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Zwischen den Koalitions- und den Oppositionsfraktionen sowie Experten herrscht Uneinigkeit darüber, ob Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes auch über 20 Jahre nach dem Ende der DDR weiterhin auf eine hauptamtliche oder inoffizielle Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS), kurz Stasi, überprüft werden sollen. Die Meinungen der neun geladenen Experten und Abgeordneten prallten in der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Kultur und Medien unter Vorsitz von Monika Grütters (CDU/CSU) zur von CDU/CSU und FDP angestrebten Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (17/5894) am Montag, 27. Juni 2011, mitunter hart aufeinander.
Die Koalitionsfraktionen wollen die am 31. Dezember dieses Jahres endenden Überprüfungsmöglichkeiten bis zum 31. Dezember 2019 verlängern und den potenziell zu überprüfenden Personenkreis ausweiten. Nach ihren Vorstellungen sollen alle Beamten und Angestellten in leitender Funktion ab der Besoldungsgruppe A13 beziehungsweise Entgeltgruppe E13 durch den Dienstherrn überprüft werden können.
Gleiches soll prinzipiell auch für alle angestellten und ehrenamtlichen Mitarbeiter von Einrichtungen und Mitglieder von Gremien gelten, die mit der Aufarbeitung der Herrschaftsmechanismen in der DDR befasst sind.
Ihre Unterstützung für das Gesetzesvorhaben äußerten in der Anhörung Dr. Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Ulrike Poppe, Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur, der Bundesvorsitzende der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft, Rainer Wagner, Siegfried Reiprich, Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, Thomas Lenz, Staatsekretär im Innenministerium von Mecklenburg-Vorpommern, und der Berliner Rechtsanwalt Prof. DrJohannes Weberling.
Poppe und Knabe argumentierten, dass solche Überprüfungen nötig seien, um die Glaubwürdigkeit von staatlichen Behörden und Institutionen bei der Aufarbeitung des SED-Unrechts zu gewährleisten. Vor allem für die Polizei, die Justiz oder Behörden, die über Versorgungsansprüche zu entscheiden haben, sei dies besonders wichtig.
SPD und Bündnis 90/Die Grünen tragen eine Verlängerung der Überprüfungsmöglichkeiten zwar prinzipiell mit, wollen diese aber nur in einem begründeten Verdachtsfall erlauben.
20 Jahre nach der deutschen Einheit sei eine solche pauschale Überprüfung nicht mehr angemessen, zeigten sich Dr. Wolfgang Thierse (SPD) und Wolfgang Wieland (Bündnis 90/Die Grünen) überzeugt.
Auf Ablehnung stößt die Verlängerung der Überprüfungsmöglichkeiten hingegen bei den Hochschulprofessoren Prof. Dr. iur. Hans Peter Bull von der Universität Hamburg und Prof. Dr. Dr. Hansjürgen Garstka von der Humboldt-Universität zu Berlin sowie dem Freiburger Rechtsanwalt Dr. Michael Kleine-Cosack. Er bezeichnete den Gesetzentwurf als ”nicht verfassungsgemäß".
Das Grundgesetz stehe schließlich nicht unter einem MfS-Vorbehalt. Diese Einschätzung fand auch den Zuspruch der Abgeordneten Lukrezia Jochimsen von der Fraktion Die Linke. Die drei Sachverständigen bezweifelten zudem, dass es einen gesellschaftlichen Bedarf für eine solche Überprüfung gebe. Diese Einschätzung stieß bei den Unionsabgeordneten Beatrix Philipp und Christoph Poland und ihren FDP-Kollegen Patrick Kurth und Reiner Deutschmann auf deutliches Unverständnis.
Weitestgehend unstrittig zwischen Abgeordneten und Experten dagegen war die Verlängerung des Rechts auf Einsicht in die Stasi-Unterlagen durch betroffene Bürger, Journalisten und Wissenschaftler. (aw)