Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Archive > 2011 > Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität
Künftig werde es kein Wachstum um jeden Preis mehr geben können, vielmehr müssten ökologische und soziale Schäden durch das Wirtschaften vermieden werden. Diese politische Forderung zieht Daniela Kolbe aus der bisherigen Arbeit der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität", deren Vorsitzende die SPD-Parlamentarierin ist, im Interview. Die in dem Gremium vereinten 17 Abgeordneten und 17 Wissenschaftler sollen das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Messgröße für gesellschaftliches Wohlergehen weiterentwickeln und um ökologische, soziale und kulturelle Kriterien ergänzen. Ziel ist die Perspektive eines qualitativen Wachstums. Das Interview im Wortlaut:
Wie sieht Ihre Bilanz der ersten Monate aus? Bereits jetzt zeigt sich, wie hochdifferenziert das Thema ist. Wird Ihnen nicht schwindlig bei der Aufgabe, dieses komplexe Geflecht zum Finale auf einen gemeinsamen Nenner bringen zu müssen?
Wir haben uns eine Riesenaufgabe vorgenommen, das ist ein umfassendes Thema mit vielen Fragestellungen von der Wachstums- bis zur Klimakrise. Ich bin aber überzeugt, dass wir das hinbekommen werden. An vielen Stellen deutet sich jetzt schon ein Konsens an, aber im Abschlussbericht werden bei manchen Aspekten auch unterschiedliche Positionen deutlich werden, die sich nicht ausräumen lassen.
Zuweilen vermittelt sich der Eindruck, dass die Sachverständigen die Diskussion bestimmen und sich die Parlamentarier eher zurückhalten. Kann der Spagat zwischen Politik und Wissenschaft gelingen?
In den ersten Sitzungen, die mehr theoretisch bestimmt waren, sahen sich die Abgeordneten in der Tat vor allem in der Rolle der Fragenden. Aber je konkreter die Arbeit wird, desto ebenbürtiger wird debattiert. Das hat sich etwa jüngst bei der Diskussion über die Auswirkungen von Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung gezeigt. Und in unseren Projektgruppen kooperiert man ohnehin auf Augenhöhe, da lernen alle voneinander. Im Schlussbericht wird die Analyse eher wissenschaftlich geprägt sein, die Konsequenzen aus diesem Befund werden hingegen politisch ausgerichtet sein. Wir wollen ja etwas ändern und die Minderung des Ressourcenverbrauchs auf den Weg bringen, um nur ein Beispiel zu nennen.
Eine zentrale Aufgabe Ihres Gremiums ist es, die Definition eines qualitativen Wachstums zu erarbeiten. Welche Fingerzeige liefern die bisherigen Diskussionen?
Lange Zeit galt die Parole vom Wachstum um jeden Preis. Diese Maxime wird sich künftig nicht mehr aufrechterhalten lassen, das wird wohl aus unserem Abschlussbericht hervorgehen. Schließlich wurde lange Zeit ausgeblendet, welche Schäden ein undifferenzierter Wachstumskurs für die Umwelt und für den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft mit sich bringt. Ein qualitatives Wachstum zielt darauf ab, solche negativen Auswirkungen des Wirtschaftens zu vermeiden.
Bei diesem Thema spielt auch die Frage nach dem Verständnis von Lebensqualität und Wohlergehen eine große Rolle. Übernimmt sich da die Kommission aber nicht? Bei diesen Begriffen schwingt doch viel Subjektives mit, was sich einem politischen und wissenschaftlichen Zugriff entzieht.
Es ist natürlich schwierig, Lebensqualität zu ermitteln und eine alternative Wohlstandsmessung zu erarbeiten. Da stecken viele Wertungen und auch der Zeitgeist mit drin, eine objektive Definition kann es kaum geben. Trotzdem müssen wir versuchen, auf diese knifflige Frage Antworten zu finden, da stehen uns spannende Erörterungen bevor. Im Übrigen ist nicht zu verkennen, dass auch bei der angeblich objektiven BIP-Messung Wertungen mitschwingen. Als handfestes Kriterium gilt etwa die Arbeitslosenquote. Doch deren Berechnung wurde häufig verändert, meist um die Statistik zu schönen.
Bei der Debatte über den demografischen Wandel wurde offenbar, dass die einen dieser Entwicklung recht gelassen entgegensehen, die anderen jedoch große Befürchtungen wegen negativer Auswirkungen auf das Wachstum hegen. Wie soll man solche Gegensätze für konstruktive Handlungsempfehlungen an die Politik fruchtbar machen?
Neben konträren Positionen zeigen sich auch Gemeinsamkeiten. Niemand sagt, wegen Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung werde eine Katastrophe über uns hereinbrechen. Allerdings herrscht die Auffassung vor, man müsse politisch Vorsorge treffen für eventuelle negative Folgen des demografischen Wandels. Ich sehe zudem keinen Dissens bei der Feststellung, dass auch eine alternde Gesellschaft produktiv sein kann und dass sich das Pro-Kopf-Wachstum weiter erhöhen lässt. Ich denke, bei diesem Thema werden wir einen gemeinsamen Nenner finden können.
Hat sich die Arbeitsweise der Kommission bewährt? Oder muss sich was ändern?
Unser Gremium funktioniert recht gut, die bisher eingerichteten drei Projektgruppen werden bald erste Arbeitsergebnisse vorlegen. Angesichts unseres Riesenprogramms würde ich selbst gerne im Plenum öfters tagen und nicht nur einmal im Monat, aber das muss die Kommission als Ganzes entscheiden. Um die Öffentlichkeit besser einzubeziehen, werden wir bis Jahresende im Internet ein Debattenforum einrichten. Aber auch jetzt schon werden wir in Verbänden und Kirchen intensiv wahrgenommen. Unser Gremium lebt von einer breiten öffentlichen Diskussion, da wir nur auf dieser Basis unsere Erkenntnisse erfolgreich in die praktische Politik einbringen können.
(kos)