Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Archive > 2011 > Historische Debatten (14): Kontroverse um das Anti-Terror-Paket
60 Jahre Bundestagsgeschichte - das sind 16 Legislaturperioden, acht Bundeskanzler und unzählige Reden, die im Plenum des Parlaments gehalten wurden. Einige Debatten in dieser Zeit waren besonders kontrovers, wie etwa die über die Frage der Wiederbewaffnung Deutschlands 1952 oder die der Ostverträge 1972. Ein Streifzug durch die bedeutendsten Dispute und Entscheidungen der bisherigen 16 Wahlperioden.
Die Terroranschläge vom 11. September 2001, bei denen islamistische Selbstmordattentäter vier gekaperte Flugzeuge unter anderem in die Türme des New Yorker World Trade Centers und auf das US-amerikanische Verteidigungsministerium in Washington lenkten, haben der Sicherheitsfrage nicht nur in Amerika, sondern in allen westlichen Ländern eine neue Bedeutung verliehen. In Deutschland ist die Debatte um die innere Sicherheit seitdem zu einem Dauerthema in Politik, Justiz und Öffentlichkeit geworden. Hitzig und medienwirksam wird immer wieder über das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit gestritten.
Reizworte der in der Öffentlichkeit geführten Debatte sind Antiterrorgesetze, Rasterfahndung, Online-Durchsuchung, Video-Überwachung oder Vorratsdatenspeicherung.
Während die Bundesinnenminister seit 2001, insbesondere Dr. Otto Schily (SPD) und Dr. Wolfgang Schäuble (CDU), mit einer Reihe von neuen Sicherheitsgesetzen und Maßnahmen die deutsche Rechtsordnung an die Gefahren des internationalen Terrorismus anzupassen suchen, warnen Bürgerrechtler und Datenschützer vor der Einschränkung von Freiheitsrechten. Manche sehen durch die zunehmend präventive Sicherheitspolitik gar den demokratischen Rechtsstaat als Ganzes in Gefahr - und die Bundesrepublik auf dem Weg zum Präventivstaat.
Der Datenschutzbeauftragte der Bundesregegierung, Peter Schaar, bezeichnete einmal das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung - das inzwischen vom Bundesverfassungsgericht als grundgesetzwidrig beurteilt wurde - als einen "Schritt in Richtung Überwachungsstaat". In der deutschen Innenpolitik sei klar ein Paradigmenwechsel erkennbar - "weg vom konkreten Verdacht hin zum ‘verdachts- und anlasslosen Speichern‘".
Tatsächlich sind zunächst unter der rot-grünen Regierung, später unter der Großen Koalition, eine Reihe von Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht worden, die nach Ansicht vieler Politikwissenschaftler und Staatsrechtler die Gewichtung von Freiheit und Sicherheit deutlich verschoben haben.
Den Auftakt zu dieser Entwicklung markierten zwei Gesetzespakete, die die rot-grüne Koalition unmittelbar nach dem 11. September 2001 zu schnüren begann: Die so genannten Sicherheitspakete I und II - in den Medien oft auch Antiterror-Pakete genannt. Gerade das Terrorismusbekämpfungsgesetz (TBG) als Teil des zweiten Sicherheitspakets geriet als "Beginn des Präventivstaates" stark in die Kritik.
Als das Kabinett wenige Tage nach den Terroranschlägen die ersten Vorlagen des damaligen Bundesinnenministers Otto Schily etwa zur Verschärfung des Vereinsgesetzes oder zur Einführung eines Terrorismusparagrafen (Paragraf 129b) ins Strafgesetzbuch billigte, gab es allgemein noch wenig Widerspruch.
Als der Innenminister im Oktober 2001 aber eilig ein zweites, noch viel umfangreicheres Antiterror-Paket vorlegte, wuchs der Protest: Nicht nur Datenschützer und Anwälte liefen Sturm gegen das in Medien als "Otto-Katalog" umschriebene Gesetzesvorhaben, das neben erweiterten Befugnissen für Geheimdienst, Bundespolizei und Bundeskriminalamt auch eine Einschränkung des Post- und Fernmeldegeheimnisses sowie eine Verschärfung des Ausländerrechts vorsah. Auch die Speicherung biometrischer Daten sollte erlaubt werden.
Sogar in der Koalition wuchs der Widerstand gegen die Vorschläge des Innenministers. "Was Schily da vorlegt, ist tiefstes Absurdistan", so das damalige Urteil eines Staatssekretärs aus einem anderen Ministerium. Dem grünen Koalitionspartner ging insbesondere der Plan Schilys eindeutig zu weit, Ausweise und Pässe mit biometrischen Merkmalen - insbesondere einem Fingerabdruck - auszustatten.
Erst nach langwierigen Verhandlungen konnten sich SPD und Grüne Ende Oktober 2001 auf einen gemeinsamen Entwurf für ein Terrorismusbekämpfungsgesetz einigen. Die Einführung des Fingerabdrucks war darin nicht mehr enthalten.
Als der Entwurf schließlich am 15. November 2001 in erster Lesung im Bundestag beraten wurde, war es an der Opposition, Kritik zu üben: Aus den Reihen der Union warf Wolfgang Bosbach der rot-grünen Koalition eine "Diskrepanz zwischen Worten und Taten" vor. Der Bundesregierung fehle die Bereitschaft durchzusetzen, was zum Schutz der Bürger notwendig sei.
Das Gesetz enthalte beispielsweise keine konkreten Beschlüsse zum biometrischen Fingerabdruck, monierte der CDU-Abgeordnete. Zudem sei der Zugriff für Strafverfolgungsbehörden auf Verbindungsdaten von Telekommunikationsdienstleistern befristet worden. "Das Maßnahmenpaket ist notwendig, aber bei Weitem nicht ausreichend", so Bosbachs Urteil.
Auch Dr. Max Stadler (FDP) signalisierte für seine Fraktion die Bereitschaft, die notwendigen Maßnahmen zur Terrorbekämpfung mitzutragen - sofern sie dem Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprächen.
Gleichzeitig wies er jedoch darauf hin, dass die wirkungsvollste Maßnahme zur Erhöhung der inneren Sicherheit eine bessere personelle, finanzielle und technische Ausstattung der Polizei und der Geheimdienste sei.
Fundamentalopposition übte hingegen die PDS: Ulla Jelpke beschuldigte Innenminister Schily, die Anschläge vom 11. September 2001 zum Anlass zu nehmen, um zuvor verworfene Sicherheitsmaßnahmen wieder aus der "Mottenkiste" zu holen.
Der Bundestag berate nun über ein Gesetzespaket, in dem der "Terrorismus instrumentalisiert" werde, um Grund- und Bürgerrechte abzuschaffen und den Datenschutz massiv infrage zu stellen, so die Politikerin.
Dies wollte der Innenminister nicht auf sich sitzen lassen. Seinen Kritikern hielt er vor, sie hätten sich "vergaloppiert". Schily reagierte scharf: "Ich lasse mir bei der Stärkung der inneren Sicherheit nicht vorwerfen, dass dies der Anfang eines totalitären Staates ist."
Alle notwendigen Änderungen vollzögen sich im rechtsstaatlichen Rahmen. Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen) reklamierte als Verdienst seiner Fraktion allerdings, dass der "Verhältnismäßigkeitsgrundsatz" gewahrt worden sei: "Die unverhältnismäßigen Spitzen der Ursprungsfassung sind gekappt."
Das sahen aber selbst Sachverständige anders. Bei einer Anhörung im Innenausschuss des Bundestages Anfang Dezember 2001 warnten die geladenen Experten - darunter Staatsrechtler, Richter und Anwälte - mehrheitlich vor dem Abbau demokratischer Rechte. Insbesondere die erweiterten Befugnisse für die Sicherheitsbehörden und die Verschärfung des Ausländerrechts seien "verfassungsrechtlich problematisch".
Trotz dieser Kritik verfolgte die rot-grüne Bundesregierung ihr Ziel weiter, das Antiterror-Paket noch vor Jahresende Bundestag und Bundesrat passieren zu lassen; ein Zeitplan, der manchem Abgeordneten zu straff war.
So rügte etwa der Unionspolitiker Erwin Marschewski vor der Abstimmung im Parlament am 14. Dezember 2001 das Verfahren als unseriös. Die Beratungszeit für ein "Gesetz mit circa 100 Gesetzesänderungen" sei viel zu kurz und die Behandlung von Parlamentariern "unzumutbar" gewesen.
Im Gegensatz zu FDP und PDS stimmte die CDU/CSU-Fraktion zusammen mit SPD und Bündnis 90/Die Grünen am 12. Dezember 2001 dem Terrorismusbekämpfungsgesetz zu. Eine Woche später, am 20. Dezember 2001, verabschiedete auch der Bundesrat das Antiterror-Paket II, das schließlich am 11. Januar 2002 verkündet wurde und rückwirkend zum 1. Januar 2002 in Kraft trat.
Allerdings waren die Regelungen zunächst auf fünf Jahre befristet. Durch die Einführung des "Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetzes" im Januar 2007 wurden sie dann jedoch verlängert und inhaltlich erweitert. (sas)