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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) hat die Beschlüsse des Brüsseler Euro-Gipfels am 8. und 9. Dezember verteidigt. In einer Regierungserklärung sagte sie am Mittwoch, 14. Dezember 2011, vor dem Deutschen Bundestag: „Wir reden nicht nur über eine Fiskalunion. Wir haben angefangen, sie zu schaffen. Das ist in seiner Bedeutung nicht hoch genug einzuschätzen.“ Mit den Beschlüssen aus Brüssel seien nun die entscheidenden Weichen gestellt für „ein neues Europa der Stabilität, der Solidarität und des Vertrauens“, sagte Merkel. Hart ins Gericht ging die Kanzlerin mit früheren europäischen Staats- und Regierungschefs.
Bereits bei der Gründung der Wirtschafts- und Währungsunion seien „Konstruktionsfehler zugelassen worden, die die Euro-Gruppe inzwischen mit voller Wucht treffen“, sagte sie und fuhr fort: „Die gegenwärtige Krise im Euro-Raum ist von ihrer Ursache her eine Staatsschuldenkrise. Aber sie ist auch inzwischen eine Vertrauenskrise." Es handele sich um eine Krise, „die die Politik wie niemand sonst zu verantworten hat“.
Mit der jüngsten Einigung in Brüssel sei es nunmehr möglich, die Konstruktionsfehler der Währungsunion zu beheben, sagte Merkel. Die angestrebten Änderungen der 17 Euro-Länder und der „Mehrheit der EU-Mitglieder“ sollen bis März nächsten Jahres in einem zwischenstaatlichen Vertrag vereinbart werden.
Merkel bedauerte, dass sich Großbritannien mit seinem Veto einer Lösung im Rahmen der EU-Verträge verweigert habe. Sie betonte jedoch ausdrücklich, dass das Land weiter ein verlässlicher und wichtiger Partner in der EU sein werde.
Der Fraktionschef der SPD, Dr. Frank-Walter Steinmeier, warf der Kanzlerin in der darauf folgenden Debatte vor, nach der Eurokrise nunmehr eine „veritable Verfassungskrise“ zu provozieren. Die Fiskalunion sei ein „Scheinriese“. Das Vorhaben, einen Vertrag außerhalb des EU-Vertrags zu machen, sei „auf den ersten Blick harmlos, ist es aber nicht“, warnte Steinmeier. Egal was letztlich im neuen Vertrag stehen möge, wenn sich nur ein Mitgliedsland auf den Lissabon-Vertrag berufe, dann gelte dieser.
Der Gipfel sei deshalb kein Durchbruch, er stifte nur neue „Rechtsunsicherheit“ und kompliziertere Strukturen. Heftig kritisierte Steinmeier die „gewagte Konstruktion“, den Kreditrahmen zur Eurorettung über eine Aufstockung der Mittel für den Internationalen Währungsfonds (IWF) zu erhöhen. Damit würden deutsches Steuergelder in Höhe von 45 Milliarden Euro über den Umweg der Europäischen Zentralbank aufgewendet, ohne dass darüber der Bundestag befinde. Der Zweck dieser Operation sei es, „den Bundestag zu umgehen, und das geht eben nicht“, sagte Steinmeier.
Rainer Brüderle, Fraktionsvorsitzender der FDP, entgegnete, der Gipfel habe „gute Ergebnisse“ gebracht. Nationale Haushalte würden künftig strenger überwacht, bei Verstößen gegen den Stabilitätspakt würden automatische Sanktionen greifen. Brüderle warf der Opposition vor, an Eurobonds, also gemeinsamen europäischen Staatsanleihen, festzuhalten.
Rot-Grün würde in der Krise stets nach Lösung zu suchen, die dahin führten, die Geldruckmaschinen anzuwerfen. Er warnte vor „neosozialistischen Traumtänzereien“ und einer „rot-grünen Inflationsunion“, die die vor allem das Ersparte der „hart arbeitenden“ kleinen Leute treffen würde. Zur umstrittenen Vertragslösung sagte der Liberale: Ein zwischenstaatlicher Vertrag sei nicht die „eleganteste Lösung“, aber es sei besser, „mit Hausmannskost zum Ziel zu kommen“ als in schöner Anmutung unterzugehen.
Genau in diesem Punkt widersprach für die Linksfraktion deren Vorsitzender Dr. Gregor Gysi: Die vorgesehene Durchgriffsrecht der EU-Kommission auf nationale Haushalte wäre grundgesetzwidrig, ein neuer Vertrag neben dem EU-Vertrag von Lissabon wäre rechtlich zudem unwirksam. Der Koalition warf Gysi vor, mit ihren Brüsseler Initiativen zu einer Schuldenbremse und strenger Haushaltsdisziplin eine „Agenda 2010“ für ganz Europa einzuführen.
Dies bedeute nichts anderes als „mehr Geringverdiener, Lohnabbau, Rentenkürzung, Outsourcing, schlechtere Löhne, Teilprivatisierung der Renten und der Gesundheit“, sagte Gysi. Eine EU aber, die für Sozialabbau stehe und den Menschen Lebensperspektiven raube, zerstöre das Vertrauen der Europäer.
Der Fraktionschef der Union, Volker Kauder, kritisierte, dass insbesondere die SPD keine brauchbaren Alternativen biete und den bisherigen Konsens der letzten Wochen, die Euro-Krise gemeinsam zu lösen, offenbar aufgekündigt habe. Die Sozialdemokraten forderten einerseits die Finanztransaktionssteuer, andererseits kritisierten sie die Bundesregierung dafür, dass Großbritannien unter anderem genau wegen der deutschen Forderung nach dieser Steuer beim EU-Gipfel ausgeschert sei.
„Wir kämpfen um die Stabilität des Euro“, sagte Kauder, es gehe hier um Zukunftschancen von Hunderten Millionen Menschen in Europa. Die Euro-Länder dürften nicht an einer Lösung gehindert werden, „wenn ein oder zwei nicht mitmachen“, sagte Kauder. Er kündigte außerdem an, sich für eine Beteiligung des Bundestages bereits bei der Erarbeitung des neuen Vertrags zur Fiskalunion einzusetzen.
Dies wiederum wollte ihm Jürgen Trittin nicht abnehmen: „Parlamente sind nicht zum Zuschauen, sie sind zum Entscheiden da“, sagte der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen. Er kritisierte vor allem den Plan, die Mittel für den IWF aufzustocken. Damit wachse das Risiko für den Bundeshaushalt, ohne dass der Bundestag darüber entscheide.
Der Bundesregierung attestierte Trittin eine falsche Analyse der Ursachen der Krise als Staatsschuldenkrise. „Die Krise ist auch ausgelöst worden in Staaten wie Irland und Spanien mit vorbildlicher Haushaltsführung - aus dem einfachen Grund, dass diese Länder gezwungen waren, private Schulden von Banken zu verstaatlichen." Wenn die Bundesregierung angesichts in Europa ausbleibenden Wachstums jetzt auch noch harten Sparprogrammen das Wort rede, dann würge sie damit das Wachstum ab und verlängere die Krise, sagte Trittin.
Nach der kontroversen knapp zweistündigen Debatte stimmte der Bundestag über zwei Entschließungsanträge ab. Beide fanden keine Mehrheit im Plenum. Die SPD forderte in ihrem Antrag (17/8135) unter anderem, den neu entstehenden Vertrag zur Fiskalunion in „europäisches Gemeinschaftsrecht“ zu überführen sowie Europäisches Parlament und die nationalen Parlamente in „jeder Stufe“ zu beteiligen.
Das Europäische Parlament solle mittelfristig zu einem „vollwertigen Gesetzgeber“ werden, der unter anderem die EU-Kommission wählt, welche damit zu einer „demokratische legitimierten Wirtschaftsregierung“ werde. Außerdem mahnten die Sozialdemokraten die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, einen Ausgleich der Leistungsbilanzen der Euro-Länder und neben Spar- auch Wachstumsprogramme an.
Die Linke warf in ihrem Antrag (17/8136) der Bundesregierung vor, mit dem von ihr angestrebten und auf dem Gipfel beschlossenen „fiskalpolitischen Pakt“, die „demokratische Budgethoheit“ der nationalen Parlamente auszuhebeln und die demokratische Legitimation und Rechtsstaatlichkeit der EU-Institutionen zu untergraben. Konkret forderte die Fraktion, die „Verursacher und Profiteure der Krise durch eine EU-weite Vermögensabgabe zur Krisenfinanzierung“ heranzuziehen, Privatbanken zu vergesellschaften, die Finanzmärkte streng zu regulieren und mit einer Finanztransaktionssteuer zu belegen.
Zur Durchsetzung dieser Pläne hatte die Fraktion die Einsetzung eines Konvents des EU-Parlaments und der nationalen Parlamente vorgeschlagen, der eine „grundlegende Revision“ der EU-Verträge erarbeiten soll. (ahe)
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