolle Sparprogramm Griechenlands wurde in Zusammenarbeit mit dem IWF erarbeitet. Die auf Drängen Deutschlands erfolgte Einbeziehung des IWF mit seinen sechs Jahrzehnten Erfahrungen im Bereich der Strukturanpassungsprogramme stimmt mich optimistisch, dass dieses Programm eine Chance hat und dass es Griechenland gelingen wird, seine strukturellen Probleme anzugehen. Das Land muss seine Schuldenstandsquote jetzt stabilisieren beziehungsweise umkehren, damit es sich mittel- bis langfristig wieder an den Kapitalmärkten refinanzieren kann. Das IWF-Programm und damit die tranchenweise Auszahlung der Hilfsmittel unterliegt einer engen, vierteljährlichen Überprüfung durch den IWF.
Welches Fazit muss Europa ziehen? Müssen die europäischen Verträge geändert werden, um eine Bestimmung zum Rauswurf von Defizitsündern aus der Eurozone zu schaffen?
Die Griechenlandkrise hat gezeigt, dass die finanz- und wirtschaftspolitische Überwachung in der Eurozone nicht ausreichend funktioniert. Es hat Fehlentwicklungen gegeben. Mit den jetzt zu beschließenden Maßnahmen für Griechenland ist es nicht getan. Die Stabilität des Euro muss langfristig gesichert werden. Eine solche Krise darf sich nicht wiederholen. Die wirtschafts- und finanzpolitische Koordinierung und die gegenseitige Überwachung in Europa müssen verbessert werden. Auch über eine Modifizierung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes muss nachgedacht werden, so dass deutlich spürbare und durchsetzbare Sanktionen verhängt werden können, wie im Entschließungsantrag der christlich-liberalen Koalition gefordert.
Wäre es nicht besser, im Falle von staatlicher Zahlungsunfähigkeit den Staatsbankrott anzumelden?
Es wäre völlig falsch zu glauben, man könne die Probleme lösen, indem man Griechenland in den Staatsbankrott laufen lässt. Wer so argumentiert und sich dafür ausspricht, Griechenland jetzt die notwendige Hilfe zu versagen, der gefährdet den Zusammenhalt der Europäischen Union und die Stabilität des Euro. Die negativen Ansteckungs- beziehungsweise Dominoeffekte auf andere Staaten der Eurozone und den Finanzsektor könnten schnell unübersehbare und politisch nicht mehr kontrollierbare Folgen haben. Wer dem Ausfall Griechenlands das Wort redet, nimmt ein unkalkulierbares Risiko für die nationalen Finanzinstitute, für die deutsche und europäische Finanzmarktstabilität und für die Funktionsfähigkeit der Wirtschaftsunion insgesamt in Kauf.
Es gibt die Bail-out-Klauseln, die direkte Hilfe an notleidende Länder wie jetzt Griechenland verbieten. Sehen Sie verfassungsrechtliche Probleme?
Die "No Bail-out"-Klausel des EU-Vertrages bleibt unangetastet. Es wird keine Norm des EU-Vertrages gebrochen, denn die "No Bail-out"-Klausel besagt, dass kein Eurozonenland gezwungen werden kann, die Schulden eines anderen Landes zu übernehmen. Deutschland übernimmt auch nicht die Schulden von Griechenland. Diese Regelung bedeutet aber nicht, dass wir nicht freiwillig unsererseits einem in Not geratenem Mitglied der Eurozone helfen können. Mit anderen Worten: Im Fall Griechenland geht es um freiwillige, streng konditionierte Darlehen - nicht um ein unbedingtes Einstehen für ein Mitglied der Eurozone.
Eine Frage zu einem anderen, aber verwandten Thema: Besteht nach dieser Steuerschätzung und möglichen Griechenland-Kosten noch Spielraum für eine Steuerreform?
In diesen Tagen ist die existenzielle Bedeutung solider Staatsfinanzen für die Zukunftsfähigkeit eines Landes in den Mittelpunkt aller politischen Betrachtungen gerückt. Wir haben eine solide Grundlage für die Verhandlungen über den Bundeshaushalt 2011 und den mittelfristigen Finanzplan. Alle Aufgaben- und Ausgabenbereiche sind kritisch zu hinterfragen. Zusätzliche Maßnahmen müssen solide gegenfinanziert werden. Ich bin zuversichtlich, dass es gelingen wird, 2011 und in den Folgejahren die notwendigen Konsolidierungsschritte zu machen. Wir werden es schaffen, vor allem durch Aufgabenkritik und Ausgabendisziplin, die nötigen Spielräume zu erarbeiten, um die Bürger weiter zu entlasten. Die Priorität für 2011 liegt darin, einen ersten Schritt zur Steuervereinfachung zu gehen. Die Entlastung kleinerer und mittlerer Einkommen bleibt auf der Tagesordnung. Wir beabsichtigen in dieser Wahlperiode nach der schon begonnenen Entlastung der Familien, des Mittelstands und der Familienbetriebe eine weitere Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen umzusetzen, so wie es im Koalitionsvertrag vereinbart wurde.