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III. Das kaiserliche Deutschland
2. Die Kooperation zwischen Monarchie und nationalem Liberalismus
Zwar bleiben Militär und Außenpolitik als Herrschaftsdomäne der Monarchie von den Befugnissen des Parlaments ausgeschlossen, doch nutzt die liberale Mehrheit im Reichstag des Norddeutschen Bundes dessen Gesetzgebungskompetenz umso intensiver. Im Bündnis mit der konservativen preußischen Staatsführung und in der Hoffnung auf baldige Vollendung der Reichseinheit werden mehr als 80 Gesetze verabschiedet, die eine vergleichsweise moderne Wirtschafts- und Sozialverfassung, Rechtsordnung und Verwaltungsstruktur begründen. Die damit verbundene Auflösung traditioneller Ordnungen und der unverhüllte preußische Hegemonieanspruch führen jedoch speziell in Süddeutschland auch unter Befürwortern der nationalen Integration zu Vorbehalten, die in der Niederlage der Liberalen bei den Zollparlamentswahlen von 1868 ihren Niederschlag finden.
Nichtsdestoweniger löst der Konflikt zwischen Frankreich und Preußen, der sich im Frühjahr 1870 an der Frage der spanischen Thronkandidatur des Erbprinzen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen entzündet, in ganz Deutschland jene Welle nationalpatriotischer Entrüstung aus, die Bismarck vorausgesehen hat. Als Frankreich Preußen am 19. Juli den Krieg erklärt, treten zwischen dem Norddeutschen Bund und den süddeutschen Staaten schon 1866/67 geschlossene Bündnisabkommen in Kraft. Am 2. September ist die Niederlage Napoleons III. besiegelt, doch zieht sich der Krieg gegen das nunmehr republikanische Frankreich vor allem wegen der deutschen Forderung nach Abtretung des Elsass und eines Teils von Lothringen noch über ein halbes Jahr hin. Währenddessen wird eine Anzahl völkerrechtsähnlicher Verträge zwischen den deutschen Monarchen und Regierungen vom Norddeutschen Reichstag und von den süddeutschen Landtagen ratifiziert. Formal steht der nationalen Einheit damit nichts mehr im Wege. Am 18. Januar 1871 wird Wilhelm I. von Preußen im Spiegelsaal von Versailles zum deutschen Kaiser ausgerufen.
Im Reichstag behaupten sich die Nationalliberalen auch nach der Reichsgründung als stärkste Fraktion. Ihre Allianz mit der Reichsleitung manifestiert sich bald auch im "Kulturkampf", in dem das ungleiche Bündnis die Autonomie der Politik vor den katholisch-konfessionellen Interessen des Zentrums schützen zu müssen meint. Ausnahme- und Verbotsgesetze beschädigen den Glauben an einen friedlichen Interessenausgleich innerhalb der nationalen Gemeinschaft nachhaltig. Die Krise von 1873/74 offenbart zudem bestimmte Schwächen des liberalen Wirtschaftssystems.