Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Archive > 2011 > Interview Krichbaum zur COSAC
Ein Zahlungsausfall Griechenlands hätte nach Ansicht von Gunther Krichbaum (CDU/CSU) weitreichende Konsequenzen für den europäischen Bankensektor. Darauf weist der Vorsitzende des Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union wenige Tage vor Beginn der COSAC-Tagung vom 2. bis 4. Okto- ber 2011 in Warschau hin. Die COSAC ist die Konferenz der Europaausschüsse in den nationalen Parlamenten der EU-Mitgliedstaaten sowie von Abgeordneten des Europaparlaments. Polen hat den zurzeit Ratsvorsitz in der EU inne. Das Interview im Wortlaut:
Vor der COSAC-Tagung im Mai haben Sie noch davor gewarnt, über ein vorzeitiges Ende des Euro und der EU zu spekulieren. Seitdem hat sich die Situation aber eher verschärft als entspannt. Wird sich das auch auf die Stimmung und die Tagesordnung während der Tagung vom 2. bis 4. Oktober in Warschau auswirken?
Wir müssen aufpassen, dass wir bei dem alles überragenden Thema der Euro-Stabilisierung die übrigen wichtigen europäischen Themen nicht aus den Augen verlieren. Deshalb steht der Euro in Warschau im Gegensatz zur letzten COSAC nicht auf der offiziellen Tagesordnung. Im Mittelpunkt der Beratungen wird der Mehrjährige Finanzrahmen der EU für die Jahre 2014 bis 2020 stehen. Dabei geht es zum einen um die Höhe der jährlichen Ausgaben, die nach deutschen Vorstellungen angesichts der Einsparungen in den nationalen Haushalten der Mitgliedstaaten auch auf EU-Ebene reduziert werden sollten. Auf der Einnahmenseite der EU wird in diesem Zusammenhang darüber diskutiert, ob die EU neben den Zöllen, einem Anteil aus der Mehrwertsteuer und den Zuweisungen aus den nationalen Haushalten neue Einnahmequellen erhalten soll, beispielsweise durch eine eigene EU-Steuer. Und zum anderen geht es um die Zukunft der Strukturfonds, wo die Meinungen der einzelnen Staaten teilweise weit auseinander liegen. Aber natürlich werden wir in den vielen Gesprächen am Rande der offiziellen Sitzungen auch über den Euro sprechen, denn dieses Thema beschäftigt uns ja alle in unser parlamentarischen Arbeit.
Die Bundeskanzlerin, aber auch Sie selbst sprechen sich deutlich gegen einen Ausstieg Griechenlands aus dem Euro aus. Warum?
Weil ein Ausstieg Griechenlands einen nicht zu kalkulierenden Dominoeffekt hätte. Stiege Griechenland auf Druck der Märkte aus, würden sofort die Spekulationen gegen das nächste Land einsetzen. Denn die Botschaft wäre: Europa bekommt seine Probleme nicht allein in den Griff, und was bei Griechenland möglich ist, wäre auch für andere Euro-Länder denkbar. Ein Zahlungsausfall Griechenlands hätte weitreichende Konsequenzen für den gesamten europäischen Bankensektor, dem dann mit enormen Summen geholfen werden müsste. Zudem wäre ein Scheitern des Euro ein schwerwiegender Rückschlag für Europa, der uns wirtschaftlich und politisch um Jahrzehnte zurückwerfen würde. Und dies in einer Zeit der weltweiten Globalisierung, in der die Europäer nur dann eine Chance haben, ihre sozialen Standards und Werte zu verteidigen und zu verbreiten, wenn sie einig sind.
Unter welchen Bedingungen wäre für Sie ein solcher Ausstieg dennoch überdenkenswert?
Unter gar keinen.
Griechenland soll mehr sparen, lautet die Forderung der Troika aus Vertretern der EU, der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IWF). Wird damit dem benötigten wirtschaftlichen Aufschwung nicht schon der Boden entzogen?
Griechenland wird an massiven Einsparungen nicht vorbei kommen, weil anders das gigantische Haushaltsdefizit nicht in Griff zu bekommen sein wird. Aber es ist richtig, dass ein Übermaß an Einsparungen auch das Wachstum abwürgen kann. Daher braucht Griechenland jetzt auch einen Investitionsschub, um die brachliegende und kaum konkurrenzfähige Wirtschaft wieder neu aufzubauen. Hierfür können auch EU-Gelder eingesetzt werden, die Griechenland heute bereits abrufen könnte, die oftmals aber verfallen. Der Grund hierfür sind nicht die Kofinanzierungsmittel, wie dies häufig behauptet wird, sondern fehlende administrative Kapazitäten. Gerade hier kann Deutschland helfen, denn wir haben in den neuen Bundesländern und auch in den neuen EU-Staaten Mittel- und Osteuropas viel Erfahrung beim Aufbau moderner und effektiver Verwaltungen gesammelt. So haben wir beispielsweise Unterstützung beim Aufbau einer schlagkräftigen Steuerverwaltung angeboten, damit dem griechischen Staat die Steuereinnahmen, die ihm jetzt schon zustehen, auch tatsächlich zufließen können. Denn es nützt ja nichts, über Steuererhöhungen nachzudenken, wenn bestehende Steuergesetze nicht umgesetzt werden. Auch bei der Privatisierung von Staatsbesitz hat sich Deutschland über die Treuhandanstalt viel Sachverstand erworben. Leider sind die Reaktionen aus Athen auf unsere Angebote aber noch sehr verhalten.
Welche Probleme müssen die Griechen  noch lösen?
Das Land muss jetzt auch Wachstumsbarrieren abbauen. So befindet sich ein Großteil des Grundbesitzes im Eigentum des Staates und der Kirche, wobei es ein mit Deutschland vergleichbares Katasterwesen gar nicht gibt. Dieses muss also zunächst aufgebaut werden, ehe es zu Privatisierungen und Neuinvestitionen kommen kann. Ein Wachstumshemmnis sind auch die fast unüberwindbaren Einstiegshürden für viele Berufe. Diese abzubauen kostet kein Geld.
In Griechenland demonstrieren die Menschen immer lauter gegen die Kürzungspläne der Regierung. Haben Sie Verständnis für derartige Reaktionen?
Die Einschnitte, die jetzt in Griechenland notwendig werden, sind für die Bevölkerung natürlich dramatisch. Wenn man sie auf Deutschland umrechnet, käme ein dreistelliger Milliardenbetrag zusammen. Daher habe ich einerseits Verständnis. Andererseits führt kein Weg daran vorbei, dass Griechenland seinen Staat vollkommen neu organisiert. Aber die Situation in Griechenland ist nun auch nicht vollkommen einzigartig. Auch in Estland, Portugal und Irland waren tiefgreifende Einschnitte notwendig. Und diese Länder befinden sich alle auf dem richtigen Weg, weil sich dort sehr schnell die Einsicht durchsetzte, dass die Reformen vor allem im Interesse des eigenen Landes liegen.
Nach wie vor entscheiden drei amerikanische Rating-Agenturen über Wohl und Wehe der europäischen Volkswirtschaften und die Kreditwürdigkeit der EU-Staaten. Immer mal wieder war davon die Rede, eine europäische Rating-Agentur zu etablieren. Passiert ist jedoch nichts. Zuletzt hatte Kommissionspräsident Barroso deutlich gemacht, dass die EU-Kommission auch nicht an der Gründung einer solchen interessiert sei. Ergeben sich die Europäer also ihrem Schicksal?
Zunächst muss festgestellt werden, dass die drei US-Agenturen keine Einrichtungen der dortigen Regierung sind, sondern Privatunternehmen, die von ihren Kunden für die Bonitätseinschätzungen bezahlt werden. Dieses Geschäftsmodell kann aber nur erfolgreich sein, wenn die Kunden Vertrauen in die Seriosität und Unabhängigkeit der Agenturen legen. Und genau hier läge das Dilemma einer staatlichen EU-Ratingagentur: Käme sie zu anderen Urteilen als die US-Konkurrenz, würde man ihr automatisch Gefälligkeitsratings unterstellen. Würde sie die Einschätzungen der Amerikaner teilen, stellte sich schnell die Frage nach ihrer Notwendigkeit. Wer also Konkurrenz will, muss diese unabhängig von den Regierungen aufbauen. Niemand ist daran gehindert, eine privatwirtschaftliche Ratingagentur neu zu gründen, egal ob in Europa, China oder Indien. Ob sie dann wirtschaftlich erfolgreich ist, entscheidet der Markt.
Sie haben sich im Zusammenhang mit der Vergabe von Milliardenhilfen an EU-Partner für ein Bewilligungsgremium, in dem neben Haushältern auch Vertreter aus dem Europa-, Finanz- und Rechtsausschuss sitzen ausgesprochen. Ist Ihr Vertrauen in den Haushaltsausschuss erschüttert?
Nein, natürlich nicht. Ich bin davon überzeugt, dass es sich hierbei nicht nur um Fragen der haushalterischen Mathematik geht, sondern auch um politische Entscheidungen. Und da hätte ich mir gewünscht, wenn die Expertise weiterer Ausschüsse in die Bewilligungsentscheidungen einbezogen würde. Ich hoffe, dass wir beim dauerhaften Stabilisierungsmechanismus ESM, über den wir im Frühjahr 2012 abstimmen werden, noch einmal grundsätzlich über die Beteiligungsstruktur des Bundestages diskutieren und dabei über eine ausschließliche Delegation dieser Rechte an den Haushaltsauschuss hinausgehen.
(hau)