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Kernenergie, Globalisierung, Gentechnologie - es sind stets Zukunftsfragen, mit denen sich Enquete-Kommissionen befassen. Mit diesen überfraktionellen, von Abgeordneten und Sachverständigen besetzten Arbeitsgruppen versucht das Parlament, über den Tellerrand der Tagespolitik hinauszublicken und Lösungsansätze für gesellschaftliche Probleme zu finden. Gerade in Zeiten großen Reformbedarfs sind die Enquete-Kommissionen so zu einem wichtigen Instrument der Entscheidungsvorbereitung für den Bundestag geworden.
Wie steht es um die öffentliche und private Kulturfinanzierung? Kommt der Staat seiner Verantwortung ausreichend nach, Kultur als öffentliches Gut zu finanzieren? Sind rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen eigentlich noch zeitgemäß, in denen Kulturorganisationen arbeiten? Und nicht zuletzt: Wie ist es um die wirtschaftliche Situation von Kunst- und Kulturschaffenden in Deutschland bestellt?
Fragen wie diese waren es, die zu Beginn des neuen Jahrtausends die Kulturpolitiker im Bundestag beschäftigten. Immer deutlicher war zu diesem Zeitpunkt geworden, dass die wachsende Not öffentlicher Haushalte die Ausgaben für Kultur sinken ließ.
Theater, Orchester, Musikschulen oder Bibliotheken zwischen Kiel und Konstanz waren immer öfter von Schließungen betroffen. Zudem stellten Entwicklungen wie Internet und Digitalisierung neue Anforderungen an den Gesetzgeber, so etwa im Bereich des Urheberrechts, das für neue digitale Verwertungsformen ergänzt und ausgebaut werden musste.
Zwar fallen Kulturpolitik und -förderung grundsätzlich in den Hoheitsbereich der Länder, doch da der Bund für viele Rechtsgebiete, die Kunst- und Kulturschaffende betreffen, Verantwortung trägt, vereinbarte die 2002 gerade wieder gewählte rot-grüne Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag, eine Enquete-Kommission einzurichten, die die deutsche Kulturlandschaft einer gründlichen Bestandsaufnahme unterziehen sollte – nach fast dreißig Jahren zum ersten Mal.
Zuletzt hatte der Bundestag 1975 eine Untersuchung zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der künstlerischen Berufe veranlasst. Den Antrag auf Einsetzung der Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" stellten 2003 schließlich alle Fraktionen des Bundestages – SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP – gemeinsam.
Das Gremium solle "Empfehlungen zum Schutz und zur Ausgestaltung der Kulturlandschaft sowie zur weiteren Verbesserung der Situation der Kulturschaffenden erarbeiten", so die Vorlage vom 1. Juli 2003, "und, soweit Bedarf besteht, Vorschläge für gesetzgeberisches oder administratives Handeln des Bundes vorlegen".
Das war ein äußerst umfangreicher Auftrag, dem sich das 22-köpfige Gremium (elf Parlamentarier und elf Sachverständige) unter dem Vorsitz von Gitta Connemann (CDU/CSU) nach seiner Konstituierung am 13. Oktober 2003 zu widmen begann. Mit sieben Themen sollte sie sich in parlamentarischem Auftrag vordringlich befassen, so etwa mit den "Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur in Staat und Zivilgesellschaft", der kulturellen Bildung sowie der wirtschaftlichen und sozialen Lage von Künstlern.
Zwei Jahre später, im Herbst 2005, sollte die Kommission bereits ihre Ergebnisse und Handlungsempfehlungen dem Bundestag übergeben. Doch bevor sie den Abschlussbericht vorlegen konnte, führten Auflösung des Bundestages und Neuwahlen im Herbst 2005 zu einem vorzeitigen Ende der Kommission.
Um die bisherigen Ergebnisse nicht zu gefährden, drangen die Mitglieder jedoch auf eine Fortsetzung ihrer Arbeit. Mit Erfolg: Am 13. Februar 2006 setzte der Bundestag die Enquete-Kommission erneut ein. Neben vier SPD- und vier Unionsabgeordneten, jeweils einem FDP- und Grünen-Abgeordneten gehörte nun auch ein Politiker der Linksfraktion zum Gremium.
Im Dezember 2007 dann - nach vier Jahren Arbeit, insgesamt 40 Sitzungen, sechs öffentlichen Anhörungen und 15 Expertengesprächen zu Themen wie "Urheberrecht", "Kultursponsoring" oder "Kultur in Europa" - legte die Kommission ihren Abschlussbericht vor. 1202 Seiten schwer, ein Konvolut gespickt mit 459 Handlungsanweisungen an Politik und Gesetzgeber in Bund und Ländern.
"Wir skizzieren die Grundzüge der nationalen Kulturpolitik im Wissen und in der Verantwortung um die Bedeutung von Kultur für unsere Gesellschaft", betonte die Kommissionsvorsitzende Gitta Connemann bei der Beratung des Abschlussberichts am 13. Dezember 2007 im Bundestag, "denn Kultur gibt mehr als Identität. Kultur ist das, was von einer Gesellschaft bleibt".
Die CDU-Politikerin kritisierte, dass "zu viele" Theater oder Musikschulen in den vergangenen Jahren dem Sparzwang zum Opfer gefallen seien, da Ausgaben für Kultur in vielen Ländern zu den "freiwilligen Leistungen" gehörten. "Zu einer funktionsfähigen Infrastruktur gehören aber zwingend Kultur- und Bildungseinrichtungen", so Connemann.
In dieser Hinsicht seien Kulturausgaben nicht als Subventionen, sondern als Investitionen zu verstehen. Auch aus diesem Grund sprach sich die Kommission in ihrem Abschlussbericht dezidiert für die Festschreibung des Staatsziels Kultur im Grundgesetz aus.
"Wir brauchen ein verfassungsrechtlich eindeutiges Signal, das sagt, dass nicht nur wie bisher die natürlichen Lebensgrundlagen als Staatsziel geschützt sind, sondern auch die andere Seite der Medaille, die geistigen Grundlagen", erklärte Hans-Joachim Otto (FDP) und forderte eine Entscheidung darüber noch in der laufenden Legislaturperiode.
Siegmund Ehrmann (SPD) plädierte zudem dafür, das 2002 zuletzt novellierte Urheberrecht erneut zu überarbeiten: Die Beschäftigung mit der sozialen und wirtschaftlichen Situation von Künstlern habe der Kommission deutlich gemacht, dass der "Anspruch, Urhebern eine angemessene Vergütung zukommen zu lassen, in weiten Teilen nicht Wirklichkeit ist".
Auf eine Stärkung des Urheberrechts drang auch Dr. Lukrezia Jochimsen (Die Linke): Die Einkommenssituation vieler Künstler und Kulturschaffender in Deutschland bezeichnete sie als "elend". Viele verdienten nur unregelmäßig, im Durchschnitt rund 11.000 Euro pro Jahr. Die Mehrheit könne auch daher auch keine Alterversicherung aus eigenen Einnahmen finanzieren, so die Linkspolitikerin.
Undine Kurth (Bündnis 90/Die Grünen) appellierte gerade vor dem Hintergrund des erstarkten Rechtsextremismus daran, "Kultur und Bildung zusammen zu denken" und stärker zu fördern.
"Kultur befähigt uns, Demokratie zu leben, Urteile zu fällen und abzuwägen", sagte die Abgeordnete. Kultur sei wie ein "Trainingszentrum für unsere Sozialisation". Stehe es leer, dürfe man sich nicht wundern, "wenn andere es besetzen".
Ein breites Handlungsfeld für Politik und Zivilgesellschaft, denen die Enquete-Kommission mit ihrem Abschlussbericht zumindest aber einen nützliches Werkzeug an die Hand geben konnte: Die Vorsitzende Connemann formulierte es so: "Dieser Bericht kann ein Kompass sein, der richtungsweisend ist – wenn denn die Empfehlungen auch umgesetzt werden."
Tatsächlich ist die Debatte über zentrale Vorschläge der Kommission, etwa Kultur als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern, längst nicht beendet, auch wenn der Bundestag am 19. Juni 2009 eine entsprechende Initiative der FDP-Fraktion abgelehnt hat.