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Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 11. Oktober 2010)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –
Als wenig ambitioniert kritisiert der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, Hans-Jörg Bullinger, das Ziel der Bundesregierung, bis zum Jahr 2020 eine Million Elektroautos auf Deutschlands Straßen zu bringen. „Wenn wir überlegen, dass dann 50 bis 60 Millionen Fahrzeuge in Deutschland unterwegs sein werden, ist das eigentlich keine berauschende Zahl“, sagte Bullinger in einem Gespräch mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 11. Oktober 2010). In Frankreich und anderen Ländern habe man sich höhere Ziele gesetzt“. Die Zahl sei aber ein Signal, in diesem Bereich verstärkt zu forschen. „Noch ganz massiv“ müsse dabei an der Batterietechnik gearbeitet werden. In diesem Bereich habe Deutschland jedoch „die Nase nicht ganz vorne“.
Bullinger, der die Bundesregierung bei der Erstellung der Hightechstrategie im Energiebereich beraten hat, lobte zugleich die angekündigten zusätzlichen Ausgaben für die Forschungspolitik. „Es bleiben natürlich trotzdem Wünsche offen, aber viele Forscher werden Ihnen bestätigen, dass in den vergangenen Jahren eine ganze Menge passiert ist“, sagte er. Allerdings seien die jetzigen Ausgaben das „Minimum“, wenn Deutschland „diesen Lebensstandard halten [möchte] im Wettbewerb gegen alle anderen“, mahnte Bullinger.
Das Interview im Wortlaut:
Die Bundesregierung will bis 2020 eine Million Elektroautos auf Deutschlands Straßen bringen. Das steht in der „Hightech-Strategie 2020“, die der Bundestag vergangene Woche diskutiert hat. Für wie realistisch halten Sie diesen Plan?
Eine Million Autos halte ich nicht einmal für besonders viel. Wenn wir überlegen, dass dann 50 bis 60 Millionen Fahrzeuge in Deutschland unterwegs sein werden, ist das eigentlich keine berauschende Zahl. In Frankreich und anderen Ländern haben sie sich höhere Ziele gesetzt. Die Zahl von einer Million ist aber ein Signal, hier verstärkt zu forschen.
Warum sind denn hierzulande nicht längst Millionen von Elektroautos unterwegs?
Das Hauptproblem sind bislang die Batterien. Nach dem heutigen Stand der Technik braucht man 50 Kilo Lithium-Ionen-Batterien, um einen Liter Benzin im Tank zu ersetzen. Wenn Sie also keinen Anhänger für die Batterien an Ihr Auto hängen wollen, kommen Sie mit Elektroautos heute noch nicht weiter als 100 bis 150 Kilometer. An der Batterietechnik muss also noch ganz massiv gearbeitet werden. Leider hat Deutschland in diesem Bereich die Nase nicht ganz vorne.
Kann die Hightech-Strategie da den Durchbruch bringen?
Man darf die Wirkung von staatlichen Fördergeldern für die Forschung nicht überschätzen. In Deutschland haben zwei Drittel aller Forschungsausgaben mit der öffentlichen Hand zunächst einmal gar nichts zu tun. Die kommen aus der Wirtschaft. In Bereichen wie der Batterieforschung muss sich also die Zusammenarbeit zwischen Staat und Unternehmen verbessern – allerdings auch zwischen den Ministerien, die unterschiedliche Förderprogramme unterhalten. Da hat die Hightech-Strategie seit ihrer ersten Auflage im Jahr 2006 schon einiges erreicht.
In der Hightech-Strategie heißt es, Deutschland brauche ein „günstiges Innovationsklima“. Das klingt erst einmal sehr abstrakt. Wie fühlt sich ein solches Klima denn an?
Wenn ich möchte, dass ein Mitarbeiter etwas austüftelt, kann ich ihm nicht sagen: Erfinde doch mal was bis heute Nachmittag um halb vier. Eine solche Kreativität setzt eine Vertrauenskultur in Betrieben und Organisationen voraus, dass man Menschen auch mal machen lässt. Das hat mit Politik zunächst gar nichts zu tun. Und dann geht es um die Gesellschaft: Auch dort braucht man Vertrauen in neue Ideen. Das äußert sich zum Beispiel darin, dass Erfindungen finanziert werden.
Es wird oft beklagt, dass hierzulande Erfindungen viel zu langsam in fertige Produkte umgesetzt werden...
...das stimmt. Das mp3-Format, das heute weltweit für digitale Musikdateien benutzt wird, wurde beispielsweise am Erlanger Fraunhofer-Institut entwickelt. Aber die Wissenschaftler haben zwei Jahre lang vergeblich nach einem deutschen Unternehmen gesucht, das die Geräte baut. Bei der Umsetzung von Innovationen müssen wir noch deutlich besser werden.
In diesem Fall hat es also an mutigen Unternehmern gefehlt. Machen die Wissenschaftler denn alles richtig?
Auch als Forscher sollte man sich gefallen lassen, dass man nicht nur an der Länge seiner Publikationsliste, sondern beispielsweise auch an der Zahl seiner Patente gemessen wird. Wir müssen ergebnisorientierter forschen. Auch bei der Bewertung der Exzellenz – beispielsweise bei Universitäten – sollte die Umsetzung von Forschungsergebnissen stärker berücksichtigt werden. Das heißt aber nicht, dass wir die Grundlagenforschung vernachlässigen dürfen.
Schlummert in einem deutschen Labor gerade eine Erfindung, die dem mp3-Player ebenbürtig wäre?
Bei uns in den Fraunhofer-Instituten haben wir begonnen, jedes Jahr ein bis zwei Ideen auszuwählen, die von einer kleinen, von uns gegründeten Firma weiterentwickelt und auf den Markt gebracht werden sollen. Dieses Jahr haben wir eine optische Erfindung ausgewählt, die in Mini-Beamern zum Einsatz kommt. Damit können Sie beispielsweise mit Ihrem Handy eine Präsentation an die Wand projizieren. Die zweite Idee, an der wir herumbasteln, ist eine Spargelerntemaschine, die durch Ultraschall erkennt, wo der Spargel ist. Beide Geräte funktionieren bereits im Labor. Jetzt müssen wir Prototypen bauen, die Serienproduktion wäre dann der nächste Schritt.
Wie viel Einfluss hat denn die Politik darauf, ob Mini-Beamer oder Spargelsuchgeräte erfunden werden – und irgendwann auch in den Regalen stehen?
Man darf nicht immer nur auf die Politik zeigen. Sie kann aber durchaus einen Beitrag leisten, wenn es beispielsweise um Finanzierungsfragen oder die Förderung junger Unternehmen geht. Die Hightech-Strategie erfordert die Zusammenarbeit von Politik, Betrieben und Forschungsinstituten.
Können Sie beziffern, wie viel die Politik zum Innovationsklima beiträgt?
Der Staat finanziert zwar nur ein Drittel der Forschungsausgaben, aber seine Bedeutung ist besonders für kleine und mittelständische Betriebe viel größer. Die haben eben nicht selbst das Geld, um Forschungskapazitäten – womöglich auch noch international – aufzubauen. Außerdem setzt die Politik natürlich die Rahmenbedingungen.
Die Bundesregierung will in der laufenden Legislaturperiode etwa sechs Milliarden zusätzlich für die Forschung ausgeben, trotz Sparhaushalt und Schuldenbremse. Kommt das Geld denn bei Ihnen in der Forschung an?
Ich habe den Eindruck, dass es ankommt – dass es aber auch dringend notwendig ist, hier mehr Geld hineinzustecken. Es bleiben natürlich trotzdem Wünsche offen, aber viele Forscher werden Ihnen bestätigen, dass in den vergangenen Jahren eine ganze Menge passiert ist. Manchmal wundere ich mich, dass die Bundesregierung in der Öffentlichkeit nicht stärker darauf hinweist, dass schon in der letzten Legislaturperiode acht Milliarden Euro zusätzlich in die Forschung geflossen sind.
Die Bundesregierung brüstet sich damit, dass kein anderes europäisches Land in absoluten Zahlen mehr für Forschung ausgibt als Deutschland. Reicht das?
Die Frage ist, wo wir hinwollen und was wir verteidigen wollen. Unsere Bürger möchten diesen Lebensstandard halten im Wettbewerb gegen alle anderen. Dafür sind die aktuellen Ausgaben das Minimum, das wir in Forschung und Entwicklung investieren müssen. Auch die anderen Industrienationen stecken enorm viel Geld in diesen Bereich. Noch haben wir beispielsweise einen Vorsprung bei den regenerativen Energien, aber inzwischen gehen auch die Amerikaner massiv in dieses Feld rein.
Hilft denn die Hightech-Strategie 2020, hier den deutschen Vorsprung zu sichern?
Ein Schwerpunkt der Strategie ist beispielsweise die CO2-neutrale Stadt. Wir wollen die Häuser effektiver dämmen und möglichst viele erneuerbare Energien einsetzen, sei das Photovoltaik, Biomasse oder Windkraft. Damit können wir 70 bis 80 Prozent der entsprechenden Energie sparen.
Viele Menschen finden Windkraft ja prinzipiell gut – wollen aber nicht, dass die Leitungen über ihre Grundstücke führen..
...deshalb müssen die Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung erleben, welche Vorteile erneuerbare Energien haben. Dann sind sie auch eher bereit, sich mit den Begleiterscheinungen auseinanderzusetzen. Ein Windpark in der Nordsee ist abstrakt – was in der eigenen Kommune passiert, ist konkret. Deshalb sind wir gut beraten, wenn wir aus den Betroffenen frühzeitig Beteiligte machen.
In der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“, Nr. 41-42, lesen Sie:
Weitere Themen sind unter anderem: Der gute Mensch von Bremen – Willi Lemke über sein Leben zwischen Politik und Fußball. Integration: Vergeudete Talente – wie Russische Ärzte mit Aushilfsjobs ihren Lebensunterhalt verdienen. Hoffnung im Vielvölkerstaat – Verluste für die Nationalisten in Bosnien und Herzegowina.
Mit der Beilage „Aus Politik und Zeitgeschichte“.
Heute: Revolutionen in Lateinamerika
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