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Abschließend bewerten werden die Abgeordneten am Donnerstag, 1. Dezember 2011, die Ergebnisse des Kundus-Untersuchungsausschusses, der die Hintergründe des Luftangriffs in der afghanischen Kundus-Region am 4. September 2009 mit zahlreichen zivilen Opfern erhellen sollte. Die Affäre kostete einen Minister, einen Staatssekretär und einen Bundeswehr-Generalinspekteur das Amt. Die einstündige Debatte beginnt um 17.40 Uhr.
Der Abschlussbericht des Gremiums (17/7400) hat konträre Standpunkte offenbart. Union und FDP entlasten weithin die politisch und militärisch Verantwortlichen des Bombardements, vor allem Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der erst nach dem Luftschlag ins Amt kam. Aus Sicht der Opposition hingegen wurden in der Nacht zum 4. September 2009 vor Ort schwere Fehler gemacht und Nato-Einsatzregeln verletzt.
Der verheerende Angriff auf zwei von den Taliban gekidnappte Tanklaster, den auf Befehl von Oberst Georg Klein zwei US-Piloten ausführten, gilt als "einer der schwerwiegendsten Vorfälle in der Geschichte der Bundeswehr", so die Ausschussvorsitzende Dr. Susanne Kastner (SPD). Die Zahl der Toten und Verletzten schwankt nach Schätzungen zwischen 90 und 140, ums Leben kamen auch Kinder. Vermutlich wollten Bewohner nahegelegener Dörfer Benzin von den Fahrzeugen abzapfen.
Anfangs hatte das Verteidigungsministerium unter Ressortchef Dr. Franz-Josef Jung (CDU) die Existenz ziviler Opfer in Abrede gestellt und dann die Zahl heruntergespielt. Angesichts des Hochkochens dieser Affäre trat Jung, der nach der Wahl vom September 2009 das Arbeitsressort übernommen hatte, von diesem Posten zurück und übernahm damit die Verantwortung für Fehler in der Informationspolitik des Bendlerblocks.
Guttenberg, der Jung an der Spitze des Verteidigungsministeriums abgelöst hatte, bezeichnete das Bombardement zunächst als "militärisch angemessen" und sogar zwangsläufig, korrigierte dieses Urteil aber später und sprach dann von "militärisch unangemessen". Für seine anfängliche Fehleinschätzung seien, so der CSU-Politiker, Staatssekretär Dr. Peter Wichert und Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan verantwortlich, weil sie ihm wesentliche Informationen zu dem Luftschlag vorenthalten hätten. Die beiden Spitzenbeamten, die im Untersuchungsausschuss Guttenbergs Vorwürfe vehement zurückwiesen, mussten auf dessen Druck hin den Hut nehmen.
Die Koalition räumt zwar Verstöße gegen Nato-Einsatzregeln beim Befehl zum Bombardement ein, aus heutiger Sicht sei der Luftschlag als "nicht angemessen" einzustufen und hätte besser unterbleiben sollen. Indes habe Oberst Klein auf der Basis der damals verfügbaren Erkenntnisse "nach bestem Wissen und Gewissen zum Schutz der Soldaten gehandelt". Insofern sei die Anordnung des Angriffs "nachvollziehbar". Union und FDP bestreiten Mängel in der anfänglich praktizierten Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums nicht, doch seien diese Fehler inzwischen abgestellt worden.
Dass Guttenberg das Bombardement zunächst als "militärisch angemessen" eingeordnet hatte, ist für die Koalitionsfraktionen Schneiderhans und Wicherts Schuld, die den Minister "lückenhaft" und "einseitig" über den Luftschlag unterrichtet hätten. Der CSU-Politiker habe seinerzeit den Generalinspekteur und den Staatssekretär zu Recht entlassen, urteilen Union und Liberale.
Wenn Guttenberg seine ehemaligen Spitzenbeamten für seine gegensätzlichen Bewertungen des Angriffs verantwortlich machen wolle, so ist dies für die SPD eine "unanständige Verleumdung". Der Ex-Minister versuche, Schneiderhan und Wichert zu "Sündenböcken" und "Bauernopfern" zu degradieren. Aus Sicht der SPD geschahen in Kundus "schwere militärische Fehler". So habe man etwa die Personen im Umfeld der entführten Lastwagen nicht eindeutig als "legitime Ziele identifiziert". Bei dem Bombardement sei es nicht um den Schutz des gar nicht gefährdeten Bundeswehrstandorts gegangen, sondern um ein "offensives Vorgehen" gegen Talibanführer.
Wie die SPD wollen auch Linke und Grüne Oberst Klein nicht persönlich verurteilen. Die beiden kleineren Fraktionen stufen den Luftschlag jedoch als "völkerrechtswidrig" ein. Die Linke kritisiert, dass sich die Regierung nach dem Angriff in "Manipulation, Vertuschung und Grauzonenlaviererei geflüchtet" habe. Man habe den Angriff aus dem Bundestagswahlkampf heraushalten wollen. Die Grünen meinen, bei dem Luftschlag seien unabsichtlich viele Fehler gemacht worden. Man könne den Eindruck gewinnen, Kleins Befehl habe auch auf Falschinformationen beruht, die von afghanischer Seite gesteuert worden seien.
Die SPD schlägt vor, die Einsätze von Soldaten im Ausland rechtlich klarer zu regeln. Auch müsse das militärische Nachrichtenwesen parlamentarisch effektiver kontrolliert werden. Klein hatte sich auf nur einen Informanten gestützt, nach dessen Angaben sich bei den Tanklastern keine Zivilisten aufhielten. Die Grünen fordern, Einsatzregeln an die Soldaten besser zu vermitteln und Defizite bei der Bundeswehrausrüstung in Afghanistan zu beseitigen.
Der Kundus-Ausschuss hat 2.395 Protokollseiten erstellt, 339 Aktenordner durchgearbeitet, 41 Zeugen angehört, meist hinter verschlossenen Türen, 79 Sitzungen veranstaltet und einen 551 Seiten dicken Bericht verfasst. Mit der Plenardebatte wird diese Affäre ad acta gelegt. (kos)