Navigationspfad: Startseite > Dokumente > Archive > 2011 > intersexuelle Menschen
Die Rechte intersexueller Menschen müssen gestärkt werden, darin waren sich alle Fraktionen im Bundestag einig. Als die Abgeordneten am Donnerstag, 24. November 2011, den letzten Punkt der Tagesordnung debattierten, erhielten Bündnis 90/Die Grünen deutliches Lob von allen Seiten. Die Grünen hatten den Antrag (17/5528) mit dem Titel „Grundrechte von intersexuellen Menschen“ eingebracht und damit erstmals in der Geschichte des Bundestages eine Debatte über dieses Thema angestoßen.
„Ich möchte in erster Linie meinen Respekt ausdrücken“, sagte Monika Lazar (Bündnis 90/Die Grünen). Die vielen intersexuellen Menschen, die ihr und ihren Kollegen ihre „zutiefst persönlichen Geschichten“ erzählt hätten, „sie haben uns die Augen geöffnet“.
„Die Schicksale, die uns geschildert wurden, sind grausam“, berichtete Lazar. Die Menschen seien als Babys oder Kleinkinder operiert worden, litten unter den Folgen noch heute, seien „grausam im Dienste der Medizin als Objekte missbraucht“ worden. In Lehrbüchern seien Fotos von ihnen abgedruckt worden, um ihre Abnormalität zu erläutern.
In Deutschland werden pro Jahr etwa 150 bis 340 intersexuelle Menschen geboren. Sie haben Merkmale beider Geschlechter, lassen sich also weder Mann noch Frau eindeutig zuordnen. Die Gesamtzahl der Betroffenen liegt nach Angaben der Bundesregierung bei 8.000 bis 10.000 Betroffenen.
Intersexuellen-Verbände gehen von einer höheren Zahl aus. Viele intersexuelle Kinder werden sehr jung an ihren Genitalorganen operiert, damit ihre Geschlechtsmerkmale eindeutig sind. Auch Hormontherapien werden zu diesem Zweck angeordnet.
Bisher müssen Neugeborene eindeutig als männlich oder weiblich registriert werden. Die Grünen fordern, die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Personenstandsrecht so zu ändern, dass eine dritte Wahlmöglichkeit besteht. Für offizielle statistische Erhebungen solle diese Möglichkeit ebenfalls geschaffen werden.
Die Bundesregierung müsse sicherstellen, dass Kinder nicht ohne wichtigen medizinischen Grund an ihren Genitalien operiert würden. Es müssten unabhängige Beratungsstellen für Betroffene geschaffen werden, genauso wie Fortbildungsangebote für Ärzte, Psychotherapeuten und Hebammen.
Die Spannbreite bei den Schätzungen zu intersexuellen Neugeborenen zeige schon den Nachholbedarf, den Deutschland auf diesem Gebiet habe, sagte Dr. Peter Tauber (CDU/CSU). „Niemals darf der Anspruch von Intersexuellen auf ihre Zugehörigkeit zu unserer Gesellschaft in Frage gestellt werden.“ Allerdings dürften nicht alle Menschen über einen Kamm geschert werden.
„Wichtig ist, dass die Betroffenen die Möglichkeit haben, selbst zu Wort zu kommen“, sagte Tauber. Der Deutsche Ethikrat habe sich intensiv mit dem Thema befasst und alle Beteiligten – von Betroffenen bis zu den Ärzten – angehört. Ein Gutachten solle bis zum Ende des Jahres erstellt werden. Unstrittig sei das Selbstbestimmungsrecht der Kinder über ihren Körper. Er sei gespannt auf das Gutachten und die weitere Diskussion.
„Was wir nicht verstehen können, das darf nicht sein“, so fasste Christel Humme (SPD) den bisherigen Umgang mit Intersexuellen zusammen. Mit dem Zwang zur eindeutigen Bestimmung des Geschlechts kurz nach der Geburt „beginnt für diese Menschen ein langer Leidensweg“.
Humme sprach sich für eine Änderung des Personenstandsrechtes zugunsten einer dritten Wahlmöglichkeit bei der Geschlechtsangabe aus. Es fehle außerdem an einer umfangreichen Aufklärungsarbeit. Auch Humme plädierte für ein ausdrückliches Selbstbestimmungsrecht der Kinder über ihren Körper. Sie sprach sich dafür aus, nicht erst das Gutachten des Ethikrates abzuwarten, sondern bald eine Anhörung im Bundestag zu organisieren.
Auch Sibylle Laurischk (FDP) hob die Arbeit des Ethikrates hervor. Sie persönlich sei erstmals durch verschiedene Veranstaltungen auf intersexuelle Menschen aufmerksam geworden. Deren Schilderungen seien „eindrucksvoll und erschütternd“ gewesen.
Die Operationen, die sie als Kinder über sich ergehen lassen mussten und die sie nicht verstanden hätten, belasteten sie noch heute. „Ich persönlich bin der Ansicht, dass niemand ohne Erlaubnis das Recht hat, an den Genitalien eines Kindes herumzuschneiden“, sagte Laurischk. Für die Fraktion Die Linke gab Barbara Höll ihre Rede zu Protokoll. (ske)