Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Archive > 2011 > Dreizehnter Deutscher Bundestag (1994-1998)
Die Bundestagswahl am 27. September 2009 folgte auf ein Jubiläum: Vor 60 Jahren, am 7. September 1949, trat die Volksvertretung in der provisorischen Hauptstadt Bonn zu ihrer ersten Sitzung zusammen. Anlass für einen Rückblick auf 16 Wahlperioden, auf Meilensteine, Wendemarken, Personen und Entscheidungen. In der 13. Folge geht es um die Wahlperiode von 1994 bis 1998.
Neue Herausforderungen beim Aufbau Ost, steigende Arbeitslosigkeit und die lahmende Konjunktur machen der Bundesrepublik Mitte der neunziger Jahre zu schaffen. Das seit 1982 regierende christlich-liberale Regierungsbündnis unter Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl (CDU) steht aufgrund der wachsenden internationalen Verflechtung zudem vor neuen: Die Globalisierung wird Thema vieler Debatten über den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Zunehmende Bedeutung kommt auch den internationalen Verpflichtungen des geeinten Deutschlands zu. So muss der Bundestag über den Einsatz der Bundeswehr im Ausland entscheiden. Mit großer Mehrheit stimmen die Abgeordneten auch der Einführung des Euro zu.
Im 13. Deutschen Bundestag, der aus der Wahl vom 16. Oktober 1994 hervorgeht, können die Unionsparteien (41,5 Prozent) und die FDP (6,9 Prozent) ihre Koalition trotz Stimmenverlusten knapp behaupten. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Rudolf Scharping schafft es als Kanzlerkandidat der SPD nicht, den amtierenden Bundeskanzler Kohl abzulösen.
Mit 36,4 Prozent der Stimmen holt die SPD zwar auf, verfehlt aber ihr Ziel, die Regierungskoalition abzulösen. Bündnis 90/Die Grünen (7,3 Prozent) ziehen in Fraktionsstärke in den Bundestag ein. Sie lösen die FDP als drittstärkste Kraft im Bundestag ab. Die PDS (4,4 Prozent) bleibt unter der Fünfprozenthürde, erringt aber in Ost-Berlin vier Direktmandate und zieht in Gruppenstärke ein. Der parteilose Schriftsteller Stefan Heym, der für die PDS kandidiert hat, eröffnet als Alterspräsident die konstituierende Sitzung des 13. Deutschen Bundestages.
Vier Jahre nach der Wiedervereinigung übersteigt die Arbeitslosigkeit erstmals die Vier-Millionen-Marke. Die zur Herstellung gleicher Lebensbedingungen in Ost und West erforderlichen zusätzlichen Ausgaben stellen die öffentlichen Haushalte in Deutschland, insbesondere den Bundeshaushalt, vor große Herausforderungen.
Durch zunehmende Haushaltslücken und steigende Kosten in den sozialen Sicherungssystemen sieht sich die Regierung zu Einschnitten bei den Sozialleistungen gezwungen. Die parlamentarischen Auseinandersetzungen um die Frage, wie Deutschland unter den Bedingungen einer globalisierten Weltwirtschaft wettbewerbsfähig bleiben oder werden, die Arbeitslosigkeit - vor allem in den neuen Bundesländern - verringert und zugleich der Sozialstaat so weit wie möglich aufrecht erhalten werden kann, werden härter.
Nach vielen Jahren der Vorbereitung und Auseinandersetzung stimmt die große Mehrheit der Parlamentarier endgültig der Einführung des Euro zu. Bei der namentlichen Abstimmung nach sieben Stunden Debatte votieren am 23. April 1998 nur 35 Abgeordnete mit Nein.
Das Parlament hat die Ängste der Bevölkerung vor einem Werteverlust ernst genommen und sich dadurch abgesichert, dass es die endgültige Entscheidung für den Euro davon abhängig machte, dass zunächst die anderen EU-Staaten ihre Zahlen über Schulden, Inflation, Zinsen und Wechselkurse veröffentlichten.
Das Parlament erfährt einen bedeutsamen Machtzuwachs: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1994 stärkt die Rolle des Bundestages auch in der Außen- und Sicherheitspolitik insofern, als die Bundesregierung für jeden Auslandseinsatz der Bundeswehr zunächst die Zustimmung des Bundestages einholen muss.
Dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts zieht mehr als 40 Entscheidungen über den Einsatz der Streitkräfte im Ausland nach sich, der Bundestag stimmt zumeist mit breiter Mehrheit zu. Nach zehn Jahren dieser Praxis ohne gesetzliche Grundlage werden die Abgeordneten schließlich Ende 2004 das Parlamentsbeteiligungsgesetz beschließen.
Zum ersten Mal wird 1997 eine grundlegende Änderung des Rentenrechts in Deutschland gegen die Stimmen der Opposition beschlossen. Das "Rentenreformgesetz 1999“ bringt zwar mit der Anerkennung der Kindererziehungszeiten eine Verbesserung, doch unter Arbeits- und Sozialminister Dr. Norbert Blüm (CDU) wird unter anderem durch die Einführung eines demografischen Faktors der Anstieg zukünftiger Renten verringert.
Eine große Steuerreform der Koalition scheitert im Bundesrat an der Stimmenmehrheit der sozialdemokratisch regierten Länder.
Ein anderes Gesetzesvorhaben von CDU/CSU, SPD und FDP, für das sich die Bezeichnung "Großer Lauschangriff“ einbürgert, führt im Parlament zu einem Jahre dauernden Prinzipienstreit. Es geht dabei um das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung. Zur Debatte steht eine Änderung des Artikels 13 des Grundgesetzes, die den "Einsatz technischer Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen zum Zweck der Strafverfolgung“ auf richterliche Anordnung und zeitlich befristet ermöglichen soll. 452 Abgeordnete stimmen dem im Januar 1998 zu, 184 dagegen.
Am 15. Dezember 1994 setzt der Bundestag erstmals den Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ein. Eine Änderung des Grundgesetzes in der vorherigen Wahlperiode hat dies möglich gemacht.
Der neue Artikel 45 des Grundgesetzes stattet den neuen Ausschuss mit besonderen Rechten aus und stärkt die Stellung des Bundestages gegenüber der Bundesregierung in der Europapolitik.
Weniger Abgeordnete nach der übernächsten Wahl: ab dem 15. Bundestag, also nach der Bundestagswahl im Herbst 2002, soll die Zahl der Volksvertreter unter 600 betragen. Die Verkleinerung des Parlaments ist ein Ziel der Parlamentsreform, die nach jahrelangen Vorbereitungen im September 1995 verabschiedet wird. Die Regelzahl der Mitglieder des Deutschen Bundestages wird ab dem 15. Bundestag von 656 auf 598 Abgeordnete reduziert, die Zahl der Wahlkreise von 328 auf 299.
Um das öffentliche Interesse an wichtigen Plenardebatten zu erhöhen und die Glaubwürdigkeit des Bundestages zu verbessern, wird mit der Reform eine seit Langem geforderte "Plenar-Kernzeit" eingeführt. In Sitzungswochen werden am Donnerstagvormittag, der von anderen Terminen freizuhalten ist, mit möglichst vielen Parlamentariern in der Regel zwei wichtige Themen behandelt.
Parlament als Kunstobjekt: Der zukünftige Parlamentssitz, das Berliner Reichstagsgebäude, wird im Sommer 1995 vom Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude verhüllt. Der "Wrapped Reichstag“ wird zum Magneten für fünf Millionen Besucher und zieht die allgemeine Aufmerksamkeit auf den künftigen Sitz des Bundestages.
Nach Beendigung der zweiwöchigen Aktion wird das Reichstagsgebäude vom Architekten Sir Norman Foster zum modernen Parlamentsgebäude umgebaut, in das vier Jahre später der 14. Deutsche Bundestag einziehen wird.
Die Parlamentarier wählen erneut die CDU-Abgeordnete Prof. Dr. Rita Süssmuth zur Bundestagspräsidentin. Nach einer Änderung der Geschäftsordnung, die CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen unterstützen, ist jede Fraktion des Deutschen Bundestages durch mindestens einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin im Präsidium vertreten.
Auf Antrag der CDU/CSU und der FDP wird zudem mehrheitlich beschlossen, die Anzahl der Stellvertreter des Präsidenten auf vier festzusetzen. So erhalten erstmals auch die Grünen einen der vier Vizepräsidentenposten. Gewählt wird Dr. Antje Vollmer.
Die SPD als zweitstärkste Fraktion, die bisher regelmäßig zwei Vertreter ins Präsidium entsandte, stellt nur noch einen Vizepräsidenten. Erstmals wird eine Frau Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages: die CDU-Abgeordnete Claire Marienfeld, die mit weit mehr als der nötigen absoluten Mehrheit der Parlamentsmitglieder in ihr Amt gewählt wird. (sq)