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Sitzung im Plenum des Bundestages: Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert ruft den nächsten Redner der Debatte auf. Doch bevor der Abgeordnete ans Rednerpult tritt, erscheint zügigen Schrittes von rechts eine Saaldienerin im dunkelblauen Frackkostüm. Über mehrere Stufen balanciert sie ein Glas Wasser auf einem kleinen, ovalen Silbertablett an der Regierungsbank vorbei zum Pult. Dort angelangt, räumt sie zunächst das Glas des Vorredners ab und platziert dann das frische für den nächsten Redner. Flink und routiniert geht das. Kein Wunder, sind dies doch Handgriffe, die die Plenarassistenten - wie die Saaldiener im Bundestag offiziell heißen - immer wieder ausführen. Und doch: Sie haben so ihre Tücken. "Gerade wenn man neu im Saaldienst ist, bekommt man vor lauter Aufregung schon mal feuchte Hände", sagt Brigitte Rubbel.
Die 51-Jährige mit den kinnlangen, blonden Haaren leitet seit dem 1. Februar 2011 den Plenar- und Ausschussassistenzdienst. Als erste Frau in der Geschichte des Bundestages hat die gebürtige Wiesbadenerin damit das traditionsreiche Amt des Platzmeisters inne und ist somit Chefin von insgesamt 65 Saaldienerinnen und Saaldienern.
Rubbels Arbeitsplatz ist zwar weniger im Plenum selbst als am Meldetisch vor dem Plenarsaal, von wo sie den Einsatz ihrer Mitarbeiter koordiniert und auch im größten Trubel den Überblick behält. Doch die gelernte Zahnarzthelferin, die noch zu Bonner Zeiten in der Bundestagsverwaltung zu arbeiten begann, war mehr als zehn Jahre im Saaldienst tätig und kann sich noch genau an das Gefühl erinnern, wie es war, das allererste Mal im Plenum Dienst zu haben. "Mir war ganz furchtbar flau im Magen. Denn ich wusste natürlich, dass das, was ich dort tue, im Fernsehen zu sehen ist."
Die Angst, öffentlich zu stolpern oder gar ein Glas fallen zu lassen, die jeden Saaldiener anfangs plagt, kennt auch sie. "Es ist auch gar nicht so ohne, das Tablett beim Glaswechsel gut auszutarieren", erzählt Rubbel. Zudem sei es gerade im Präsidium - dort, wo der Bundestagspräsident im Plenarsaal seinen Platz hat - eng und sein Schreibtisch voller Unterlagen.
Einmal passierte es in ihrem Beisein, dass hier einer Saaldienerin ein Glas vom Tablett rutschte. "Alles war nass", erinnert sich die Platzmeisterin, "der Kollegin war es entsetzlich unangenehm, aber der damalige Bundestagspräsident Dr. Thierse hat nur ganz lieb gesagt: 'Mädchen, es ist doch nur Wasser!’"
Doch wer annimmt, die Arbeit der Saaldiener beschränke sich auf das Servieren von Wasser, der irrt: "Das ist nur ein ganz kleiner Teil unserer Aufgaben", betont Brigitte Rubbel. Tatsächlich wäre ein Sitzungstag ohne den Plenar- und Ausschussassistenzdienst kaum denkbar.
Rubbels Mitarbeiter sorgen dafür, dass in Plenum und Ausschüssen alles seinen geregelten Gang geht. "Man nennt uns auch die stillen Helfer im Hintergrund", erklärt Rubbel. Und das heißt: "Wir rennen nicht, wir rufen nicht, wir verhalten uns unauffällig." Schließlich sollten die "Damen und Herren Abgeordnete" im Mittelpunkt stehen, nicht die Plenarassistenten.
Die Platzmeisterin weiß, wie unverzichtbar der Service ihrer Mitarbeiter für die Parlamentarier ist. Insbesondere im Plenum. Hier sorgen die Plenarassistenten ja nicht nur für frisches Wasser in ihren Gläsern oder die richtige Höhe des Rednerpultes, sie erledigen auch Botengänge für die Abgeordneten und überbringen Nachrichten von dringenden Anrufen in ihren Büros.
"Die Mitarbeiter der Abgeordneten dürfen nicht ins Plenum oder in den Ausschuss, deshalb sind wir während der Sitzungen für die Abgeordneten die einzige Verbindung nach draußen", erklärt Rubbel. Daran habe sich auch im Zeitalter von Mobiltelefon und iPad nichts geändert.
Saaldiener sind oft so etwas wie die guten Geister der Abgeordneten. Wenn Kopfschmerzen plagen, sind sie schnell mit einer Tablette zur Hand. Auch abgerissene Knöpfe wurden von ihnen schon flugs vor einer wichtigen Rede wieder angenäht. Und selbst bei Laufmaschen in der Nylonstrumpfhose können Rubbel und ihre Kolleginnen Abhilfe schaffen. "Na, dann geht eben eine von uns runter in die Kabine und holt eine neue. Wir haben ja immer Ersatzstrumpfhosen für uns da." Das sind die kleinen Gesten, für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Plenar- und Ausschussassistenzdienstes so beliebt sind.
Was einen guten Saaldiener darüber hinaus auszeichnet? Gute Umgangsformen natürlich - und ein gepflegtes Äußeres, schließlich sollen die Plenarassistenten mit ihrer Erscheinung die Würde des Hohen Hauses unterstreichen. Eindeutig tabu sind deshalb: Auffällig gefärbte Haare, viel Schmuck oder Piercings. "Ich würde auch aufgeklebte Nägel mit Glitzer niemals im Dienst gestatten", sagt Platzmeisterin Rubbel strikt.
Die Mitarbeiter des Plenarassistenzdienstes brauchen ein gutes Gedächtnis. Um die 621 Abgeordneten mit ihrem Namen begrüßen zu können, heißt es für jeden unbedingt: lernen, lernen, lernen. "Kürschners Volkshandbuch", in dem alle Abgeordneten mit Bild und Biografie verzeichnet sind, gehört daher zum Handwerkszeug des Saaldieners selbstverständlich dazu.
Neuerdings nutzen die Plenarassistenten allerdings auch eine hauptsächlich von den Parlamentsstenografen verwendete Computer-Software. Wie bei einem Memory-Spiel müssen hier zu den Gesichtern Namen und Fraktionen erraten werden. "Das ist eine große Hilfe", sagt Rubbel und gibt zu, dass es ihr in dieser Wahlperiode mit den vielen neuen Gesichtern im Parlament besonders schwer fällt, alle Namen immer parat zu haben. Das liege aber auch daran, dass sie als Platzmeisterin nicht mehr direkt im Plenum oder in den Ausschüssen arbeite, sondern am Meldetisch. Die Kollegen im Saaldienst hätten einfach viel mehr Routine.
Auch sonst haben die Saaldiener alle Hände voll zu tun. So sorgen sie zum einen dafür, dass nur die das Plenum und die Ausschusssäle betreten, die es dürfen: Abgeordnete, Mitglieder der Regierung oder des Bundesrates. Sie betreuen zum anderen die Besucher auf den Tribünen, legen wichtige Drucksachen aus und bereiten die Räumlichkeiten für den Sitzungstag vor.
Schon ab acht Uhr sind sie beispielsweise im Plenarsaal im Einsatz, damit alles stimmt, wenn eine Stunde später der Bundestagspräsident die Sitzung eröffnet. Dann ist das Akustiksegel zur Glaskuppel hin geschlossen, der Vorrat an Wasserflaschen im Kühlschrank aufgefüllt und der Schreibtisch des Präsidenten mit Schreibgeräten und Geschäftsordnung bestückt.
Was dort zudem keinesfalls fehlen darf: Die Glocke, mit der der Bundestagspräsident traditionell für Ruhe im Plenum sorgen kann - und jenes kreisrunde, in schwarz-rot-goldenem Garn gehäkelte Deckchen. Danach gefragt, lächelt Brigitte Rubbel: "Das ist der Untersetzer für das Wasserglas des Präsidenten." Dieser habe schon immer dessen Platz geziert, das werde sich auch nicht ändern: "So modern das Parlament ist, aber einige alte Traditionen werden bewahrt."
Dazu gehört auch, dass die Platzmeisterin den Bundestagspräsidenten um kurz vor neun vor dem Plenarsaal empfängt, um ihn dann, wenn der Gong erklingt, zusammen mit dem Direktor der Bundestagsverwaltung an seinen Platz zu begleiten. Dies ist seit jeher das Vorrecht der Platzmeister.
Auch der Frack der Saaldiener hat inzwischen eine 56-jährige Geschichte. In den Anfangsjahren der Bundesrepublik trugen die ersten Hilfsdienste der neu entstehenden Bundestagsverwaltung einfach nur grüne Armbinden, auf die die Worte "Hilfsdienst", "Hausdienst" oder "Ordnungsdienst" gestickt waren. Doch seit 1955 ist der Frack die offizielle Dienstuniform der Saaldiener.
Seit 1969 sieht sie übrigens auch so aus wie heute: nachtblaue Frackjacke, weiße Fliege und graue Weste mit goldenen Knöpfen, auf denen der Bundesadler zu sehen ist. Der Platzmeister als Chef hat eine weiße Weste zur Unterscheidung. So mancher Saaldiener trägt auch Hosenträger in den Nationalfarben. Dies sei aber nicht unbedingt vorgeschrieben, erklärt Rubbel.
Frauen im Saaldienst tragen ein Kostüm, das dem Frack nachempfunden wurde: ebenfalls nachtblau, mit Goldknöpfen, dazu eine hochgeschlossene Bluse. Diesen Damenfrack gibt es erst seit 1989, da stellte die Bundestagsverwaltung zum ersten Mal Frauen als Saaldienerinnen ein. 40 Jahre lang war der Plenar- und Ausschussassistenzdienst eine reine Männerdomäne gewesen.
Mit Brigitte Rubbel steht nun aber erstmals eine Frau als Platzmeisterin an seiner Spitze. Für sie ist es jedoch keine völlig neue Aufgabe. Bereits seit 2004 vertrat Rubbel ihren Vorgänger im Amt des Platzmeisters, Antonius Müller, bei Abwesenheit. Eines aber wird sich in Zukunft wirklich ändern: Rubbels Uniform. Eigens für sie wurde jetzt eine neue Kostümjacke entworfen, die es ihr künftig erlauben wird, wie ihre Vorgänger eine Weste zu tragen. Und zwar eine weiße - das Zeichen der Platzmeister. (sas)