Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Archive > 2011 > Haushaltsdebatte: Wirtschaft
In der Bundestagsdebatte über den Einzelplan 09 des Bundesminis- teriums für Wirtschaft und Technologie waren sich die Oppositionsfraktionen am Donnerstag, 8. September 2011, einig: Redner der Fraktionen von SPD, der Linken und Bündnis 90/Die Grünen warfen Bundesminister Dr. Philipp Rösler (FDP) vor, „nicht geliefert" zu haben. Sie griffen damit ein Wort Röslers nach dessen Wahl zum Vorsitzenden auf dem Rostocker FDP-Parteitag im Mai 2011, auf dem er angekündigt hatte, jetzt werde geliefert.
So sagte Hubertus Heil (SPD) in der Debatte: „Sie werden diesen Satz nicht los. Entweder liefert die FDP nichts oder nicht das, was erwartet wird." Roland Claus (Die Linke) stellte fest: „Mit diesem Etat liefern Sie nicht." Rösler bringe „nur Murks" ein. Und Fritz Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen) erklärte: „Als Wirtschaftsminister haben Sie nichts Nennenswertes geliefert." Laut Kuhn hat das auch einen Grund: „Wer liefern will, muss was auf Lager haben."
Rösler hatte zuvor ein positives Bild der deutschen Wirtschaftsentwicklung gezeichnet. Trotz einer leichten Abkühlung sei in diesem Jahr mit einem Wachstum von 2,6 Prozent zu rechnen. Im letzten Jahr seien 700.000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden, davon mehr als die Hälfte Vollzeitjobs. Die Arbeitslosigkeit sei die niedrigste seit 1992.
Angesichts solcher Zahlen ist Verunsicherung, ja sogar Angst vor Rezession vollkommen unangebracht. Wir haben eine starke Wirtschaft, und wir erwarten auch weiterhin robustes Wachstum in Deutschland." Diese Wachstum müsse verstetigt werden.
Die größte Wachstumsbremse sei der Fachkräftemangel, sagte Rösler, der eine bessere Ausbildung von Jugendlichen ankündigte, aber zugleich auch die Wirtschaft ermahnte: „Ich habe kein Verständnis für große Unternehmen, die sich auf der einen Seite über Fachkräftemangel beklagen, aber auf der anderen Seite Menschen über 55 entlassen."
Der Wirtschaftsminister sprach sich aber auch für qualifizierte Zuwanderung aus dem Ausland aus. Rösler betonte außerdem die Notwendigkeit steuerlicher Entlastungen für untere und mittlere Einkommen sowie eines Abbaus der kalten Progression und einer Verringerung der Lohnzusatzkosten.
„Wer Wachstum verstetigen will, der muss auch an Entlastung denken." Der SPD warf Rösler vor, zusätzliche Belastungen von 37 Milliarden Euro zu planen.
Hubertus Heil erklärte, die Regierung zehre von der Substanz, die die rot-grüne Koalition mit ihrer Reformpolitik und die Große Koalition mit ihren Maßnahmen zur Krisenbewältigung geschaffen habe. Die Wirtschaft in Deutschland sei gut aufgestellt, weil es im Unterschied zu anderen europäischen Ländern eine industrielle Wertschöpfungskette gebe. Parteifreunde von Rösler hätten vor Jahren das Ende der industriellen Wirtschaft und die Dienstleistungswirtschaft empfohlen.
Der „keltische Tiger" sei eines der Vorbilder gewesen, erinnerte Heil mit Blick auf den mit einer schweren Schuldenkrise kämpfenden Inselstaat Irland. Diese Blase sei geplatzt, und es sei gut gewesen, dass sich Deutschland nicht von der industriellen Wertschöpfung verabschiedet habe. Das Wort Industriepolitik sei in Röslers Rede jedoch nicht vorkommen. Zur Energiepolitik erklärte Heil, das Netzausbaubeschleunigungsgesetz werde seinem Namen nicht gerecht. Es herrsche Dilettantismus. Rösler sei ein „Totalausfall".
Nach Abzug der Subventionen habe der Etat des Wirtschaftsministeriums gerade einen Anteil von einem Prozent am Bundeshaushalt, kritisierte Roland Claus. Industrie- und Mittelstandspolitik könne mit diesem Etat nicht gemacht werden. Claus sagte: „Das würde die Linke gerne ändern." Alle Wirtschaftsminister hätten bisher versprochen, den Förderdschungel zu lichten. Nie sei etwas passiert. Jetzt verspreche dies auch Rösler.
Claus kritisierte die Kürzung der Wirtschaftsförderung für die neuen Länder. Es wäre besser, das Potenzial im Osten als Chance zu begreifen, sagte er. Ihn wundere die „Selbstgefälligkeit" des Wirtschaftministers.
Mit den Folgen des Atomausstiegs beschäftigte sich Fritz Kuhn. Die Regierung habe zwar den Ausstieg beschlossen, aber in der Energiepolitik fast nichts geändert. Die Ausgaben für Energieeffizienz im Etat seien viel zu niedrig. Für eine Steigerung der Energieeffizienz müssten drei Milliarden Euro bereitgestellt werden.
Da müsse geliefert werden, „sonst schaffen wir den Atomausstieg nicht, jedenfalls nicht, ohne das Klima zusätzlich zu zerstören". Rösler müsse „liefern, nicht gackern", verlangte Kuhn.
Florian Toncar (FDP) warf der Opposition vor, sie zeichne ein verzerrtes Bild der Lage, denn tatsächlich habe man "viel erreicht". Innerhalb von zwei Jahren sei die Rekord-Neuverschuldung um 74 Prozent auf jetzt noch 27 Milliarden Euro zurückgeführt worden.
Toncar unterstrich, die Koalition strebe an, das Ende der Neuverschuldung zu erreichen noch bevor die Schuldenbremse des Grundgesetzes wirksam wird.
Unterstützung bekam der Wirtschaftsminister von Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU). Am Ende der Amtszeit von Kanzler Gerhard Schröder habe es fünf Millionen Arbeitslose gegeben. Dabei habe Schröder versprochen, die Arbeitslosenzahl zu halbieren.
Die von Kanzlerin Angela Merkel geführte Regierung sei jetzt dabei, dieses Versprechen einzulösen. Die Preissteigerungsrate sei niedrig, sodass die Arbeitnehmer von ihren Lohnerhöhungen netto etwas übrig behalten würden: „Es geht uns gut, und zwar richtig gut."
Allerdings prangerte er auch Missstände an: So erhalte die deutsche Solarindustrie sechs Milliarden Euro Subventionen, zahle jedoch die schlechtesten Löhne. Darum sollten sich die „Solarfetischisten" im Bundestag kümmern. Fuchs verlangte, auch nach Überwindung der Krise müsse sorgfältig darauf geachtet werden, dass das Wachstum nicht gefährdet werde. So müsse die deutsche Wirtschaft im Außenhandel unterstützt werden.
Eine weitere Öffnung der Märkte sei unabdingbar. Auch müsse die Bundesregierung darauf achten, dass die deutsche Wirtschaft Zugang zu Rohstoffen und besonders zu den für die Produktion wichtigen „seltenen Erden" behalte. (hle)