Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Archive > 2010 > Interview zur Internationalen Grünen Woche
Vom 15. bis 24. Januar findet in Berlin die "Internationale Grüne Woche", die weltgrößte Messe für Ernährungswirtschaft, Landwirtschaft und Gartenbau. Hans-Michael Goldmann ist seit November 2009 Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, der wie in jedem Jahr einen Rundgang über die Messe machen wird. Im Interview zum Messebeginn ruft der FDP-Politiker die Milchviehbetriebe auf, ihr Potenzial weiterzuentwickeln. Die Produktqualität müsse ausgebaut und es müssten neue Märkte erschlossen werden. Denn: "Wir haben nach wie vor zu viel Milch im Markt und dadurch einen relativ schlechten Preis."
Am 15. Januar startet die Internationale Grüne Woche. Welchen Stellenwert hat die "international wichtigste Messe für Ernährungswirtschaft, Landwirtschaft und Gartenbau" aus Sicht des Vorsitzenden des Agrarausschusses?
Zweifellos einen sehr hohen Stellenwert. Und das im nationalen wie im internationalen Rahmen. Die Resonanz ist bei den Ländern, die sich neue Märkte erobern wollen, sehr groß. Das gilt für Russland wie für die baltischen Länder und eigentlich alle ehemaligen Ostblockländer. Bei der Eröffnung der Messe sind Vertreter der Agrarministerien aller ernstzunehmenden europäischen Länder dabei. Dazu kommt noch die deutliche Verbraucherorientierung der Grünen Woche - das zeigt: dies ist sicherlich die Top-Messe.
Die Orientierung der Messe in Richtung Osteuropa zeigt sich ja auch an der Wahl der Partnerländer. Russland war es im vergangenen Jahr und Ungarn ist es in diesem Jahr. Welches Interesse hat die deutsche Agrarindustrie mit Blick Richtung Osten?
Ein großes Interesse. Gerade im Rahmen des europäischen Wachstums und der Europäischen Gemeinschaft sind die Beitrittsländer Rumänien, Bulgarien, Ungarn und Polen Normalpartner geworden, und davon hat Deutschland in besonderer Weise partizipiert. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unserer Unternehmen und der Agrarbranche insgesamt hat dazu geführt, dass wir uns diese Märkte weitgehend erobern konnten. Mittlerweile haben aber auch die dortigen Produzenten den Anschluss geschafft und ein sehr gutes Niveau erreicht und tragen somit intensiv zum europäischen Handel bei.
Werden Sie mit der Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner gemeinsam über die Messe laufen?
Wir machen den berühmten Ausschussrundgang, und ich hätte auch kein Problem damit, mit Frau Aigner über die Messe zu gehen.
Obwohl Sie als Oppositionspolitiker im vergangenen Jahr recht oft Meinungsverschiedenheiten mit der Ministerin hatten…
Wir werden auch zukünftig zu dem ein oder anderen Punkt unterschiedliche Ansichten haben. Dennoch: Mein Kernziel als Ausschussvorsitzender ist es, uns als Ausschuss geschlossen darzustellen und versuchen deutlich zu machen, dass wir uns alle gemeinsam für die Menschen, die mit dem Bereich Landwirtschaft, Ernährung und natürlich auch Verbraucherschutz zu tun haben, einsetzen. Deshalb machen wir den gemeinsamen Rundgang, der in Absprache mit allen Obleuten zustande gekommen ist. Dabei kommen wir den Interessenlagen aller Fraktionen nach. Wir werden bei den Ökobauern sein, bei der Seuchenbekämpfung, bei den Rinderzüchtern und auch beim Bauernverband im Bereich des Erlebnishofes. Gleichwohl gibt es bei der Lösung bestimmter Fragen eine gewisse Ideenvielfalt, die zusammengeführt werden muss. Und das werden wir tun. Ich persönlich werde auch versuchen, Konfliktsituationen anzusprechen. Etwa zwischen dem Bauernverband und dem Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM), damit man auch dort ins Gespräch kommt.
Stichwort Rinderzüchter. Derzeit wird über eine Abkehr von der Impfpflicht gegen die Blauzungenkrankheit bei Rindern und Schafen diskutiert. Wie stehen Sie dazu?
Die Impfpflicht ist entsprechend eines Bundesratsbeschlusses im Grunde schon aufgehoben. Ich persönlich finde das nicht sehr konstruktiv.
Das Jahr 2009 war für viele Milchbauern angesichts der extrem gesunkenen Erzeugerpreise für Milch ein Horrorjahr. Besteht 2010 Hoffnung auf Besserung?
Ansatzweise ja. Es ist zuletzt schon einen Tick besser geworden. Wir haben im Koalitionsvertrag Weichenstellungen vorgenommen. Den Milchviehbetrieben - speziell den Grünlandbetrieben - lassen wir Hilfen zukommen. Wir geben in den nächsten zwei Jahren 750 Millionen Euro für den Agrarbereich aus - mit dem Schwerpunkt "Hilfe für Milchbauern". Wir tun auch etwas im Bereich der Unfallversicherung für die Bauern und wollen Kreditmittelverbesserungen erreichen. Das sind natürlich nur punktuelle Lösungen, wie man ehrlicherweise sagen muss. Aber die Möglichkeiten, die wir als Regierung oder auch als Ausschuss haben, nutzen wir meiner Meinung nach. Insgesamt muss aber die Branche ihr Potenzial weiterentwickeln. Die Produktqualität muss nicht nur gesichert, sondern ausgebaut werden. Und es müssen neue Märkte erschlossen und eine höhere Veredelung erreicht werden. Aber Fakt ist: Wir haben nach wie vor zu viel Milch im Markt und dadurch einen relativ schlechten Preis.
Aber eine Mengensteuerung kommt nicht in Frage?
Aus meiner Sicht nicht. Das ist nach wie vor die Vorstellung des BDM, der eine Mengensteuerung will, die staatlicherseits ausgestaltet wird. Wenn es hingegen Mengensteuerungen gibt, die in der Hand der Landwirte liegt, dann ist das eine andere Sache. Es darf aber nicht sein, dass der Gesetzgeber die Mengensteuerung regelt. Das geht am Milchmarkt vorbei, der dazu viel zu flexibel ist.
Viele Regelungen im Bereich der Landwirtschaft wurden auch in den letzten Jahren schon durch Brüssel vorgegeben. Nun gilt der Vertrag von Lissabon. Damit werden die Rechte des EU-Parlaments gestärkt, aber auch die der nationalen Parlamente. Welche Folgen hat das für die Arbeit des Agrarausschusses?
So ganz geklärt ist das noch nicht. Sicherlich werden die EU-Vorlagen einen höheren Stellenwert erhalten als bisher. Auch um diese Frage zu erörtern würde ich gern den neuen Agrarkommissar Dacian Ciolos aus Rumänien während der Grünen Woche treffen. Völlig klar ist, dass die Wechselbeziehung zwischen der Ausschussarbeit in Berlin und der auf der europäischen Ebene sowie die Zusammenarbeit zwischen der Ministerin, dem Kommissar und dem Parlament insgesamt intensiver werden wird. Auch mit Blick auf unsere Ausschusssitzungen müssen wir Konsequenzen aus dem Lissabon-Vertrag ziehen. Es gibt nach wie vor eine große Neigung der Oppositionsfraktionen, Berichte der Bundesregierung anzufordern. Dazu kommen noch Anträge und Gesetzentwürfe. Wenn wir uns damit ordentlich beschäftigen wollen, nimmt das viel Zeit in Anspruch. Daher müssen wir aufpassen, dass uns die europäischen Vorlagen nicht durchrutschen.
Was soll sich sonst noch unter Ihrer Leitung bei der Ausschussarbeit ändern?
Wir wollen bei Anhörungen von der Aufteilung der Fragezeit nach Fraktionsstärke wegkommen und stattdessen derjenigen Fraktion den größten Anteil geben, die die Beantragende ist. Es darf künftig auf keinen Fall so sein, dass die Koalitionsfraktionen durch ihre Stimmenmehrheit bestimmte Dinge abbügeln. Das kann nicht unser Job sein. Wir müssen dafür sorgen, dass der Bereich Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in der politischen Diskussion seinen Stellenwert hat. Dazu gehört, dass wir geschlossen sind und dass wir fachlich vernünftig miteinander umgehen.