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Alle Fraktionen des Bundestages haben eine schärfere Regulierung der Finanzmärkte angekündigt. „Jede Übertreibung, jeder Exzess, jede Maßlosigkeit schafft sich eine Gegenbewegung“, warnte der frühere Finanzminister und heutige SPD-Abgeordnete Peer Steinbrück am Freitag, 11. November 2011, in einer Finanzmarktdebatte. Diese Gegenbewegung könne man gerade beobachten, sagte er mit Blick auf die internationalen Demonstrationen gegen das Bankensystem: „Das ist die Reaktion darauf, dass Finanzmärkte zu Exzessen geführt und viele Länder an den Abgrund geführt haben.“ Und er warnte, die Krise könne möglicherweise sehr viel mehr als Geld kosten. Selbstkritisch räumte Steinbrück aber auch ein, er habe in der Krise dazugelernt: „Ich habe keine Mühe zuzugeben, dass es einen Lerneffekt gegeben hat – auch über die Entwicklung ab 2007.“
Viele Menschen hätten das Vertrauen in die Gestaltungs- und Steuerungsfähigkeit der Politik verloren. Dieser Steuerungsanspruch müsse zurückgewonnen werden, um auch wieder Vertrauen zu gewinnen, sagte der SPD-Politiker. Doch „bei dem jetzigen Stand der Finanzmarktregulierung sage ich Ihnen voraus, dass eine Wiederholung der Exzesse überhaupt nicht ausgeschlossen ist“, warnte Steinbrück, der das „Paradigma der Deregulierung“ für gescheitert hält.
Die besonders im Euroraum grassierende Verschuldungskrise hat nach Ansicht Steinbrücks bereits vor der Finanzmarktkrise begonnen, sei aber durch die Vorgänge der letzten drei bis vier Jahre beschleunigt worden. Nur: "Wie man in dieser Situation, wo wir über eine Verschuldungskrise reden, für sechs Milliarden weitere Steuergeschenke auf Pump verteilen kann, das müssen Sie mir erklären.“
Die Verabschiedung der Steuersenkungspläne der Koalition würde zu jährlich 180 Millionen Euro höheren Zinsen führen, während die Vergünstigung für den Bürger in zwei Tassen Kaffe bestehe. Mit Blick auf die Vergangenheit stellte Steinbrück fest, die rot-grüne Koalition habe auf internationaler Ebene zuerst das Thema Finanzmarktregulierung aufgegriffen. Was die jetzige Regierung vorlege, sei ziemlich „dünn“, der Antrag der Koalition „an Inhaltslosigkeit nicht zu übertreffen“.
Er verlangte unter anderem eine Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken und Beschränkungen für den Derivatehandel, der ein weltweites Volumen von 600 Billionen Dollar erreicht habe, während die reale Weltwirtschaftsleistung bei 60 Billionen Dollar liege.
Auf massiven Widerspruch stieß Steinbrück bei Dr. Volker Wissing (FDP): „Man fragt sich ernsthaft, warum ausgerechnet Sie sich hier hinstellen als sozialdemokratischer Finanzminister a.D., der nichts von alldem, was Sie heute fordern, auf den Weg gebracht hat.“ Steinbrück könne „nicht glaubwürdig über Deregulierung reden“. Er habe keine Finanzmarktsteuer eingeführt, und Finanzmarktregulierung habe er eher in die andere Richtung betrieben.
Wissing erinnerte an den früheren SPD-Finanzminister Hans Eichel, der 2003 gefordert habe, die Diskriminierung von Hedgefonds gegenüber herkömmlichen Investmentfonds zu beenden. Rot-Grün habe von den „segensreichen Verbriefungsmärkten“ geschwärmt. Die SPD habe alles auf den Weg gebracht, „was wir heute wieder rückgängig machen müssen“. Wissing sprach sich grundsätzlich für eine Finanzmarktsteuer aus, aber „nicht zulasten des regulierten deutschen Marktes“.
„Bei der Regulierung nur nach hinten zu gucken, wie das gerade Volker Wissing gemacht hat, das geht nicht“, kritisierte Dr. Gerhard Schick (Bündnis 90/Die Grünen). Es gebe jetzt Aufgaben zu erledigen, und da frage er sich, warum die FDP immer noch bei der Finanztransaktionssteuer bremse.
Schick wies auf die schlechte Eigenkapitalausstattung deutscher Finanzinstitute hin und forderte eine „Schuldenbremse für Banken“. Statt dessen mache sich die Regierung zum „Büttel der Banken“. Da niemand riskieren könne, das systemische Banken pleitegehen, hätten sie praktisch eine implizierte kostenlose Versicherung. Der Zustand, „dass Steuerzahler kostenlos Bankrisiken versichern“, müsse beendet werden.
Zuvor hatte auch der finanzpolitische Sprecher der CDU/ CSU-Fraktion, Klaus-Peter Flosbach, festgestellt, seit der Regierungsübernahme vor zwei Jahren habe die christlich-liberale Koalition deutlich mehr erreicht als die Finanzminister der SPD in elf Jahren.
Er betonte zudem, dass man seit Beginn der Finanzkrise einen besonders hohen Wert auf eine nachhaltige Eigenkapitalausstattung bei Banken gelegt. „Eigenkapital ist das Wichtigste, um Verluste auszugleichen, und das Wichtigste, um widerstandsfähig zu sein“, stellte Flosbach fest.
Mit dem deutschen Banken-Restrukturierungsgesetz sei die Koalition „wegweisend in Europa“ gewesen. Er forderte, Ratingagenturen genauso zu behandeln wie systemische Banken und deutlich schärfer zu kontrollieren. Es sei ein „Skandal“, dass die Agentur Standards & Poor durch einen Irrtum das Rating für Frankreich für zwei Stunden gesenkt habe: „Hier ist grob fährlässig gehandelt worden, und deshalb brauchen wir auch eine Haftung bei grob fahrlässigem Verhalten.“
Flosbach zeigte sich erfreut, dass diese Bundesregierung mit weiteren Stabilitätsmaßnahmen die Krise angehe. Das sei nicht immer so gewesen. Zu Regierungszeiten von Rot-Grün sei vier Jahre hintereinander der Stabilitätspakt gebrochen worden, „und auch die heutige Staatsschuldenkrise ist nicht denkbar ohne das Verhalten von Rot-Grün in den damaligen Jahren“, stellte Flosbach fest.
Richard Pitterle (Linksfraktion) wies darauf hin, die kritisierten Ratingagenturen hätten durch die Gesetzgeber so viel Macht erhalten. Banken und Versicherungen seien verpflichtet, deren Ratings zu beachten: „Da liegt der Hund begraben.“
Auch in allen internationalen Regulierungsvorschriften würden Ratings immer unersetzbarer. „Alles in allem stehen wir in Deutschland kein bisschen besser da als vor der Finanzkrise“, kritisierte Pitterle.
Grundlage der Debatte waren insgesamt vier Anträge der Koalitions- und Oppositionsfraktionen. Mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen stimmte der Bundestag einem von Union und FDP gemeinsam eingebrachten Antrag (17/6313) auf Empfehlung des Finanzausschusses (17/7250) zu, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, sie solle bei der effektiven Regulierung der Finanzmärkte weiterhin „konsequent und mit Augenmaß“ vorgehen und dauerhaft für ein stabileres und widerstandsfähigeres Finanzsystem sorgen. Zu den Forderungen gehört auch die Einführung einer europäischen Finanzmarktsteuer „zur Entlastung der nationalen Haushalte“.
In einem weiteren, von den Koalitionsfraktionen eingebrachten und beschlossenen Antrag zur Regulierung der Ratingagenturen (17/7638) wird gefordert, die feste Verankerung von externen Ratings in Standards und Regulierungsvorschriften zu lockern. Diese feste Verankerung habe zu einer übermäßigen Orientierung vieler Marktteilnehmer an Ratings zu einer Vernachlässigung der eigenen Sorgfaltspflichten der Marktteilnehmer geführt, schreiben die Koalitionsfraktionen und. Weiterhin verlangen CDU/CSU- und FDP-Fraktion eine Haftung von Ratingagenturen.
Abgelehnt wurde ein Antrag der SPD-Fraktion (17/7641), in dem neben einer Steigerung der Eigenkapitalquote von Banken ein Verbot hochspekulativer Finanzmarktprodukte wie ungedeckte Leerverkäufe oder spekulative Kreditausfallversicherungen gefordert wird. Der Rohstoffhandel durch Finanzinstitutionen solle verboten werden. „Warentermingeschäfte und Rohstoffhandel dürfen nur noch erlaubt werden, wenn der unmittelbare Bezug zur realen Warentransaktion oder dem zugrunde liegenden Geschäft besteht“, heißt es in dem Antrag.
Ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen (17/7359), eine Kommission zur Regulierung der Großbanken einzusetzen, lehnte die Koalition auf Empfehlung des Finanzausschusses (17/7665) ebenfalls ab. Die Kommission sollte Vorschläge entwickeln, „die geeignet sind, das Gefährdungspotenzial, das mit systemrelevanten Banken verbunden ist, die damit einhergehende implizite Staatsgarantie sowie die daraus folgenden Refinanzierungsvorteile vollständig abzubauen“. (hle)