Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Archive > 2010 > Geschäftsordnungsdebatte
Der Debatte um die Verabschiedung des Euro-Rettungsschirms (17/1685, 17/1740, 17/1741) ist am Freitag, 21. Mai 2010, eine halbstündige Geschäftsordnungsdebatte vorausgegangen, an deren Ende der Bundestag mit der Mehrheit von Union und FDP bei Enthaltung der SPD beschloss, die Verabschiedung des Gesetzes für diesen Tag auf die Tagesordnung zu setzen und zwei Stunden lang darüber zu beraten.
Gegen die abschließende Beratung des Gesetzes am 21. Mai hatten sich die Linksfraktion und Bündnis 90/Die Grünen ausgesprochen. Die erste Lesung hatte am 19. Mai stattgefunden, direkt im Anschluss hatte der Haushaltsausschuss in einer Anhörung Sachverständige dazu befragt und noch am selben Tag dem Gesetzesvorhaben in geänderter Fassung zugestimmt.
Dr. Dagmar Enkelmann, erste parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion, nannte das von der Koalition vorgesehene Beratungsverfahren "verantwortungslos", weil der Bundestag dadurch zu einer Abstimmungsmaschine degradiert werde. "Wir sind nicht das Marionettentheater der Regierung", sagte Enkelmann.
Bundeskanzlerin Angela Merkel habe zugesagt, dass erst abgestimmt werde, wenn der der europäische Vertrag über die Gründung einer Zweckgesellschaft vorliege. Zur Stunde liege er nicht, die Koalition gebe sich mit Eckpunkten zufrieden. Der Vertrag sei jedoch wichtig für die Entscheidung im Parlament. Auch eine Sondersitzung des Bundestages nach Vorliegen des Vertrages sei abgelehnt worden.
"Die Regierung stelle das Parlament de facto kalt", sagte Enkelmann: "Die Mehrheit lässt sich kaltstellen." Zeit, die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes und dessen langfristige Auswirkungen zu prüfen, bleibe nicht. Die mittelfristigen Auswirkungen seien nicht bezifferbar. Das sei ein unseriöses Gesetzgebungsverfahren: "Ich finde, Sie können einpacken!"
Dem hielt der erste parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Peter Altmaier, entgegen, dass über eines wichtigsten Gesetzgebungsvorhaben der letzten Jahre entschieden werde. Altmaier erinnerte Enkelmann daran, dass Die Linke allen großen europäischen Verträgen von Maastricht bis Lissabon die Zustimmung verweigert habe. Hier gehe es um ein "europäisches Vorhaben ersten Ranges".
Im Gegensatz zur Linksfraktion sei die europäische Überzeugung der Grünen "über jeden Zweifel erhaben", das habe sie zuletzt vor zwei Wochen bei der Abstimmung über die Griechenland-Hilfe unter Beweis gestellt, was von "demokratischer Reife" zeuge. Unverständlich sei, so Altmaier, wenn die Fraktion nun so tue, als hätte sie mit all dem nichts zu tun. Der Haushaltsausschuss habe die Beteiligungsrechte des Parlaments in seiner abschließenden Beratung des Gesetzes schließlich verschärft.
Den Grünen riet Altmaier, sich an ihrem "Altmeister" Joschka Fischer zu orientieren. Fischer würde sagen, so Altmaier, in einer politischen Gestaltungsfrage ersten Ranges könne man den Kurs der Grünen nicht über eine haushaltsrechtliche Einzelfrage bestimmen. "Avanti Dilettanti" würde Fischer den Grünen entgegenhalten, sagte der Unionspolitiker.
Altmaier warb um die Unterstützung der SPD. Seit den fünfziger Jahren habe man grundlegende Fragen der europäischen Integration gemeinsam diskutiert und entschieden. In ganz Europa werde die Bundesrepublik als Vorläufer einer besseren Regulierung und Eindämmung der Spekulation wahrgenommen. "Wir entscheiden heute über sehr viel Geld", so Altmaier. Im Kern gehe es um die Frage, "unser Modell der sozialen Marktwirtschaft in einer globalen Welt zu verteidigen".
"Das ist kein angemessener Umgang mit diesem Parlament", entgegnete Thomas Oppermann, erster parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion. "Wir sollen über Bürgschaften von 148 Milliarden Euro entscheiden und kennen noch die die vertraglichen Grundlagen, nach denen wir diese Bürgschaften vergeben. Das ist für jeden Abgeordneten in diesem Haus eine Zumutung."
Auffällig sei, dass mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten gearbeitet wurde, stellte Oppermann fest und nannte geplante Termine für das Inkrafttreten gesetzlicher Regelungen zur Finanzmarktregulierung in diesem und im nächsten Jahr.
"Wir werden es nicht hinnehmen, dass Sie aus dem Bundestag ein Parlament der zwei Geschwindigkeiten machen", sagte Oppermann mit Blick darauf, dass beim Schutz der Bürge vor den Finanzmärkten nicht die gleiche Eile an den Tag gelegt werde wie bei diesem Gesetz.
Drei gravierende Entscheidungen habe der Bundestag in dieser Wahlperiode bereits getroffen, das Wachstums- und Beschleunigungsgesetz, das Haushaltsgesetz 2010 und die Griechenland-Hilfe, nun komme der Euro-Rettungsschirm als vierte Entscheidung hinzu: "250 Milliarden Euro, die Sie in den ersten sechs Monaten der Wahlperiode beschließen, eine Viertelbillion Euro." Oppermann sprach von der "größten Schuldenregierung in der Geschichte der Bundesrepublik".
Jörg van Essen, erster parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion, sprach von einer "schweren Entscheidung". Der Opposition gehe auf einmal alles zu schnell. Dabei sei es gut, in schwierigen Zeiten dem Rat von Bundesbankpräsident Prof. Dr. Axel A. Weber zu folgen, der in der Anhörung des Haushaltsausschusses zur Entscheidung noch in dieser Woche gesagt habe: "Es ist unabdingbar."
Van Essen riet dazu, dieser Empfehlung Webers zu folgen: "Damit werden wir der Verpflichtung unseres Parlaments gerecht."
Volker Beck, erster parlamentarischer Geschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen, sagte: "Wir sind nicht gegen das Gesetz, wollen aber sorgfältig beraten. Die Grundlagen liegen nicht vor." Es liege lediglich ein "Zettel mit Kriterien für den Gesellschaftsvertrag" vor. Damit "delegieren wir unser Budgetrecht an die Regierung", rief Beck der Koalition zu. Ein Unionsabgeordneter habe bereits angekündigt, beim Bundesverfassungsgericht Klage gegen dieses Gesetz einzureichen. "Wenn er Recht bekommt, haben Sie ein Desaster angerichtet."
Der Bundesregierung hielt Beck vor, der EU-Verordnung zugestimmt zu haben, ,ohne dem Bundestag das Recht zur Stellungnahme zu geben: "Heute wollen Sie eine Blankovollmacht." Beck schlug eine Sondersitzung des Bundestages vor, sobald die vertraglichen Grundlagen vorliegen. 60 Milliarden Euro der EU-Kommission stünden ja bereits zur Verfügung. Auch würde dann keine verfassungsrechtliche Krise drohen. Beck unterstellte der Koalition, sie wolle das Gesetz in dieser Woche durchbringen, weil sie sonst um die Mehrheit in den eigenen Reihen fürchten müsse.