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Die Politik als zweite Karriere: Claudia Winterstein arbeitet für die Deutsche Gesellschaft bei den Vereinten Nationen, lehrt an der Pädagogischen Hochschule Berlin und promoviert zum Thema Integration. Dann geht die gebürtige Berlinerin der Liebe wegen nach Hannover, heiratet, bekommt einen Sohn – und startet neu. Seit 2002 für die FDP im Bundestag, ist die blonde 61-Jährige heute nicht nur eine der vier parlamentarischen Geschäftsführer ihrer Fraktion, sondern auch eine der wenigen Frauen im Haushaltsausschuss. Hier ist Winterstein zuständig für so große Etats wie den des Arbeits- und Sozialministeriums.
„Angst vor Arbeit habe ich nicht“, sagt Claudia Winterstein mit einem Lächeln, wenn man ihre Aufgaben und Funktionen aufzählt: Mitglied im Haushalts- sowie im Rechnungsprüfungsausschuss, parlamentarische Geschäftsführerin der Liberalen, Mitglied des Kunstbeirats des Bundestages - und außerdem Chefin der FDP in Hannover und Vorsitzende des Bezirksverbandes Hannover-Hildesheim.
Eine Powerfrau, zielstrebig und fleißig, ist Winterstein offenbar schon immer gewesen: 1950 in Berlin (West) – damals noch mit dem Nachnamen Beyer – geboren, absolviert sie nach dem Abitur eine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin für Englisch und Spanisch. Doch die Stelle in der Auslandsabteilung eines Großhandelsunternehmens, die sie nach der Ausbildung antritt, ist für sie eher Mittel zum Zweck. „Ich wollte mir mein Studium verdienen“, sagt Winterstein.
Eigentlich habe sie Architektur studieren wollen, erzählt sie, doch Anfang der siebziger Jahre habe es schon so viele Architekturstudenten gegeben. „Und die Möglichkeiten, in Berlin – damals von Mauer und Grenze umschlossen – viel zu bauen, waren doch recht begrenzt“, fügt die 61-Jährige hinzu.
Winterstein entscheidet sich stattdessen für ein Pädagogikstudium. Der Wechsel in den Job gelingt nahtlos: Kaum hat sie ihr Diplom in der Tasche, übernimmt die damals 26-Jährige 1976 die Geschäftsführung des Landesverbandes Berlin der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN).
Drei Jahre leitet sie den Landesverband, der unter anderem öffentliche Vorträge, Symposien und Studienreisen organisiert mit dem Ziel, die Öffentlichkeit über Institution und Aktivitäten der Vereinten Nationen zu informieren. Parteipolitisch wird sie zu dieser Zeit nicht aktiv, obwohl sie gewollt hätte, betont Winterstein: „Ein Parteibuch wäre in meiner Position nicht gerne gesehen worden.“
Der Job bei der DGVN scheint sie nicht ganz auszufüllen: Von 1977 bis 1979 arbeitet Winterstein zusätzlich als Dozentin am Lehrstuhl für Bildungsplanung der Pädagogischen Hochschule Berlin. Darüber hinaus beginnt sie ihre Promotion voranzutreiben. Das Thema: „Migrantenintegration qua Bildungsplanung? Zur Theorie und Praxis des Schulbesuchs türkischer Kinder in Berlin (West).“
Doch dann kommt der Strebsamen die Liebe dazwischen: Sie heiratet 1979, gibt ihre Anstellung auf und folgt ihrem Mann, einem Architekten, nach Hannover. In dessen Architekturbüro arbeitet sie fortan mit, übernimmt die Geschäftsführung der Immobilienabteilung. „Das fand ich interessant, schließlich war ja Architektur auch mal mein Traum“, sagt Winterstein. „Aber beruflich gesehen war das natürlich ein Bruch“, gibt sie offen zu.
Sie setzt die Arbeit an ihrer Promotion fort, die sie 1984 erfolgreich als „Doktor der Philosophie“ abschließt. 1985 wird ihr Sohn geboren. Als dieser in die Schule kommt, startet Winterstein neu durch. Bereits seit 1980 ist sie Mitglied der FDP. Nun beginnt sich Winterstein auch in der Partei zu engagieren, kandidiert schließlich 1991 erfolgreich für den Stadtrat. „Ich fand, dass man nicht immer nur über die Politik schimpfen darf. Man muss sich einmischen und versuchen, etwas zu ändern.“
Diesem Grundsatz folgt sie: Im Rat der Stadt Hannover befasst sich die Liberale insbesondere mit Bildungsthemen. Auch die Weltausstellung Expo im Jahr 2000, für die Hannover 1990 den Zuschlag bekommen hat, ist für sie und ihre Fraktion ein wichtiges Projekt. Doch es gibt erhebliche Bedenken in der Bevölkerung gegen die geplante Ausstellung: „Deshalb habe ich damals bei der Bürgerbefragung auch intensiv für die Expo eingesetzt.“
Das Votum soll bindend sein für die Entscheidung, ob sie ausgerichtet wird oder nicht. Winterstein wirbt dafür. Sie ist überzeugt, dass die Messestadt der richtige Ort für die Ausstellung ist. Viele sind ist der gleichen Meinung. Das Votum im Juni 1992 gewinnen die Expo-Befürworter – wenn auch knapp.
Fünf Jahre ist die Politikerin Mitglied des Stadtrats. Bei der Kommunalwahl 1996 schneidet die FDP jedoch landesweit schlecht ab und Winterstein verliert ihr Mandat. Nach der darauffolgenden Kommunalwahl 2001 wird sie erneut in den Rat gewählt, allerdings wird es dieses Mal ein kurzes Intermezzo: 2002 zieht Winterstein in den Bundestag ein. Hier ist sie zunächst Mitglied im Europaausschuss und Sprecherin ihrer Fraktion für Haushalt und Finanzen der Europäischen Union.
Winterstein profiliert sich schnell als „Frau der Zahlen“. Sie ist gründlich, genau – und beharrlich. Das beweist sie etwa 2004, als sie dafür sorgt, dass Horst Köhler schon im ersten Wahlgang der Bundesversammlung zum Bundespräsidenten gewählt wird. Winterstein als Schriftführerin ist aufgefallen, dass bei Beginn der Auszählung im Stapel von Gesine Schwan zwei Köhler-Stimmen versteckt sind. „Das gefiel mir gar nicht“, erzählt sie später – und dringt darauf, dass alle Stimmzettel noch einmal komplett ausgezählt werden. Mit dieser Hartnäckigkeit sorgt die bis dato relativ unbekannte FDP-Frau bundesweit für Schlagzeilen.
2005 erhält sie dann einen Sitz im angesehenen Haushaltsausschuss, dem sie seitdem ohne Unterbrechung angehört. Zuständig ist Winterstein hier unter anderem für zwei der größten Etats überhaupt – Arbeit und Soziales sowie Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: „Diese machen zusammen den halben Haushalt aus.“
Keine leichte Aufgabe – und eine Verantwortung, die die Finanzexpertin sehr ernst nimmt: „Es kam schon vor, dass ich wegen einer Entscheidung eine schlaflose Nacht hatte“, bekennt sie.
Winterstein ist seit 2005 zudem Mitglied im Rechnungsprüfungsausschuss und Chefin der Arbeitsgruppe Haushalt ihrer Fraktion. Ist ihr die Beschäftigung mit Zahlen manchmal nicht zu dröge? „Nein, nie“, sagt Winterstein bestimmt und schüttelt den Kopf. Es sei ein Vorurteil, dass Haushaltspolitik trocken sei. Hinter jeder Zahl stecke eine eigene, interessante Geschichte. Und: Haushaltspolitiker müssten die Materie ebenso gut kennen wie Fachpolitiker.
Standhafter haben sie in jeden Fall zu sein, auch wenn das nicht immer gut ankommt: „Man wird leicht zum ‚Buhmann’, wenn man darauf pocht, den Gürtel enger zu schnallen“, so Winterstein. Doch auch daran zu erinnern, sei ihre Aufgabe als Haushaltspolitikerin. Wie der Staat trotz Sparzwang handlungsfähig bleibt? „Wir müssen unser Geld viel effizienter ausgeben, sorgfältiger sein und kreative Lösungen finden“, meint Claudia Winterstein. (sas)