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Elmar Brok, außenpolitischer Sprecher der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament, warnt vor einem Scheitern des Euro: „Wir müssten mit einer Weltwirtschaftskrise mit katastrophalen Folgen und der Vernichtung von Millionen von Arbeitsplätzen rechnen“, sagt Brok in einem am Montag, 24. Oktober 2011, erschienenen Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament". „Wir müssen vorankommen mit der Regulierung des Finanzmarktes, übrigens nicht nur auf europäischer, sondern auch auf globaler Ebene“, betont der deutsche Christdemokrat. Nötig sei darüber hinaus, die Neuaufnahme von Staatsschulden zu begrenzen und mit Reformen in überschuldeten Euro-Staaten für mehr Wettbewerbsfähigkeit zu sorgen. Das Interview im Wortlaut:
Europas Regierungen stellen Hunderte Milliarden Euro für die Sanierung von Staaten und Banken bereit. Für den Rettungsschirm EFSF ist mittlerweile eine „Hebelung“ auf einen Billionenbetrag die Rede. Glauben Sie, dass immer größere Rettungsschirme den Euro stabilisieren können?
Es geht nicht in erster Linie um die Größe der Rettungsschirme. Es geht vielmehr um die Methode, wie wir Schutzwälle errichten, um die europäischen Banken und die gemeinsame europäische Währung abzusichern. Diese Schutzmechanismen sollen dabei helfen, dass keine Dominoeffekte entstehen, also die finanziellen Probleme eines überschuldeten Landes auf das andere übergreifen. Dafür ist der Rettungsschirm EFSF ein wichtiges Instrument, aber nicht das einzige.
Welche Instrumente gibt es noch?
Ein Instrument ist sicherlich die Rekapitalisierung von Banken, also die Vergrößerung des Eigenkapitals, mit dem Banken Kreditausfälle abfedern können. Auf längere Sicht geht es auch um eine bessere Regulierung des Finanzsektors. Und natürlich ist das Ziel, durch Strukturveränderungen in überschuldeten Staaten für mehr Wettbewerbsfähigkeit zu sorgen, glaubwürdige Zukunftsperspektiven für die Wirtschaft zu erzeugen, Staatsschulden abzubauen und ihre Neuaufnahme grundsätzlich zu begrenzen.
Welche Perspektive hat der Euro, wenn sich selbst die beiden größten Euro-Länder Frankreich und Deutschland nicht einig sind?
In einer solchen schwierigen Frage ist es nur zu natürlich, dass man von unterschiedlichen Positionen ausgehen muss. Ich bin aber sicher, dass die Notwendigkeit einer Einigung zu einem vernünftigen Kompromiss führen wird. Die EU, insbesondere die Europäische Zentralbank, müssen für Geldwertstabilität stehen. Gleichzeitig stärkt eine gemeinsame Währung den Binnenmarkt, sichert Arbeitsplätze und nützt für unsere Rolle in der Welt.
Ist Europa mit seinen Institutionen und der Mitsprache der nationalen Parlamente zu langsam für eine Krise wie die Finanzkrise?
Die Institutionen der EU zu stärken wird nur über eine Ausdehnung der Gemeinschaftsmethode mit Mehrheitsabstimmungen möglich sind. Die parlamentarische Mitwirkung durch das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente gegenüber ihrer jeweiligen Regierung ist notwendig. Dabei müsste es aber so gehandhabt werden, dass die Handlungsfähigkeit Europas nicht gefährdet wird. Deshalb ist es auch gut, dass der Bundestag auch für eilige Fälle den "Neuner-Ausschuss" schnell besetzt.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat vor dem Deutschen Bundestag gesagt: „Scheitert der Euro, scheitert Europa.“ Teilen Sie diese Auffassung?
Bei einem Scheitern des Euro müssten wir mit einer Weltwirtschaftskrise mit katastrophalen Folgen wie der Vernichtung von Millionen von Arbeitsplätzen, rechnen. Wenn der Euro scheitert, würde auch der europäische Binnenmarkt – und damit die Basis des europäischen Erfolgs – am Ende sein. Europa würde scheitern und belanglos werden.
Setzt die Politik eigentlich noch die Regeln? Oder ist sie selbst Getriebene der Finanzmärkte?
Wir dürfen keine Politik betreiben, die ökonomisch unsinnig ist. Auf der anderen Seite kann es nicht sein, dass der Finanzsektor nicht in gleicher Weise geregelt ist wie andere Wirtschaftsbereiche. Wir müssen vorankommen mit der Regulierung des Finanzmarktes, übrigens nicht nur auf europäischer, sondern auch auf globaler Ebene. Deshalb ist das G20-Treffen der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer Anfang November in Cannes von so großer Bedeutung.
Die Euro-Staaten wollen einen Schuldenschnitt für Griechenland. Reicht das, um dem notleidenden Land auf die Beine zu helfen?
Es reicht nicht aus, aber es ist eine wichtige Bedingung. Wir sehen im Falle Griechenlands, wie die Rückzahlung von Schulden und die Finanzierung von Zinsen ein Land ökonomisch regelrecht abwürgen kann. Wichtig ist, dass die wirtschaftliche Entwicklung in Griechenland in Gang gesetzt wird. Dazu gehören entsprechende Strukturreformen, Privatisierungen von Staatsunternehmen und die Öffnung von Branchen für den Wettbewerb. Außerdem müssen die europäischen Mittel vernünftig eingesetzt werden: 16 Milliarden Euro stehen den Griechen noch aus den Europäischen Strukturfonds zu. Diese Mittel müssen genutzt werden für mehr Wettbewerbsfähigkeit.
Martin Schulz, der Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Europaparlament, hat an dieser Stelle in der vergangenen Ausgabe gesagt, er wolle eine europäische Wirtschaftsregierung, aber nicht die „Wirtschaftsregierung von Sarkozy und Merkel“. Was wollen Sie?
Wir brauchen Entscheidungsfähigkeit und eine sinnvolle Koordinierung auf der europäischen Ebene. Wir werden nicht von jetzt auf gleich die Kompetenzen verändern können. Aber dass wir mit einer solchen Wirtschaftsregierung die Wettbewerbsfähigkeit der Euro-Mitglieder, die Steigerung der Produktivität und notwendige Strukturveränderungen durchsetzen, ist von großer Bedeutung.
Wer würde eine solche Wirtschaftsregierung eigentlich kontrollieren? Welche Rolle soll das Europäische Parlament spielen?
Die Wirtschaftsregierung muss in die Gemeinschaftsinstitutionen eingebunden sein. Manche Bereiche intergouvernementalen Handelns werden schon länger durch das Europäische Parlament kontrolliert. Aber immer wenn nationales Geld für einen Rettungsschirm verwendet wird, ist die Kontrolle natürlich Aufgabe jedes einzelnen nationalen Parlamentes. Wir dürfen hier nicht zu einem Wettbewerb kommen zwischen Europäischem Parlament und nationalen Parlamenten. Wir müssen bei gemischten Zuständigkeiten eine Kontrolle wahrnehmen, indem wir eine enge Kooperation erzielen, um die parlamentarischen Ansprüche zu gewährleisten.
Sie haben gemeinsam mit Ihrem Fraktionskollegen Werner Langen die Vision einer Europäischen Konföderation bis 2020 skizziert – mit einem gewählten EU-Präsidenten an der Spitze. Die „Vereinigten Staaten von Europa“ – ist das Ihre Antwort auf die Krise?
Die Europäische Union wird kein Staat sein, aber sie handelt im Rahmen ihrer Kompetenzen nach den Prinzipien und den Verfahren eines Bundesstaates. Aber sie braucht auch Handlungsfähigkeit, um die Herausforderungen wie Globalisierung, Energiesicherheit, Klimawandel und eben auch die Regulierung der Finanzmärkte entgegentreten zu können. In diesen Bereichen brauchen wir mehr Zuständigkeit für Europa, ohne dass dadurch Kernfragen nationaler Zuständigkeit gefährdet werden. Der Nationalstaat bleibt weiterhin der souveräne Träger der Europäischen Einigung.
Stellt sich nicht ganz grundsätzlich die Frage nach der Eigenständigkeit der Mitgliedsstaaten? Sind Parlamente und Regierungen überhaupt bereit, Souveränität nach Brüssel abzugeben?
Viele der debattierten Souveränitätsrechte sind ja im Laufe der Zeit in die Zuständigkeit der EU gegeben worden, um durch gemeinsames Handeln ein größeres Maß an Durchsetzung von Interessen erreichen zu können. Es geht jetzt um die Frage, wie wir dies in einer sinnvollen Weise nutzen: Wie bringen wir etwa ein höheres Maß an Handlungsfähigkeit, einen gemeinsamen politischen Willen der Mitgliedstaaten zustande? Auf der anderen Seite müssen wir nüchtern analysieren: Wer kann was besser? Wo der Nationalstaat im globalen Wettbewerb an seine Grenzen stößt, kann Europa einspringen. Und was der Nationalstaat leisten kann, davon soll Europa die Finger lassen. Das bedeutet auch, dass wir in Brüssel begreifen müssen, dass wir nicht jedes Detail zu regeln haben, sondern uns auf das Wesentliche konzentrieren.
(ahe)