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Als "gerecht und solidarisch" hat die Koalition ihre Pläne zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verteidigt - und dafür erwartungsgemäß Kritik von der Opposition einstecken müssen. Die kritisierte den Gesetzentwurf (17/3040) in der Debatte am Donnerstag, 30. September 2010, als den Abschied von der Solidarität im Gesundheitswesen. Bundesgesundheitsminister Dr. Philip Rösler (FDP) warf der SPD vor, das Milliardendefizit der GKV sei unter rot-grüner Verantwortung entstanden. Mit dem geplanten Anstieg des Beitragsatzes auf 15,5 Prozent, der Einführung von einkommensunabhängigen Zusatzbeiträgen und einem Sozialausgleich werde der "Einstieg in eine langfristig andere Finanzierung" der gesetzlichen Krankenversicherung vollzogen.
Mit der Festschreibung des Arbeitgeberanteils auf 7,3 Prozent werde der "Teufelskreis mehr Gesundheit und weniger Beschäftigung durchbrochen", weil so die Lohnzusatzkosten und die Krankenversicherung entkoppelt würden.
Die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP, Ulrike Flach, räumte ein, dass die Anhebung von Beiträgen verständlicherweise keine Jubelstürme auslösen würde; die Alternative dazu wäre jedoch die Streichung von Leistungen der GKV gewesen. Für die CDU/CSU betonte Jens Spahn, mit dem geplanten steuerfinanzierten Sozialausgleich, für den im kommenden Jahr ein zusätzlicher Bundeszuschuss von zwei Milliarden Euro in die Liquiditätsreserve der GKV fließe, würden die Lasten "auf breitere Schultern" verteilt - dies sei gerechter als bisher.
Spahn sagte, man könne von der Opposition "mehr erwarten als substanzloses Geschrei". Er warf insbesondere der SPD vor, seit 2003 ein Konzept einer Bürgerversicherung anzukündigen, bislang aber nichts vorgelegt zu haben, weil dann ersichtlich würde, dass die Sozialdemokraten vor allem die Mittelschicht belasten wollten.
Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD, Prof. Dr. Karl Lauterbach, stellte hingegen fest, als Bundesgesundheitsminister Rösler sein Amt angetreten habe, habe die GKV ein Plus von 1,8 Milliarden Euro aufgewiesen. Die Reform sei schlecht: Das würden nicht nur Experten bescheinigen, auch 85 Prozent der Bevölkerung lehnten sie ab.
Indem die Kosten des technischen Fortschritts und des demografischen Wandels allein bei den Arbeitnehmern abgeladen würden, leite die Koalition eine "tiefgreifende Veränderung des Sozialempfindens" und eine Störung des sozialen Friedens sein. Sie schaffe eine Dreiklassengesellschaft, in der Patienten, die sich weder die Versicherung in einer privaten Krankenkasse noch Zusatzbeiträge und Vorkasse leisten könnten, die "Holzklasse" bilden würden.
Lauterbachs Fraktionskollegin Elke Ferner kündigte an, die SPD werde die Reform nach der Bundestagswahl 2013 rückgängig machen.
Auch für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stellt der Gesetzentwurf die systematische Solidarität infrage, so der Fraktionsvorsitzende Fritz Kuhn. Mit den Zusatzbeiträgen sei Rösler eine "hervorragende Einstiegsstrategie in die Kopfpauschale" gelungen. Er übersehe jedoch, dass das Prinzip der privaten Krankenversicherung allein aufgrund der Demografie "nicht zukunftsfähig" sei.
Bislang habe man sich in Deutschland an dem Wert orientiert, dass alle "zu fairen Bedingungen" geschützt würden und medizinische Leistungen in Anspruch nehmen könnten; auf die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen zu achten, sei bislang gemeinsame Sache von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gewesen. Die Arbeitgber nun mit der Festschreibung ihres Beitrags von dieser Verpflichtung auszunehmen, sei "brandgefährlich".
Für die Linksfraktion sagte deren Gesundheitsexpertin Dr. Martina Bunge an, sie sei froh darüber, dass die Opposition sich an den Protesten der Gewerkschaften gegen die Gesundheitsreform beteilige. Nach Hartz IV und der "Zerstörung der Rentenformel" sei diese Reform der "dritte Angriff" auf das Sozialsystem.
Bunge forderte die Koalition auf, den Gesetzentwurf zurückzuziehen. (suk)