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Der Bundestag hat mit dem Versorgungsstrukturgesetz die umfangreichste Gesundheitsreform des Jahres unter Dach und Fach gebracht. Dem im Gesundheitsausschuss erheblich geänderten Gesetzentwurf (17/6906, 17/7224, 17/8005) stimmten am Donnerstag, 1. Dezember 2011, die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP zu. Die Oppositionsfraktionen kritisierten den Gesetzentwurf als vollkommen unzureichend und lehnten die Vorlage geschlossen ab. Ziel des Gesetzentwurfs ist es, eine flächendeckende, qualitativ hochwertige medizinische Versorgung wohnortnah sicherzustellen. Unter anderem sollen junge Mediziner mit finanziellen Anreizen angeregt werden, sich auf dem Land und in anderen strukturschwachen Regionen neu niederzulassen oder Praxen zu übernehmen. Aus Sicht der Koalitionsfraktionen erfüllt das auch Ärzte- oder Landärztegesetz genannte Vorhaben das selbstgesteckte Ziel.
Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) sagte in der Debatte, Schwarz-Gelb sorge „mit den richtigen Anreizen, und eben nicht mit Zwang" dafür, die wohnortnahe medizinische Versorgung für Menschen „gerade in der Fläche" zu gewährleisten.
„Mit Zwang werden Sie keine jungen Mediziner motivieren, sich auf dem Land niederzulassen", betonte der Minister.
Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung und CSU-Abgeordnete Wolfgang Zöller fügte hinzu, mit dem Versorgungsstrukturgesetz könne Landarzt „wieder zu einem Beruf werden, der mehr Freude macht".
Erstmals seit Langem gehe es darüber hinaus bei einer Reform nicht in erster Linie um die Stabilisierung des Beitragssatzes, sondern um „eine konsequente Orientierung am Patienten".
Dagegen kritisierte der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Prof. Dr. Karl Lauterbach, der Koalition gehe es mit ihrem Gesetz „um die Ärzteversorgung" und die Stärkung der kassenärztlichen Vereinigungen. „Der Lobbyismus ist Ihnen wichtiger als der Wettbewerb", sagte Lauterbach.
Zwar bekämen die überarbeiteten Ärzte auf dem Land „ein bisschen mehr Geld". Diese könnten aber keine neuen Patienten behandeln, weshalb die bestehende Fehlversorgung bestehen bleibe.
Die gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, Dr. Martina Bunge, sagte, das Gesetz sei „alles andere als ein großer Wurf". Die Versorgung werde „nicht besser" und „nicht zukunftssicherer". Das Gesetz bringe unkalkulierbare Mehrkosten.
Da die Koalition mit Einführung von Zusatzbeiträgen alle Ausgabensteigerungen allein den gesetzlich Versicherten aufgebürdet habe, ließen „sich leicht Regelungen für Honorarzuwächse bei Ärzten machen".
Der Gesundheitsexperte der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Harald Terpe, monierte „die völlige Ausblendung des Krankenhaussektors" in dem Gesetz. Dies sei ein „fatales Signal an kleine Krankenhäuser in strukturschwachen Regionen".
Der Koalition sei „es nicht gelungen, ihre arzt- und sektorenzentrierte Sichtweise zu relativieren".
Zu den beschlossenen finanziellen Anreizen gehört, dass Landärzte von Maßnahmen der Budgetbegrenzung ausgenommen werden, für ihre Tätigkeit also besser bezahlt werden. Ferner wird die Residenzpflicht aufgehoben, Ärzte können damit in der Stadt wohnen und auf dem Land praktizieren.
Angestrebt wird mit dem Gesetz eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Künftig sollen sich Vertragsärztinnen nach einer Geburt nicht mehr nur sechs, sondern zwölf Monate lang vertreten lassen können.
Ein Kernpunkt des Gesetzes, das zum 1. Januar 2012 in Kraft treten soll, ist zudem die Überarbeitung der so genannten Bedarfsplanung, die sicherstellen soll, dass es nicht zu viele, aber auch nicht zu wenige Vertragsärzte, -zahnärzte und -psychologen gibt.
Die Verteilung der Praxen soll sich künftig stärker an regionalen Gegebenheiten orientieren. So ist vorgesehen, dass ein Planungsbezirk nicht automatisch an einer Landkreisgrenze endet. „Wir geben die Flexibilität, um genau zu schauen: Wo ist Bedarf, wo ist vielleicht eine Überversorgung, die abgebaut werden muss?", hob Bahr hervor.
Zum Abbau der Überversorgung etwa in einigen Großstädten sollen die Kassenärztlichen Vereinigungen, anders als zunächst vorgesehen, jedoch kein Vorkaufsrecht erhalten, wenn die Nachbesetzung einer Praxis ansteht. Vielmehr erhält nach dem Willen der Koalition dort der mit Kassen- und Ärztevertretern besetzte Zulassungsausschuss die Aufgabe, auf Antrag zu entscheiden, ob ein Arztsitz nachbesetzt wird.
Wird der Antrag abgelehnt, hat die Kassenärztliche Vereinigung dem Vertragsarzt oder seinen Erben den Angaben zufolge eine Entschädigung „in der Höhe des Verkehrswertes der Arztpraxis" zu zahlen.
Lauterbach sagte dazu, die Koalition habe vor den Kassenärztlichen Vereinigungen „Angst gehabt" und gehe die Überversorgung nicht konsequent an. Der Bundestag lehnte jedoch einen Entschließungsantrag der SPD-Fraktion (17/8010) mehrheitlich ab, in dem die Abgeordneten unter anderem fordern, die Kassenärztlichen Vereinigungen zu verpflichten, in mit Ärzten überversorgten Regionen frei werdende Arztsitze aufzukaufen, um sie vom Markt zu nehmen.
Ferner setzt sich die SPD in dem Entschließungsantrag für eine einheitliche Honorarordnung für gesetzlich und privat Versicherte ein, damit „gesetzlich Versicherte bei Wartezeiten und Terminvergabe nicht benachteiligt werden".
Schrittweise einführen will die Koalition eine „ambulante spezialfachärztliche Versorgung", die gleichermaßen von Krankenhausärzten sowie niedergelassenen Fachärzten erfüllt werden soll. Der neue Versorgungszweig, dessen Leistungen ohne Abstaffelung und Mengenbegrenzung erbracht werden kann, umfasst dem Entwurf zufolge „die Diagnostik und Behandlung komplexer, schwer therapierbarer Krankheiten".
Dazu zählen unter anderem Krebserkrankungen, HIV/Aids und Multiple Sklerose. Den gesamten Bereich ambulanter Operationen hat die Koalition dagegen aus der „ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung" gestrichen. Insbesondere die Länder hatten hier Bedenken geäußert, die Kosten könnten explodieren. Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn, nannte dies „eine der grundlegendsten Strukturveränderungen im deutschen Gesundheitswesen", die es in den vergangenen Jahren gegeben habe.
Die Anträge der Fraktionen Die Linke (17/3215, 17/7460) und Bündnis 90/Die Grünen (17/7190) fanden keine Mehrheit. Dagegen nahm das Parlament auch einen Entschließungsantrag der Koalition (17/8009) mehrheitlich an. In diesem werden die Länder unter anderem aufgefordert, mehr Lehrstühle für Allgemeinmedizin zu schaffen.
Grünen-Gesundheitsexperte Terpe hielt dem entgegen, dass mit dem neuen Versorgungszweig für Hausärzte „eher Konkurrenz organisiert" werde. Ähnlich äußerte sich auch Lauterbach. (mpi)