Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Archive > 2010 > Sicherungsverwahrung
Das System der Sicherungs- verwahrung von Straftätern muss reformiert werden. Soweit herrscht Einigkeit unter den Fraktionen des Deutschen Bundestages. Schließlich hatte ja auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem Urteil vom Dezember 2009 die deutsche Praxis der nachträglichen Sicherungs- verwahrung als eine "verkappte Strafverlängerung“ bezeichnet und als Verstoß gegen die Menschenrechte gerügt.
Die Koalitionsfraktionen haben nun einen Gesetzentwurf (17/3403) vorgelegt, der dieser Kritik Rechnung tragen soll. Am Donnerstag, 2. Dezember 2010, wird ab 13.40 Uhr über die Vorlage abschließend beraten. Die Sicherungsverwahrung soll es danach künftig nur noch geben, wenn sie schon im Urteil angeordnet oder zumindest "vorbehalten“ war.
Zudem soll sie künftig auf die wirklich gefährlichen Schwerverbrecher wie Sexual- und Gewalttäter beschränkt werden. Zugleich soll die Möglichkeit der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung ausgebaut werden. Der Rechtsausschuss hat eine Beschlussempfehlung (17/4062), die SPD-Fraktion einen Änderungsantrag (17/4066) zum Gesetzentwurf eingebracht.
Die Frage des Umgangs mit den zu nachträglicher Sicherungsverwahrung verurteilten Straftätern, die als Folge des Gerichtshof-Urteils schon entlassen werden mussten oder noch entlassen werden müssen, soll nach den Vorstellungen der Koalitionsfraktionen durch ein Gesetz zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter beantwortet werden.
Danach soll es unter engen Vorgaben möglich sein, psychisch gestörte Gewalt- und Sexualstraftäter zur Therapie in geschlossenen Einrichtungen unterzubringen, soweit dies zum Schutz der Allgemeinheit nötig ist.
Mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen das Votum der Linken und der Grünen stimmte der Rechtsausschuss am Mittwoch, 1. Dezember, dem Gesetzentwurf in geänderter Fassung zu. So soll der Katalog der Taten, die eine Sicherungsverwahrung nach sich ziehen, noch weiter eingeschränkt werden.
Bei Vermögensstraftaten oder "gemeingefährlichen Straftaten“ (beispielsweise Brandstiftung oder Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion) ist Sicherungsverwahrung nach dem Willen des Ausschusses künftig nicht mehr möglich. CDU/CSU und FDP entschlossen sich weiterhin, die sogenannte Rückfallverjährung (also den Zusamenhang zwischen begangener Straftat und Unterbringung in der Sicherungsverwahrung) von zehn auf 15 Jahre zu verlängern.
Die CDU/CSU betonte im Ausschuss, die Reform der Sicherungsverwahrung sei "gelungen“, auch im Hinblick darauf, dass man einem Schutzauftrag gegenüber der Bevölkerung nachkommen müsse. Die FDP hob hervor, man solle die Sicherungsverwahrung auf die wirklich schweren Fälle beschränken
Union und Liberale machten übereinstimmend deutlich, wenn man die nachträgliche Sicherungsverwahrung abschaffen wolle, müsse man die vorbehaltene auch deutlich ausbauen. Die SPD wandte sich gegen die Möglichkeit, Jugendliche in Sicherungsverwahrung zu nehmen. Auch wies sie darauf hin, dass die Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung Sache der Länder sei.
Linksfraktion und Grüne wandten sich gegen die Initiative. Sie wiesen besonders darauf hin, dass sie die "Umetikettierung psychisch Kranker“ (Die Linke) im Rahmen des vorgesehenen Therapiegesetzes ablehnen. Das Bundesverfassungsgericht werde sich vermutlich damit zu beschäftigen haben, so die Auffassung der Grünen.
In der ersten Lesung des Gesetzentwurfs war der Entwurf bei Bündnis 90/Die Grünen und der Linksfraktion auf Widerspruch gestoßen. Halina Wawzyniak (Die Linke) warf den Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung vor, sie wollten die Sicherungsverwahrung ausweiten, da eben nicht nur Sexual- und Gewalttäter betroffen seien, sondern auch Straftäter von Betrugs- und Diebstahlsdelikten, Brandstiftung und auch Nötigung sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, wenn sie "einen Hang zu gefährlichen Straftaten“ hätten.
Auch der Grünenabgeordnete Jerzy Montag kritisierte, dass laut Gesetzentwurf alle Straftaten mit einer Höchststrafe ab zehn Jahren einbezogen würden. Angesichts der hohen Fehlerwahrscheinlichkeit bei Prognoseentscheidungen müsse es jedoch strenge gesetzliche Begrenzungen gegen das Ausufern der Sicherungsverwahrung geben, etwa durch eine "radikale Begrenzung der Anlasstaten“.
Es müssten die Sorgen der Bevölkerung vor gefährlichen Straftätern einerseits und die Verantwortung für den Rechtsstaat andererseits ernst genommen werden, forderte der FDP-Abgeordnete Jörg van Essen. Der Gesetzentwurf sei eine richtige Wegweisung für die Lösung der Probleme, befand er.
Der Unionsabgeordnete Dr. Günter Krings merkte positiv an, dass man beim Unterbringungsgesetz die Regelungen der EU-Menschenrechtskonvention ausgeschöpft habe, die eine Unterbringung in geschlossenen Einrichtungen nicht nur bei psychischen Krankheiten ermöglichen, sondern auch bei jeder spezifischen Störung der Persönlichkeit.
Auch unter Experten ist der Gesetzentwurf umstritten, wie bei einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses deutlich wurde. Jürgen-Peter Graf, Richter am Bundesgerichtshof, bezeichnete die vorgesehene Reform als zustimmungswürdig, da "ein klares Entscheidungsschema und neue klare Anordnungsgrundsätze durch den Gesetzgeber vorgegeben werden“.
„Die Sicherungsverwahrung gehört auf den Prüfstand!“, forderte hingegen Rechtsanwalt Sebastian Scharmer von der Strafverteidigervereinigung. Es gibt aus seiner Sicht keine kriminalpolitische Notwendigkeit. Mit einer frühzeitig begonnenen Sozialtherapie könne die Gefahrenprognose bereits während des Haftvollzuges grundlegend verbessert werden.
Kritik gab es am vorgesehenen Therapieunterbringungsgesetz. Er habe da "erhebliche Bedenken“, sagte etwa Prof. Dr. Joachim Renzikowski von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Aus der Gefährlichkeit des Täters könne schließlich nicht automatisch auf eine Geisteskrankheit geschlossen werden.
Prof. Dr. Norbert Leygraf, Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie der Universität Duisberg-Essen, kritisierte, dass die Unterbringung nicht etwa deshalb erfolge, weil man bemerkt habe, dass die vorhergehende Einschätzung falsch gewesen sei, sondern weil die Betroffenen weiter als gefährlich gälten und man keine andere Chance mehr sehe, sie weiterhin in strafrechtlicher Obhut festzuhalten. Dies sei der "Versuch, die Psychiatrie als Ersatzreserve für das Strafrecht“ zu nutzen. (hau/bob)