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Eines gibt sie ganz offen zu: Hätte sie vorher lange gegrübelt, ob das wohl geht, mit drei Kindern und einem Fulltime-Job als Abgeordnete - nicht auszuschließen, dass ihr Leben einen anderen Verlauf genommen hätte. Aber: "Ich habe nicht lange darüber nachgedacht. Die Kinder kamen, und ich bin sehr froh darüber. Und wie wir sehen: Es geht ja auch!", sagt Katherina Reiche.
Sie ist vor 13 Jahren mit gerade einmal 25 Jahren in den Deutschen Bundestag gewählt worden und bewältigt seither familiär wie beruflich eine Herausforderung nach der anderen: Alle drei Kinder wurden geboren, als sie bereits Abgeordnete war; seit 2005 ist Reiche stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, seit dem vergangenen Jahr parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium. Der Vater der Kinder und Ehemann Reiches, Sven Petke, ist ebenfalls Abgeordneter: im brandenburgischen Landtag.
Damit ist den beiden etwas geglückt, was gar nicht so ohne ist. So häufig die Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Plenarsaal Thema ist - so groß ist die Herausforderung, beides zu vereinbaren für jene, die im Bundestag darüber debattieren. Nicht nur, weil so manche der Debatten irgendwann zwischen Tagesschau und Mitternacht auf dem Programm stehen.
Dazu kommt das wöchentliche Pendeln zwischen dem Wahlkreis irgendwo im Bundesgebiet und dem Berliner Parlament - mit oder ohne Kinder, die, vor allem wenn sie schulpflichtig sind, in den häufigeren Fällen im Wahlkreis für die Sitzungswochen auf Mutter oder Vater verzichten müssen.
Katherina Reiche gibt unumwunden zu, dass sie in dieser Hinsicht enormes Glück hat: Ins benachbarte Brandenburg kann sie jeden Abend pendeln. Manchmal kommt sie zwar erst mitten in der Nacht nach Hause; aber egal wann sie kommt, bleibt eins Ehrensache: "Einen Blick auf die Hausaufgaben werfe ich immer noch - egal, wie spät es ist. Und: Das gemeinsame Frühstück wird nicht angerührt. Das ist ein Ritual."
Ansonsten helfen bei dem glücklichen Großwerden der vier-, acht- und elfjährigen Kinder viele mit: Ein "leidenschaftlicher Vater", wie Reiche sagt, aber auch Großeltern, die Kita und der Schülerhort. "Ohne," sagt Reiche, "würde es nicht gehen."
Einen Anspruch auf Elternzeit, wie er Arbeitnehmern zusteht, haben Abgeordnete übrigens nicht. Dahinter steckt, dass sie als gewählte Volksvertreter nur ihrem Gewissen verpflichtet sind und sich ihre Zeit - im Prinzip - selbst einteilen können. Tatsächlich können sie sich in Sitzungen der Fraktionen oder wichtigen Terminen auch schon einmal vertreten lassen; bei namentlichen Abstimmungen geht das aber nicht.
Der achtwöchige Mutterschutz gilt allerdings auch für Parlamentarierinnen. Darauf, dass er immer häufiger genutzt wird, werden sich die Kollegen in den kommenden Jahren einzustellen haben. Denn seit 1970, als keine einzige Frau unter 40 Bundestagsabgeordnete war, hat sich die deutsche Volksvertretung ständig verjüngt.
Fest steht aber auch: Abgeordnete mit Kindern brauchen qualifizierte Betreuung - und Partner, besser noch Familien, die mitspielen. "Mein Mann hat ganz selbstverständlich seine Arbeitszeit reduziert, als ich in den Bundestag gewählt wurde," erzählt Kirsten Lühmann (SPD).
Seit Herbst 2009 pendelt die Mutter dreier Töchter ruhigen Gewissens von Niedersachsen nach Berlin; die Familie kommt regelmäßig zu Besuch. Außerdem gibt es feste Termine - das Frühstück am Samstag, den Ausflug am Sonntag. Und auch in den Sitzungswochen wissen die drei Töchter zuverlässig: Mutti ruft auch in Sitzungswochen binnen einer Stunde zurück, wenn sie ihr eine SMS schreiben.
Kirsten Lühmanns Kinder sind allerdings auch 17 Jahre und älter. Die frisch gebackene Abgeordnete gibt offen zu: "Wären sie noch klein, hätte ich mich vermutlich nicht aufstellen lassen. Zu groß wäre die Sorge gewesen, nicht nur den Kindern, sondern auch meinen Wählern im Wahlkreis nicht gerecht zu werden."
Lühmann merkt auch an, dass es sie ein bisschen wurmt, dass es immer nur die Frauen sind, die sich derartige Fragen stellen: Ihre männlichen Kollegen im Bundestag kennten derlei Probleme nämlich überhaupt nicht. "Bei den meisten scheint mir doch ein eher traditionelles Familienbild vorzuherrschen: Sie wissen bei ihren Ehefrauen im Wahlkreis die Kinder gut betreut."
Dafür, dass ihre Kinder in unmittelbarer Nähe des Bundestages gut betreut werden können, mussten Abgeordnete erst einmal kämpfen. Als die so genannte Bundestagskita 1999 eröffnete stand sie zwar seit Wochen wegen der angeblichen Sonderbehandlung von Abgeordnetenkindern in allen Gazetten - nahm selbige aber gar nicht auf. Als klassische Betriebskindertagesstätte war der Besuch dem Nachwuchs von Mitarbeitern des Bundestages und der Fraktionen vorbehalten.
Erst nach Protest einiger weiblicher Abgeordneter - und zuallererst von Katherina Reiche - tat sich etwas. Die Kinderkommission forderte den Präsidenten Dr. Wolfgang Thierse (SPD) auf, die Kita auch für Kinder der Bundestagsabgeordneten zu öffnen.
Das, so hieß es in einem Brief, wäre "ein Beitrag zur Umsetzung der allgemeinen familienpolitischen Zielsetzung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die auch für die Vereinbarkeit von Abgeordnetenmandat und Familie gilt. Hier könnte der 'Gesetzgeber' mit gutem Beispiel vorangehen und somit ein positives Zeichen setzen." Heute werden Plätze, die nicht von Mitarbeitern benötigt werden, für Abgeordnetenkinder freigegeben.
Seit Herbst vergangenen Jahres gibt es für die Mitarbeiter der Abgeordneten noch eine neue Form der Kinderbetreuung: Im Jakob-Kaiser-Haus wurde ein Eltern-Kind-Büro eingerichtet. Dort können, wenn das Kind einmal krank ist, Mütter und Väter ebenso wie in ihrem eigenen Büro arbeiten - mit Kinderbett und Wickeltisch, Büchern und Spielzeug in der Nähe.
Bei der Eröffnung erklärte die Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen), die sich als Vorsitzende der Ältestenratskommission um die Angelegenheiten der Abgeordnetenmitarbeiter kümmert: "Wenn unsere Mitarbeiter bei der Betreuung ihrer Kinder auf die Unterstützung durch den Arbeitgeber setzen können, schafft das Sicherheit und motiviert. Deshalb haben wir im eigenen Haus ein Stück Familienpolitik in die Praxis umgesetzt."