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Da gibt es die wunderschöne Geschichte über eine Pfütze in Burkina Faso, die eine Freundschaft zwischen deutschen Parlamentariern und einem Dorfältesten besiegeln sollte. Dazu tauchte der Stammesführer eine Kalebasse in eine Wasserlache am Boden und reichte sie mit erwartungsvollem Blick den Delegationsmitgliedern, erzählt Bernd Gemmel vom Sprachendienst des Bundestages. Ablehnen wäre sehr unhöflich gewesen, sodass alle Anwesenden versuchten, mit geschlossenem Mund zu trinken. Als Geschenk für die so besiegelte Freundschaft überreichte der Dorfälteste der Delegation noch zwei lebende Hühner. Über dieses Geschenk haben sich vor allem die einheimischen Fahrer der Delegation gefreut.
Immer wieder wird auch die Leiterin des Sprachendienstes des Bundestages, Claudia Eichert-Schäfer, nach solchen Anekdoten gefragt. Und immer wieder beteuert sie, dass das Tagesgeschäft eines Übersetzers oder Dolmetschers im Bundestag ganz anders aussieht. "Wir fertigen rund 2.000 Übersetzungen pro Jahr an, von einer halben Seite bis zu 500 Seiten", sagt sie. "Beim Dolmetschen sind es 600 bis 700 Einsätze im Jahr. "Dies reicht vom halbstündigen Gesprächstermin bis zu mehrsprachigen Konferenzen und mehrtägigen Delegationsreisen ins Ausland."
Der Sprachendienst des Bundestages mit seinen 13 Mitarbeitern ist ein Dienstleister und steht allen Abgeordneten, den Bundestagsausschüssen, den Enquete-Kommissionen oder dem Bundestagspräsidium zur Verfügung. Alle Dolmetscher und Übersetzer müssen nicht nur fachlich bestens qualifiziert sein. Hinzu kommen diplomatisches Feingefühl, Sensibilität für heikle Situationen und exzellente Kenntnisse des Parlamentsbetriebes.
Mit einer einfachen Übersetzung typischer Wendungen des Parlamentsbetriebes wie Hammelsprung, Regierungsbefragung oder Aktuelle Stunde kommt ein Dolmetscher in der Regel nicht weiter. Noch schwieriger wird es, wenn von Überhangmandat die Rede ist. Auch eine Berliner Stunde von aktuell 62 Minuten ist keine Erfindung der Hauptstädter, sondern die Aufschlüsselung der Redezeiten für die einzelnen Fraktionen. "Das muss ein Dolmetscher erklären können. Darüber muss er Bescheid wissen", sagt Eichert-Schäfer.
Und es gibt noch eine besondere Herausforderung, der sich die Dolmetscher des Sprachendienstes stellen müssen. "Auf Veranstaltungen oder Konferenzen muss der Dolmetscher oft vor einer großen Menschenmenge vortragen. Das braucht eine Menge Selbstbewusstsein", sagt die Leiterin des Sprachendienstes. Denn auch für die Dolmetscher des Bundestages ist es nicht alltäglich, neben US-Präsident Barack Obama oder der britischen Queen zu stehen und vor der versammelten Weltpresse zu referieren. Nur nicht nervös werden, lautet dann die Devise.
Auch im Bundestag ist die meistgenutzte Sprache Englisch. Danach folgen Französisch, Spanisch und Polnisch. Die enge Zusammenarbeit zwischen dem Sejm in Warschau und dem Bundestag hat sich auf die Arbeit des Sprachendienstes ausgewirkt. "Wir haben jetzt viel mehr Anfragen als noch vor zehn Jahren", sagt Eichert-Schäfer.
Zunehmend werden auch Dolmetscher und Übersetzer für Dari und Paschtu benötigt, denn viele Abgeordnete reisen nach Afghanistan, um sich vor Ort ein Bild über die politische Lage zu machen.
Bernd Gemmel, studierter Politologe, ist für die Koordinierung der Dolmetschereinsätze zuständig und gehört zu den Menschen, für die fast nichts unmöglich ist. "Wir sagen ganz ganz selten Nein", meint er lächelnd. Gerade hatte er sich auf die Suche nach einem Kisuaheli-Dolmetscher für einen Gast aus Kenia begeben. Das habe einer längeren Recherche bedurft, sagt er. Aber natürlich hat auch diese Aktion geklappt.
Fast einer detektivischen Arbeit glich auch die Suche nach einem Dolmetscher für eine hochrangige Delegation aus Laos. Genau einen Dolmetscher für Laotisch gibt es in Deutschland, der zum Glück auch Zeit hatte. Auch wenn Delegationen aus Armenien, Aserbaidschan oder Georgien anreisen, ist es nicht immer einfach, kompetente Sprachmittler zu finden. "Bei Sprachen, die wir nicht beherrschen, sind wir dann auf die Rückmeldung der Gesprächsteilnehmer angewiesen", sagt Gemmel.
Dolmetscher und Übersetzer müssen nicht nur alle sprachlichen Raffinessen beherrschen, sondern sich bei ihrer Arbeit auch streng neutral verhalten. "Ein Dolmetscher darf auch eine Beschimpfung nicht freundlicher wiedergeben", macht Eichert-Schäfer deutlich. Auch ein Übersetzer muss schreiben, was auf dem Papier steht. Er kann nicht eigenmächtig etwas weglassen oder vereinfachen, selbst dann nicht, wenn ihm beispielsweise das Verwaltungsdeutsch missfällt.
"Wir sind Dienstleister", betont Eichert-Schäfer. In Ausnahmefällen könne man den Auftraggeber anrufen und fragen, was gemeint sei - mehr aber nicht. Für Redewendungen und parlamentarisches Vokabular steht seit 2006 eine Terminologiedatenbank zur Verfügung, die täglich von den Mitarbeitern des Sprachendienstes "gefüttert" wird. In dem Internet-Wörterbuch gibt es inzwischen mehr als 60.000 Einträge in Deutsch, Englisch und Französisch. Russisch und Spanisch kommen demnächst hinzu.
Auf die Frage, was sich die Dolmetscher und Übersetzer von ihren Auftraggebern wünschen, brauchen Eichert-Schäfer und Gemmel nicht lange zu überlegen. "Mehr Zeit wäre wunderbar", lautet die einstimmige Antwort. Und manchmal wäre es auch schön, wenn die Arbeit mehr gewürdigt würde.
Je nach Thematik dauert es mehr als eine Stunde, eine Seite zu übersetzen. Danach wird der Text inhaltlich noch einer strengen Prüfung unterzogen. "Wir verwenden viel Mühe und Herzblut darauf, die beste Arbeit abzuliefern", sagt die Leiterin des Sprachendienstes.