Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Archive > 2011 > Staatsangehörigkeitsrecht
Die Oppositionsfraktionen SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen sind im Bundestag mit Vorstößen für Erleichterungen bei der Einbürgerung von Ausländern gescheitert. In namentlicher Abstimmung votierten 308 Parlamentarier am Donnerstag, 10. November 2011, gegen einen entsprechenden Gesetzentwurf der SPD-Fraktion (17/773). 278 Abgeordnete stimmen dafür; es gab eine Enthaltung. Einen Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts (17/3411) lehnte das Parlament mit den Stimmen der Koalitionsmehrheit von CDU/CSU und FDP ebenso ab wie einen Antrag der Linksfraktion (17/2351).
Alle drei Vorlagen zielten unter anderem auf eine Abkehr vom Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit, auf eine Verkürzung der Fristen für die Einbürgerung sowie auf einen Verzicht auf das sogenannte Optionsmodell ab. Nach der Optionspflicht müssen sich in Deutschland geborene Kinder von Ausländern mit Erreichen der Volljährigkeit bis zum 23. Lebensjahr zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und der ihrer Eltern entscheiden.
SPD-Fraktionschef Dr. Frank-Walter Steinmeier wandte sich in der Debatte dagegen, jungen Menschen eine Entscheidung abzuzwingen, "die sie ganz offenbar nicht in der Lage sind zu treffen". Die Optionsregelung funktioniere nicht und könne deshalb nicht weitergeführt werden. Steinmeier mahnte, man sei es nicht nur den Zuwanderern und ihren Kindern, sondern auch sich selbst schuldig, Versäumtes bei der Integration nachzuholen.
Wer es zulasse, dass in Deutschland "zu viele Menschen zu wenig Chancen und nicht gleiche Rechte haben", setze den inneren Zusammenhalt der Gesellschaft aufs Spiel. Wenn man über Staatsangehörigkeit als ein Element der Integration rede, gehe es nicht nur um die Zuwanderer und ihre Nachkommen, sondern auch um die Zukunft des Landes. Wer Integration ernst nehme, müsse auch bereit sein, über Staatsangehörigkeit zu sprechen.
Für die Linksfraktion beklagte die Parteivorsitzende Gesine Lötzsch, dass in Deutschland immer weniger Menschen eingebürgert würden. Dies sei etwa in Schweden, Portugal und Polen ganz anders. In europäischen Ländern mit einer hohen Einbürgerungsquote seien Einbürgerungen auch dann möglich, wenn die Betroffenen weniger als fünf Jahre im Land leben. Auch müsse kein eigenständiges Einkommen nachgewiesen werden. Zudem sei in diesen Ländern Mehrstaatigkeit generell erlaubt, und auf einen Einbürgerungstest werde verzichtet. Dies seien "sehr vernünftige Regelungen".
Lötzsch mahnte, man müsse sich jetzt für die Menschen entscheiden, die seit Jahren in Deutschland leben. Wenn die Koalition die Oppositionsvorlagen ablehne, schaffe sie "neue Mauern zwischen den Menschen", verhindere die "demokratische Teilhabe von Millionen Menschen" und befördere "Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in unserem Land".
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sagte, 50 Jahre nach dem deutsch-türkischen Anwerbeabkommen müsse man reflektieren, was in dieser Zeit eigentlich passiert sei und wie man mit den Menschen umgehe, die nach Deutschland gekommen seien. Dabei seien die Kriterien der Koalition "für die Frage des Umgangs miteinander definitiv unbrauchbar".
In Deutschland würden "die Kinder der Einwanderer zu Auswanderern", weil gut gebildete junge Türken ihre berufliche Karriere besser in Brüssel oder Istanbul weiterführen könnten. Dabei gehe es "auch knallhart um deutsche Interessen", die von Schwarz-Gelb aber nicht vertreten würden. Die Koalition gebe jungen Leuten, die schon lange hier leben, "nichts als einen Optionszwang, statt zu sagen: Ja, wir wollen, dass Sie hier bleiben".
Dagegen sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Dr. Ole Schröder (CDU), 1999 sei Rot-Grün noch bereit gewesen, mit der Optionspflicht an der Vermeidung von Mehrstaatigkeit festzuhalten. Nun seien die ersten betroffenen Kinder in das "optionspflichtige Alter" gekommen, doch wollten SPD und Grüne die Optionsregelung abschaffen, "obwohl noch kein einziges Kind aus der Ius-soli-Regelung das Ende der Optionsfrist erreicht hat".
Schröder verwies darauf, dass die Forschungsgruppe des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge derzeit eine umfassende Untersuchung zur Optionsregelung und zum Einbürgerungsverhalten vornehme. Deren Ergebnisse, die in der ersten Hälfte des nächsten Jahres vorlägen, müsse man abwarten, um eine sachliche Diskussion führen zu können.
Der CSU-Abgeordnete Stephan Mayer betonte, Deutschland sei gut damit gefahren, dass es im Staatsangehörigkeitsrecht das Grundprinzip sei, Mehrstaatigkeit zu vermeiden. Eine Einbürgerung könne nur am Ende eines erfolgreich abgeschlossenen Integrationsprozesses stehen und nicht an dessen Anfang.
Auch künftig müsse es ein fester Grundsatz des Staatsangehörigkeitsrechts sein, eine doppelte Staatsangehörigkeit nach Möglichkeit abzulehnen, weil sie "erhebliche rechtliche Schwierigkeiten" mit sich bringe.
Mayer und der FDP-Parlamentarier Hartfrid Wolff plädierten ebenfalls dafür, die Ergebnisse der Evaluierung abzuwarten. Wolff nannte es "völlig absurd", die Abschaffung des Optionsmodells zu fordern. Es mache "keinen Sinn, ein Gesetz zu ändern, für dessen Wirkung es praktisch noch keine verwertbare Daten gibt", argumentierte der FDP-Innenexperte.
Es sei daher sinnvoll, erst einmal die Erfahrungsberichte über die tatsächliche Wirkung dieser Regelung abzuwarten und danach die rechtlichen Anpassungsmöglichkeiten zu prüfen. So sei es auch im schwarz-gelben Koalitionsvertrag vorgesehen. Alles andere sei Aktionismus, der kein Problem löse, sondern eher Probleme schaffe. (sto)