Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Archive > 2010 > Missbräuchliche Wertpapier- und Derivatgeschäfte
Das von den Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP geplante Verbot so genannter ungedeckter Leerverkäufe von Aktien und Staatsanleihen aus der Eurozone ist von der Mehrheit der Sachverständigen in einer Anhörung des Finanzausschusses unter Vorsitz von Dr. Volker Wissing (FDP) am Mittwoch, 16. Juni 2010, kritisch bewertet worden. Sollten der von den Fraktionen eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Vorbeugung gegen missbräuchliche Wertpapier- und Derivategeschäfte (17/1952) so verabschiedet werden, würden Teile des Finanzmarktes ins Ausland verlagert, warnten etwa Vertreter deutscher Börsen. Diese Verlagerung droht auch nach Ansicht des Zentralen Kreditausschusses der deutschen Banken (ZKA), falls es nicht gelingen sollte, ein Verbot ungedeckter Leerverkäufer auf europäischer Ebene durchzusetzen.
Mit dem Entwurf wollen die Koalitionsfraktionen ohne Beteiligung anderer europäischer Länder in Deutschland Finanztransaktionen, die eine Bedrohung für die Stabilität der Märkte darstellen, verbieten. Dazu gehört nicht nur das Verbot ungedeckter Leerverkäufe, sondern auch ein Verbot des Abschlusses ungedeckter Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps, CDS) auf Verbindlichkeiten von EU-Mitgliedstaaten.
Für gedeckte Leerverkäufe sind Transparenzregelungen vorgesehen, die von den meisten Sachverständigen begrüßt wurden.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) begrüßte zwar das geplante Verbot ungedeckter Leerverkäufe, protestierte jedoch gegen die vorgesehene Ermächtigung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Währungsderivate auf den Euro zu verbieten.
"Wir brauchen einen Absicherungsmarkt für Exporte“, sagte ein BDI-Sprecher in der Anhörung. In der schriftlichen BDI-Stellungnahme ist von einer "regulatorischen Überreaktion, die erhebliche negative Auswirkungen auf die Realwirtschaft hat“, die Rede.
Prof. Dr. Hendrik Enderlein (Hertie School of Governance) sagte, Kreditausfallversicherungen seien nicht die Ursache für die griechische Krise. Diese Instrumente könnten jedoch die Wirkungen von Krisen verstärken.
Die Deutsche Börse erwartet "klare Nachteile für die deutsche Finanzwirtschaft“. Die Handelsplattform Xetra habe 70 Prozent ausländische Teilnehmer, von denen bei Verboten viele auf Handelsplätze im Ausland ausweichen könnten. Von der Baden- Württembergischen Börse Stuttgart hießt es, für ein umfassendes gesetzliches Verbot von ungedeckten Leerverkäufen bestehe keine Veranlassung.
Energisch protestierte der Bundesverband der Wertpapierfirmen an deutschen Börsen, der in dem Gesetzentwurf "ein allgemeines Misstrauen gegen Investoren, auf deren Vertrauen auch Deutschland mehr denn je angewiesen ist“, erkennt. Die Deutsche Bundesbank schrieb in ihrer Stellungnahme, grundsätzlich könnten Leerverkäufe "wichtige ökonomische Funktionen erfüllen“.
Nach Ansicht von Prof. Dr. Daniel Zimmer (Universität Bonn) bringen Leerverkäufe allein keine Kurse zum Absturz. Es gebe zusätzliche Marktmanipulationen durch das Streuen negativer Gerüchte. Er bezweifelt, dass ein Verbot zu einer Finanzmarktstabilität führen werde. Prof. Dr. Sebastian Dullien bezeichnete das Verbot ungedeckter Leerverkäufe und CDS als grundsätzlich richtig.
Die BaFin begrüßte, dass sie jetzt Instrumente erhalte, um den Exzessen auf den Finanzmärkten entgegentreten zu können. Der Deutsche Gewerkschaftsbund forderte sogar ein komplettes Verbot von Kreditversicherungen: "Sie unterstellen, dass jedes Risiko neutralisierbar ist. Zudem fördern Kreditversicherungen die Risikobereitschaft der Anleger und ihren Hunger nach immer höherer Rendite.“
Einen ganz anderen Aspekt trug der Bankenrechtler Prof. Dr. Karl-Joachim Schmelz vor. Danach haben die Finanzmärkte die Krise nicht verursacht. Dort würden nur die Folgen sichtbar. Es werde nur an den Symptomen herumgedoktert. Der Denkfehler bestehe darin, dass "auch eine negative Marktentwicklung beweist, dass der Markt funktioniert“.