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Im Bundestag gibt es nicht nur 22 ständige Ausschüsse, zwei Untersuchungsausschüsse, zwölf Unterausschüsse und jede Menge offizielle Parlamentariervereinigungen. Viele Abgeordnete schließen sich über die Fraktionsgrenzen hinweg auch zu sogenannten parlamentarischen Gruppen zusammen, die sich einem bestimmten Thema oder Anliegen verschreiben. Eine davon ist die Europa-Union Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag. Ein Gespräch mit ihrem Vorsitzenden Manuel Sarrazin (Bündnis 90/Die Grünen) über die neue Rolle des Bundestages in der Europapolitik, die Ziele der parlamentarischen Gruppe und warum von der Fraktion Die Linke niemand dabei ist.
Herr Sarrazin, traditionell sind viele Bundestagsabgeordnete Mitglied in der 1949 gegründeten Europa-Union. Doch erst 2007 haben sie sich zu einer eigenen informellen Parlamentariergruppe im Bundestag zusammengeschlossen. Warum so spät?
Weil die Parlamentarier erst seit wenigen Jahren echte Mitwirkungsrechte bei der Gestaltung der deutschen EU-Politik haben. Im September 2006 vereinbarte der Bundestag mit der Bundesregierung, in Angelegenheiten der Europäischen Union deutlich enger zusammenzuarbeiten. Aus dieser neuen Sachlage heraus entstand die Idee, sich unter den Abgeordneten, die der Europa-Union angehören,…
… einer überparteilichen Nichtregierungsorganisation, die sich für eine weitgehende europäische Integration einsetzt,…
… enger zu vernetzen, um dafür zu sorgen, dass die neu gewonnenen Spielräume des Parlaments in der EU-Politik über die Fraktionsgrenzen hinweg auch genutzt werden. Auf welche Resonanz das stößt, zeigt schon die Tatsache, dass wir mit 162 Mitgliedern eine der größten informellen parlamentarischen Gruppen im Bundestag sind.
Von der Fraktion Die Linke ist allerdings niemand dabei.
Stimmt. Das ist zwar bedauerlich, aber folgerichtig. Wer bei uns und damit auch in der Europa-Union Mitglied ist, setzt sich für ein föderales Europa ein und steht dem Vertrag von Lissabon positiv gegenüber. Die Fraktion Die Linke lehnt sowohl das eine als auch das andere ab. Beim Thema Europa gibt es daher derzeit keine Berührungspunkte. Ich möchte aber nicht ausschließen, dass es auch in den Reihen der Linken überzeugte Europäer gibt.
Was sind denn die Hauptanliegen der parlamentarischen Gruppe?
Wir sehen uns als Lobby für europapolitische Angelegenheiten im Bundestag. Uns eint, dass wir die Europäisierung des Parlaments weiter vorantreiben wollen. Was bedeutet das? Wir müssen der Bundesregierung in Brüssel genauer auf die Finger schauen. Wir müssen uns als Parlament eine eigene Meinung bei EU-Vorhaben bilden, die wir der Regierung mit auf den Weg geben können. Europapolitik bestimmt schon heute in vielen Bereichen die innerdeutsche Fachpolitik. Der Bundestag muss daher europäisch mitdenken, das heißt wir müssen frühzeitig, noch vor Verabschiedung einer Richtlinie oder Verordnung, Einfluss nehmen und unseren Standpunkt klarmachen.
Wie wollen Sie das konkret befördern?
Etwa durch bestimmte Veranstaltungsformate, die wir ins Leben gerufen haben. So treffen wir uns alle sechs Monate mit der jeweils künftigen EU-Ratspräsidentschaft, um uns schon im Vorhinein über ihre europapolitischen Vorhaben zu informieren und uns frühzeitig dazu positionieren zu können.
Seit Januar 2010 sind Sie Vorsitzender der parlamentarischen Gruppe. Welche Akzente möchten Sie in dieser Funktion setzen?
Mein Ziel ist es, die erfolgreiche Arbeit der vergangenen Jahre fortzusetzen. Neben den eben erwähnten halbjährlichen Treffen mit den künftigen EU-Ratspräsidenten gehört dazu die enge Zusammenarbeit mit den Jungen Europäischen Föderalisten, dem Jugendverband der Europa-Union. Ganz wichtig ist mir auch, die Überparteilichkeit und Kollegialität, die die Arbeit in der parlamentarischen Gruppe auszeichnen, weiter zu pflegen und neue Abgeordnete für eine Mitgliedschaft in der Europa-Union zu gewinnen.
Ein Ableger der Europa-Union existiert seit 2006 auch im Europäischen Parlament. Der dortigen Parlamentariergruppe Europa-Union gehören alle deutschen Europaabgeordneten an, die Mitglied in der Europa-Union sind. Da bietet sich eine Zusammenarbeit doch geradezu an, oder?
Ja, wir sind auch gerade dabei, eine enge Zusammenarbeit zu etablieren. Sehr erfolgreich war etwa eine gemeinsame Veranstaltung Ende Juni, auf der Bundestagspräsident Professor Norbert Lammert und der frühere Präsident des Europäischen Parlaments, Hans-Gert Pöttering, über die neue Rolle der Parlamente ein Jahr nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags diskutiert haben. Dabei ging es vor allem um die Frage, inwieweit das Europäische Parlament und der Bundestag die neuen Mitwirkungsmöglichkeiten in der EU-Politik, die der Vertrag von Lissabon dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten einräumt, auch nutzen.
Und zu welchem Ergebnis sind Sie in Bezug auf den Bundestag gekommen?
Zu einem grundsätzlich positiven. So hat der Bundestag in den letzten zwölf Monaten zahlreiche Stellungnahmen zu europapolitischen Fragen nach Artikel 23 des Grundgesetzes abgegeben. Dennoch kann und muss der Bundestag unserer Meinung nach noch besser werden. So sollten sich wirklich alle Ausschüsse mit den Vorhaben der europäischen Gesetzgebung befassen und damit zur parlamentarischen Willensbildung beitragen, die für die demokratische Legitimation der Europäischen Union unerlässlich ist.
(nal)