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„Ein guter Haushälter muss sein Handwerk verstehen, akribisch und sorgfältig arbeiten – und einen langen Atmen haben", sagt Bettina Hagedorn. Er brauche aber auch Kreativität. So wie ein Goldschmied. Die 56-Jährige muss es wissen: Sie lernt das Goldschmiedehandwerk von der Pike auf. 20 Jahre ist sie danach aber in der Kommunalpolitik aktiv, sechs davon als Bürgermeisterin im ostholsteinischen Kasseedorf. 2002 zieht die Sozialdemokratin in den Bundestag ein und vertritt dort ihre Fraktion im Haushaltsausschuss. Seit zwei Jahren ist sie zudem stellvertretende Sprecherin der Arbeitsgruppe Haushalt.
„Wo ich in den achtziger Jahren Politik kennengelernt habe, da war diese männlich, konservativ – und alt", sagt Bettina Hagedorn über die kleine, ostholsteinische Gemeinde Kasseedorf, in der sie seit über 30 Jahren zu Hause ist.
„Da wurden zwar immer die Straßen schön gepflastert und neue Feuerwehrautos gekauft, aber für einen Spielplatz und Jugendarbeit war kein Geld da." Das ärgert die junge Mutter von drei Söhnen. Als dann noch für den überdimensionierten Ausbau einer Straße mitten durch den Ort eine Millionensumme ausgegeben werden sollte, wird sie aktiv.
Die damals 27-Jährige gründet eine Bürgerinitiative mit dem Ziel, das Straßenprojekt zu verhindern. Die Initiative erhält viel Zulauf. Doch den Ausbau der Straße kann sie letztlich nicht stoppen. „Die Einstimmenmehrheit im Gemeinderat wollte sich trotz guter Argumente nicht korrigieren."
Ein Schlüsselerlebnis für Hagedorn: „Mir wurde klar, dass ich vielleicht erfolgreich gewesen wäre, wenn ich mich früher engagiert hätte." Als Konsequenz tritt sie 1983 in die SPD ein.
1984 beginnt Hagedorn ihr ehrenamtliches, politisches Engagement als sachkundige Bürgerin, 1986 zieht sie als gewähltes Mitglied in den Gemeinderat von Kasseedorf ein. Als einzige junge Frau wird sie dort anfangs skeptisch beäugt. „Vor allem, als ich in den Finanzausschuss wollte", erinnert sich Hagedorn.
Doch man gewöhnt sich an sie. Fast 20 Jahre gehört sie der Gemeindevertretung an, sechs Jahre davon – von 1997 bis 2003 – ist sie ehrenamtliche Bürgermeisterin. Als sie ausscheidet und in den Bundestag geht, wird ihr für diese langjährige kommunalpolitische Arbeit 2003 die Freiherr-vom-Stein-Medaille des Landes Schleswig-Holstein verliehen.
Für Hagedorn sind diese Jahre eine besonders prägende Periode ihres Lebens: „Das war eine große Schule: Man ist ja als Bürgermeisterin in einem so kleinen Ort für alles zuständig, von der Haushaltsplanung über die Bauleitplanung bis hin zur Ausschreibung und Abnahme von Bauvorhaben."
Als Amtsvorsteherin ist sie zudem Chefin der Feuerwehr, des Bauhofes und der Amtsverwaltung – ein Novum: „Ich war ja die erste Frau überhaupt in der Region, die auf den Chefsessel kam."
Unter Hagedorns Leitung ruft die Gemeinde ein Naturschutzgebiet aus, schafft ein ökologisches Baugebiet und wandelt eine Militärbrache in ein Schießsportzentrum um. Letzteres ist nicht unumstritten – die Bürgermeisterin muss sich ihrerseits mit einer Bürgerinitiative auseinandersetzen. Das Projekt, das ihr bis heute aber besonders am Herzen liegt, ist ein Kindergarten. Für seine Einrichtung hat Hagedorn in der Opposition lange erfolglos gekämpft.
1987 gründet sie dann einen Verein als Elterninitiative, akquiriert private Gelder, organisiert die passenden Räume in der alten Dorfschule, den Umbau und die Einstellung des Fachpersonals. Inzwischen ist der Kindergarten doppelt so groß und wird von der Gemeinde getragen – auch dafür hat sich Hagedorn eingesetzt. „Es gibt Projekte, die sind wie meine Babys", sagt sie. Was sie besonders berührt: „Heute besucht meine kleine Enkeltochter den Kindergarten."
2001 wagt Hagedorn – entgegen ihrer ursprünglichen Lebensplanung – den großen Schritt von der Kommunal- in die Bundespolitik: „Meine Vorgängerin als Bundestagsabgeordnete wollte aus Altersgründen 2002 nicht wieder antreten, und viele in meiner Partei forderten mich zur Kandidatur auf." Sie ist nicht sofort Feuer und Flamme. Ein politischer Tapetenwechsel würde ihr zwar gefallen. Doch die Chancen, den Wahlkreis zu gewinnen sind nicht allzu groß.
„Die SPD ist in Schleswig-Holstein in den Städten stark, aber mein Wahlkreis Ostholstein ist eher ländlich und konservativ geprägt", begründet Hagedorn ihre damaligen Zweifel, die sich aber letztlich als unbegründet erweisen: 2002 und 2005 zieht Hagedorn als direkt gewählte Abgeordnete in den Bundestag ein.
Im Parlament wird sie sofort Mitglied im Haushaltsausschuss, ihrem „Wunschausschuss". Zunächst übernimmt sie die Hauptberichterstattung für den Etat des Familienministeriums sowie im Rechnungsprüfungsausschuss die Berichterstattung für das Innenministerium. „Das war eine Herausforderung", erinnert sich Hagedorn. Doch die schätzt sie: „Dann bin ich motiviert, mich richtig reinzuhängen."
War es denn keine Umstellung, dieser Wechsel aus der Kommunalpolitik in die Haushaltspolitik des Bundes? Hagedorn winkt ab: „Haushaltsrecht ist Haushaltsrecht." 20 Jahre habe sie im Gemeinde-Finanzausschuss gesessen, 14 Jahre davon als Oppositionspolitikerin. „Ich habe einen Riecher dafür entwickelt, wo Sand im Getriebe ist." Zudem stellte sie als Amtsvorsteherin die Haushaltspläne zusammen mit der Kämmerei auf: „Es hilft mir heute, dass ich gelernt habe, wie eine Verwaltung ‚tickt'– und wie man bei der politischen Konkurrenz erfolgreich für Zustimmung wirbt."
Ob in der Regierung oder in der Opposition: „Ein guter Haushälter muss vor allem sein „Handwerk" verstehen, muss nachhaltig denken und handeln, akribisch und sorgfältig sein, alles kritisch hinterfragen, muss kommunikativ divergierende Interessen ausloten und dann hartnäckig, konfliktbereit und gradlinig sein", unterstreicht Hagedorn. Sie sieht aber Parallelen zu ihrer früheren Arbeit als Goldschmiedin: „Was kaum jemand glaubt: In der Haushaltspolitik hilft Kreativität und gestalterische Vorstellungskraft – so wie ich mir als Goldschmiedin vorstellen können muss, wie ich in welchen Schritten aus einem Klumpen Gold eine Brosche forme, so muss ich mir als Haushälterin vorstellen können, was hinter den einzelnen Zahlen an politischer Gestaltungsmöglichkeit und Auswirkungen für Projekte steckt."
Langweilig sei die Haushaltspolitik jedenfalls nicht, wie manche vermuteten, so die resolute Sozialdemokratin. Vor allem nicht in den letzten Jahren, die geprägt waren von der Banken-, der Wirtschafts- und aktuell der Eurokrise.
Die Politikerin ärgert jedoch, dass solche Krisen bisweilen andere Themen überlagern. Kaum jemand rede zum Beispiel noch über das im vergangenen Jahr beschlossene so genannte Sparpaket, das zu über 40 Prozent den Etat von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) betreffe. Hagedorn, die seit Beginn der Legislaturperiode als Hauptberichterstatterin für eben jenen Haushaltsplan zuständig ist, hat dies nicht aus den Augen verloren: „Obwohl aus den Schlagzeilen fast verschwunden, kommt das ‚dicke Ende' erst jetzt: 2011 sind allein bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik zwei Milliarden gekürzt worden – im nächsten Jahr verdoppelt sich die Kürzung auf vier, 2013 und 2014 sogar auf je fünf Milliarden."
Es ist die Gewichtung des Sparpakets, die Hagedorn für falsch hält. „Hier wird vor allem bei der Weiterbildung und Qualifizierung Arbeitsloser gekürzt – und das bei immer größerem Fachkräftemangel." Fatal, meint die Politikerin: „Man spart nichts, wenn man es versäumt, in die Köpfe der Menschen zu investieren." Das sei weder volkswirtschaftlich klug noch nachhaltig. „Man muss erst Geld in Bildung investieren, um dann langfristig durch bessere Beschäftigung einsparen zu können", betont die Abgeordnete. „So denkt auch der gute Förster, der im Wald Bäume pflanzt." In der Politik erlebe man jedoch häufig kurzsichtige „Kahlschlagpolitik". (sas)