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Permanent muss Günter Schabowski gegen eine Wand aus Pfiffen und Zwischenrufen anschreien. Und so brüllt er von seinem Rednerpodium hinab knapp eine Million Menschen auf dem Alexanderplatz an, die er doch eigentlich beschwichtigen wollte. An jenem historischen 4. November 1989 versucht der damalige SED-Spitzenfunktionär, der wenig später in der legendären Pressekonferenz des Zentralkomitees der SED die Maueröffnung ankündigen wird, einen letzten Dialog mit seinem Volk. "Wir wollen eine DDR“, setzt Schabowski noch einmal an, "von der wir sagen können: Das ist unser Land.“ Es hilft nichts, die Pfiffe werden lauter. Schabowskis Auftritt sagt aus heutiger Sicht viel aus über den Zustand eines Staatskonstruktes, das 1989 immer weniger Menschen in der DDR wollten.
Die Reden und Musikbeiträge während dieser historischen Kundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz vor 21 Jahren konnten Besucher in einer langen Nacht im Mauermahnmal des Deutschen Bundestages am Samstag, 30.Januar 2010, von 18 bis 2 Uhr noch einmal nachhören.
Die Klanginstallation aus Tondokumenten des Deutschen Rundfunkarchivs rief eine Veranstaltung in Erinnerung, die, damals vom „Neuen Forum“ initiiert und von Berliner Kulturschaffenden sowie Künstlern organisiert, den Höhepunkt der Demokratiebewegung in der DDR markierte.
Das karge Licht und die zurückhaltende Schlichtheit des Ausstellungsraums im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus direkt an der ehemaligen Grenze am westlichen Ufer des Spreebogens lassen den Hördokumenten ihren nötigen Raum.
Schweigend schlendern die Besucher dieser langen Nacht an den großformatigen Fotografien von Karl-Ludwig Lange vorbei oder setzen sich auf einen der Stühle, um in Ruhe der Stimme des Schauspielers Jan Josef Liefers zu lauschen: "Solange die Spitze der SED nur auf unseren Druck reagiert, kann von ihrer angeblich führenden Rolle im Erneuerungsprozess der DDR keine Rede sein.“
Oder Gregor Gysi, der betont: "Dies ist die erste Demonstration in der Geschichte der DDR, die nicht von oben, sondern von unten organisiert und auf offiziellem Weg beantragt und genehmigt wurde.“
Dabei brechen die Raumverhältnisse des Mauer-Mahnmals die Stimmen der Redner wie durch ein akustisches Prisma und stellen eindrucksvoll das Echo der Mikrofone damals auf dem Alexanderplatz nach.
Längst befinden sich die Besucher auf einer Zeitreise, mitten im Parlamentsviertel unterhalb der Bundestagsbibliothek. Der Architekt Stephan Braunfels hat hier die vom Künstler Ben Wagin sichergestellten Mauerteile entsprechend dem ehemaligen Mauerverlauf aufgestellt.
Karl-Ludwig Langes großformatige Fotografien der am 4. November 2009 eröffneten Ausstellung "Die geteilte Stadt - Topographie der Berliner Mauer“ bilden dabei ein Pendant zu den erhaltenen Segmenten der realen Mauer, auf denen in beklemmender Akribie die Zahlen der an der Mauer Ermordeten aufgezeichnet sind.
Die Mauersegmente wirken dabei wie ein schmerzhafter Fremdkörper, der in die Architektur einschneidet. Karl-Ludwig Langes Fotografien entstanden in den Jahren unmittelbar nach der Öffnung der Mauer und veranschaulichen die Wunden, die die Mauer in das Stadtbild geschlagen hat.
Durch das in der Ecke des Raumes ausliegende Gästebuch geht ein Seufzer der Erleichterung. "Wie schön, dass wir heute das 'ganze' Berlin erleben können“, freut sich ein Ehepaar aus Mainz. "Berlin is now beautiful“, findet ein Besucher aus Irland. "Die Mauer ist weg und wir haben dabei geholfen“, schreibt eine Ungarin.
Während aus den Lautsprechern Günter Schabowskis Stimme einen letzten vergeblichen Anlauf unternimmt, die Demonstranten auf seine Seite zu ziehen, branden immer lautere Parolen gegen Schabowskis Einheitspartei aus Hunderttausenden Kehlen auf. Draußen haben Minustemperaturen die frühere Grenze im Spreebogen zu einer pittoresken Winterlandschaft eingefroren im vereinigten Deutschland 2010.
Das Mauermahnmal ist öffentlich zugänglich im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus des Deutschen Bundestages am Schiffbauerdamm, 10117 Berlin. Öffnungszeiten: Freitag bis Sonntag von 11 bis 17 Uhr. Der Eintritt ist frei.